Generalstreik in Frankreich: Zweite Runde gegen die Rente ab 64
Gewerkschaften haben erneut zum Protest gegen die geplante Rentenreform aufgerufen. Die Regierung zeigt bislang keinerlei Kompromissbereitschaft.
Auf dem Pariser Platz endet am Dienstag die große Kundgebung der Gegner*innen der französischen Rentenreform. Mehr als 200 Protestaktionen waren landesweit für diesen Tag angekündigt. Wie schon beim ersten Großstreik am 19. Januar werden sich Organisatoren und Behörden in der geschätzten Zahl der Demonstrierenden nicht einig, sie variiert zwischen einigen Zehntausend und einer Viertelmillion.
Die Menschen protestieren gegen Pläne der Regierung von Emmanuel Macron, unter anderem das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen. „Der Renteneintritt mit 64 ist nicht mehr verhandelbar. Genauso wenig wie die 43 Beitragsjahre, um volle Rentenansprüche zu haben. Das ist unser Kompromissvorschlag, nachdem wir die Arbeitgeberverbände angehört haben, die Gewerkschaften und auch die im Parlament vertretenen Parteien“, stellte Premierministerin Elisabeth Borne am Wochenende klar.
Unter den Demonstrierenden fällt besonders das feministische Kollektiv Les Rosies auf, das eine Choreografie einstudiert hat. Sie tragen Blaumänner und rote Bandanas im Haar – nach dem Vorbild eines US-amerikanischen Plakats aus dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Botschaft: Sie wollen sich eine weitere soziale Schlechterstellung durch die Reform nicht gefallen lassen.
Verhärtete Fronten
Berufstätige Frauen, die wegen Mutterschaft und Erziehungsjahren oft mehr Lücken in ihrer Karriere aufweisen und deswegen später in Rente gehen als die Männer, trifft die geplante Rentenreform besonders. Unter Berufung auf eine offizielle Studie des Arbeitsministeriums räumte diese Diskriminierung auch Franck Riester, Minister für die Beziehungen mit dem Parlament, ein.
In der Öffentlichkeit wächst laut Umfragen die Ablehnung der Reform – und die Zustimmung zur Mobilisierung gegen das Regierungsvorhaben. Der zweite Generalstreik mit Kundgebungen in mehr als 200 Städten war für die Gewerkschaftsverbände, die vereint dazu aufgerufen hatten, ein Erfolg.
Wie schon vor zwölf Tagen wurden vor allem der öffentliche Personenverkehr und andere öffentliche Dienste, die Schulen und Verwaltungen bestreikt. Aus Solidarität mit der Bewegung gegen die Reform hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo ihr Rathaus und die kommunalen Dienste geschlossen.
Die Fronten in diesem Streit haben sich seit dem letzten Aktionstag noch verhärtet. Die Regierung kommt den Gegnern keinen Schritt entgegen. Sie will ihre Vorschläge ab dem 6. Februar den Abgeordneten der Nationalversammlung und anschließend dem Senat zur Billigung vorlegen. Allenfalls in Detailfragen will sie geringfügigen Korrekturen zustimmen. Die linke Opposition hat bereits mehr als 7.000 Änderungsanträge angemeldet und setzt auf eine Verzögerungstaktik.
In dieser Kraftprobe steht auch Bornes Posten als Regierungschefin auf dem Spiel. Weil der Widerstand gegen die Reform wächst, gilt die Stimmenmehrheit in beiden Kammern nicht mehr als sicher. Borne kündigte deshalb an, dass sie mit dem – bisher äußerst selten verwendeten – Verfassungsartikel 47.1 nach maximal 50 Tagen die Debatten in den Kammern einfach abbrechen und die Reform per Dekret beschließen könnte.
Die Opposition ist wütend über diese Drohung, welche das Parlament zu einer „machtlosen Schwatzbude“ mache. Mehr denn je setzen die Regierungsgegner*innen auf außerparlamentarischen Druck. Um diesen zu erhöhen, haben die Gewerkschaften der Bahn und des Energiesektors für Februar mehrtägige und „unbefristete“ Streiks angekündigt, die drastischer in Alltag und Wirtschaft eingreifen werden. Dabei fürchtet Staatspräsident Macron vor allem eine Protestbewegung der Jugend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku