Generaldebatte im Bundestag: Scholz streckt Merz die Hand aus
Kaum hat man sich an die Augenklappe gewöhnt, macht der Kanzler einen neuen Zug. Er bietet der Union einen „Deutschlandpakt“ an.
Scholz lud die größte Oppositionsfraktion ein, einen „Deutschlandpakt“ zu schließen. „Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln, damit Deutschland schneller, moderner und sicherer wird“, wandte sich Scholz im Bundestag an die Unionsbank. Es gehe um Arbeit im Maschinenraum, damit der Tanker Deutschland auf Touren komme.
Konkret nannte Scholz den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausbau der Netze und den Abbau von Bürokratie, die sich wie Mehltau über das Land gelegt habe. Scholz will mehr Leute in den Planungsbehörden und schnellere, digitale Genehmigungsverfahren, er will Erleichterungen beim Wohnungsbau, für Schwertransporte und beim Schienenausbau. Um diese Pläne umzusetzen und die Verwaltung auf Touren zu bringen, braucht Scholz die Kommunen und die Länder. Und dort sitzen oft Unions-Ministerpräsident:innen und Bürgermeister:innen am Ruder.
Das ist die eine Seite. Andererseits ist es auch ein Pakt gegen die AfD. Die Völkischen legen in Umfragen gefährlich zu und führen sie sogar derzeit an in den drei Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo im kommenden Jahr gewählt wird. Als Abbruchkommando für Deutschland bezeichnete der Kanzler die Fraktion ganz rechts außen im Bundestag, mit ihren Forderungen nach neuen Schlagbäumen in Europa und nach Sozialabbau betreibe sie mutwillige Wohlstandsvernichtung. Die Botschaft: Der eigentliche Gegner sitzt ganz rechts.
Friedrich Merz war von dieser demonstrativen Umarmung sichtlich überrascht und musste sich erst mal an der Wange kratzen. Die Zwischenrufe von der Unionsbank erstarben. Der Kanzler hatte sie aus dem Takt gebracht. Denn die Dramaturgie der Generaldebatte war zunächst dem üblichen Muster von Attacke und Konter gefolgt.
Merz aus dem Tritt
Merz nutzte seine Rede zum Generalangriff auf die Ampelkoalition, als wäre er noch im Bierzelt in Gillamoos und nicht im Plenarsaal des Bundestags. Scholz habe eine „Zeitenwende“ versprochen, so der CDU-Chef, aber das seien leere Worte geblieben. Der Haushalt der Ampel werde „der Herausforderung nicht gerecht“. Zwar sei man sich mit der Regierung in der Bewertung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine einig, und das Versprechen, den Verteidigungsetat über ein Sondervermögen auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, halte man für richtig. Aber dieses Versprechen habe die Ampelregierung gebrochen. Das ungeliebte Kind Bundeswehr bleibe „strukturell unterfinanziert“.
Mehrfach versuchte Merz so einen Keil in die Reihen der Regierung zu treiben. Innenministerin Faeser habe sich krankgemeldet und dpa-Interviews gegeben. Der große Verlierer sei Boris Pistorius, der Verteidigungsminister. Die Grünen würden bestreiten, dass „illegale Migration“ überhaupt ein Problem sei.
Dann wieder buhlte Merz um Lindner, indem er für eine einheitliche, niedrige Unternehmenssteuer und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags warb. SPD und Grüne wollten den „betreuenden, bevormundenden, alles finanzierenden Staat“, einen „paternalistischen Staat“. Sie würden „mit Klassenkampf-Rhetorik“ die Leistungsträger:innen besteuern wollen und setzten auf Verbote.
Erwartbar platzierte Merz in seiner Rede gezielte Seitenhiebe gegen das Gebäudeenergiegesetz, die Kindergrundsicherung und die Rentenpläne der Ampelregierung. Ältere Beschäftigte bräuchten einen „Anreiz“, um länger zu arbeiten. Scholz sei schuld an der schlechten Stimmung im Land, die CDU könne das besser: „Wir wollen den Menschen, den Unternehmen und vor allem den Ingenieurinnen und Ingenieuren etwas zutrauen.“ Es klang wie eine einstudierte Wahlkampfrede, nicht wie die Gegenrede zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung.
Noch mehr Geld für die Bundeswehr
Dass er das Nato-Ziel aus den Augen verloren habe, wollte Scholz so nicht auf sich sitzen lassen. Er bekräftigte es sogar – und stellte in Aussicht, dass die Bundeswehr künftig zusätzlich 25 bis 30 Milliarden Euro aus dem Haushalt brauchen werde. Der Beifall bei Grünen und SPD hielt sich in Grenzen. Es ist arithmetisch absehbar, dass ein deutliches Plus für den Verteidigungsminister alle anderen Ressortkolleg:innen zu weiteren Kürzungen zwingt. Denn eine Lockerung der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen für Spitzenverdiener:innen und Vermögende scheitern an der FDP.
Zuletzt hatte es zwischen den Ampelpartnern hörbar geknirscht. In den lauten Debatten um die Finanzierung der Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz oder um einen subventionierten Industriestrompreis war auch immer wieder Kritik an der von Linder verordneten und von Scholz unterstützten Haushaltsdisziplin aufgeblitzt. Und so erinnerte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch denn auch daran, dass die Spitzen in der Koalition in den letzten Monaten kein gutes Bild abgegeben hätten.
Was Merz kaum erwähnte, war die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland. Dabei hätte man das eigentlich von dem selbsternannten Wirtschaftsfachmann und einstigen Blackrock-Deutschland-Aufsichtsratsvorsitzenden erwartet. Auch Scholz erwähnte die derzeitige Stagnation nur beiläufig. „Klar, keiner kann zufrieden sein, wenn die Wirtschaft nicht wächst.“ Aber das beste Wachstumsprogramm sei es, wenn Betriebe nicht mehr drei Jahre, sondern drei Monate auf Genehmigungen warten müssten. Besser als eine Dauersubvention jedenfalls.
Das war ein Seitenhieb auf den sogenannten Brückenstrompreis, wie der subventionierte Industriestrompreis auch genannt wird, über den es ebenfalls Zwist gibt. Die FDP ist dagegen, SPD-Fraktion und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen ihn. Genauso wie die Ministerpräsident:innen der 16 Bundesländer, die ihre Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch extra nach Brüssel verlegt haben, um bei der Kommission für eine solche Subvention zu werben. Auch um sie muss sich Scholz noch bemühen, wenn sein Deutschlandpakt Wirklichkeit werden soll.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München