Gemeinsames Europäisches Asylsystem: Willkür statt Willkommen
Menschen in Not, die in Europa Schutz suchen, stehen noch härtere Zeiten bevor. Sogar Minderjährige werden bei ihrer Ankunft erst einmal eingesperrt.
D ie Zeit lief für die Populisten. Was vor Jahren noch kaum denkbar war und was nur Hardliner wie Ungarns Premierminister Viktor Orbán vertraten, ist nun Konsens in Europa, dem selbsternannten „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“: Wer hier ankommt und Aufnahme sucht, ob alt, ob krank, ob jung, ob unbegleitet, wird erst einmal eingesperrt. Darauf verlassen, dass sein Schutzanspruch noch geprüft wird, kann er oder sie sich nicht mehr.
Nach Jahren des Streits einigte sich die EU nun auf ein neues Gemeinsames Asylsystem (Geas). Aus Angst vor der Stärke der rechten Populisten – und unter deren aktiver Beteiligung – schaffte die Union damit grundlegende Rechte für Menschen in oft großer Not ab. Der Umstand, dass man sie hier nicht will, findet dabei seine direkte juristische Entsprechung: Es wird getan, als seien sie gar nicht da.
Die „Fiktion der Nichteinreise“, ein juristischer Trick, soll den Menschen in den Internierungslagern das vorenthalten, worauf sich Europa immer so viel zugutehält: das Recht, das hier gilt, zumindest in Teilen. So entrechtend die neuen Asylvorschriften, die Anfang kommenden Jahres formal beschlossen werden sollen, auch sind – noch schlimmer ist vielleicht das, was sie nicht regeln: Denn so viele Details lässt das Geas offen, so viele Ausnahmetatbestände wurden in die Regeln hineinverhandelt, dass Willkür nur wenige Schranken finden wird.
Die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, werden umso karger sein. Kaum eine Regierung in der EU mochte am Ende noch beim Grundrechteabbau dagegenhalten. Die Grünen in der Ampelregierung hatten lange so getan, als vermochten sie das Ganze zu einem guten Ende zu bringen, hatten von Ausnahmen für Minderjährige, einem verbindlichen Verteilmechanismus gesprochen. Doch am Ende riss der Rat alle menschenrechtlichen roten Linien ein.
Grüne Grundsätze verworfen
Umso irritierender ist, wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock nun das Paket lobt, das schlichtweg nichts von dem enthält, wofür ihre Partei angetreten ist. Die neuen Gesetze richten sich indes nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen jene, die ihnen helfen. NGOs können als „nichtstaatliche feindliche Akteure“ eingestuft werden, die die EU „destabilisieren“. Welche Möglichkeiten der Repression das eröffnet, ist leicht vorstellbar.
Ist das also der letzte Stein in der „Festung Europa“? Kaum. Nicht einmal der Tod auf dem Mittelmeer hatte Menschen in der Vergangenheit abgeschreckt. Das Geas wird Menschen auf ihrem Weg entrechten, fernhalten wird es viele nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies