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Verfassungsgericht entscheidetKein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög

Klagen zwecklos: Das Bundesverfassungsgericht überlässt dem Gesetzgeber die Festsetzung der Bafög-Höhe. Ein individueller Anspruch bestehe nicht.

Wem das Bafög nicht reicht, der kann ja arbeiten, findet das Bundesverfassungsgericht Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Studierende können eine existenzsichernde Bafög-Höhe nicht einklagen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer an diesem Mittwoch veröffentlichten Grundsatzentscheidung festgestellt, dass sich aus dem Grundgesetz kein ausbildungsbezogenes Existenzminimum ergibt.

Das Bafög wurde 1971 eingeführt. Es soll jungen Menschen das Studium ermöglichen, auch wenn ihre Eltern nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. Derzeit bekommt rund ein Fünftel aller Studierenden Bafög. Die Zahlung besteht aus einer Grundpauschale, die seit dem Sommer bei 475 Euro liegt und um einen Wohnungszuschuss von 380 Euro ergänzt werden kann. Daneben haben Studierende keinen Anspruch auf Bürgergeld, sondern müssen notfalls arbeiten oder sich Geld leihen. Auch die Hälfte des erhaltenen Bafögs ist nach dem Studium zurückzuzahlen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kam 2021 in einem Fall aus dem Wintersemester 2014/15 zum Schluss, dass die damalige Bafög-Grundpauschale von 373 Euro verfassungswidrig niedrig war. Die Leipziger Rich­te­r:in­nen gingen davon aus, dass bedürftige Studierende einen weitergehenden „verfassungsrechtlichen Anspruch auf Ausbildungsförderung“ haben. Da nur das Bundesverfassungsgericht Gesetze für verfassungswidrig erklären kann, musste jedoch Karlsruhe hierüber entscheiden.

Das Bundesverfassungsgericht wies nun aber die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts zurück. Aus dem Grundgesetz ergebe sich keine individuell einklagbare Bafög-Höhe. Die Bafög-Höhe wird also wie bisher ausschließlich vom Bundestag bestimmt.

Die können ja arbeiten

Die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen stellen fest, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum bei Studierenden nicht passt. Denn diese könnten ihre Existenz sichern, indem sie arbeiten. Dass sie dann nicht studieren können, verletze nicht ihre Menschenwürde.

Es gebe zwar ein verfassungsrechtliches „Recht auf Teilhabe am staatlichen Studienangebot“, das aber laut Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht passt. Hiermit können Auswahlverfahren bei Studienplatzmangel überprüft werden, aber keine materiellen Leistungen eingefordert werden.

Auch aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ergebe sich kein Anspruch auf eine ausreichende Bafög-Höhe, so die Karlsruher Richter:innen. Zwar habe der Staat den „Auftrag zur Förderung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen“. Die staatlichen Mittel seien jedoch begrenzt, auch wegen der grundgesetzlichen Schuldenbremse, auf die die Rich­te­r:in­nen ausdrücklich verweisen.

Deshalb müsse der Gesetzgeber Prioritäten setzen. Schließlich könne der Zugang zu einer Hochschulbildung in vielen Lebensphasen behindert werden, nicht nur durch eine unzureichende Bafög-Höhe; so könne schon die mangelnde frühkindliche Förderung Lebenschancen abschneiden. Für welche Sozialleistung wie viel Steuergeld ausgegeben wird, müsse deshalb der Bundestag entscheiden.

Klagen gegen die Bafög-Erhöhung im Sommer, die weithin als unzureichend wahrgenommen wurde, haben nun keine Aussicht auf Erfolg mehr.

Ver­tre­te­r:in­nen des studentischen Dachverbands fzs reagierten enttäuscht. Die Entscheidung sei ein Schlag ins Gesicht für alle Studierenden, die auf BAföG angewiesen sind, so Lisa Iden vom Vorstand. „In unseren Augen muss allen Menschen der Weg ins Studium offenstehen. Studentische Armut als von Studierenden selbstverschuldete Situation darzustellen, verkennt das eigentliche Ziel des BAföGs: Chancengleichheit.“ Man hoffe, dass der Gesetzgeber dennoch zur Vernunft komme und endlich für Bildungsgerechtigkeit einstehe.

Az.: 1 BvL 9/21

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20 Kommentare

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  • Was für ein beschämendes Zeugnis einer realitatsfernen und unaufrichtigen Rechtsauslegung dieses Urteil ist.

    Das BAföG existiert explizit, um eine soziale Ungleichheit, welche von Antragstellenden erfahren wird, zu reduzieren und und entscheidet ein Gericht, dass es keine gesetzliche Grundlage für diesen Anspruch gibt und benachteiligte Menschen ja einfach arbeiten gehen könnten?

    Inwieweit ergibt das Sinn?

    Das BAföG wird Menschen nämlich verwehrt, die nicht in Vollzeit ordentlich studieren. Wer jedoch in Vollzeit studiert, darf lediglich an zwanzig Wochenstunden einer bezahlten Arbeit nachgehen. Hieraus ergibt sich gepaart mit exorbitanten Lebensunterhaltungskosten eine quasi Unmöglichkeit, ohne bereits vorhandene Geldmittel, z.B. in Form von finanziellen Zuwendungen durch Familienmitglieder, erfolgreich und bei mentaler Gesundheit, ein Studium abzuschließen, was ja auch Jahr für Jahr durch diverse Statistiken und Studien zu sozialem Aufstieg (oder dessen Ausbleibens) und über Studienabbrüche, belegt wird.

    Auch Richter und Richterinnen haben familiäre Hintergründe und statistisch stammen sie nicht aus Schichten, die nun, offiziell bestätigt, benachteiligt werden.

  • Meine Frau und ich unterstützen unsere Kinder auf BAföG Niveau. Den Rest verdienen Sie sich selbst neben dem Studium dazu - klappt.



    Im Artikel oder in einigen Kommentaren hier besteht die Ansicht, die Gesellschaft müsse Studenten voll alimentieren, wie Bürgergeldempfänger. Diese Unterstützung sollte aber an Menschen gehen, die nicht selbst zu ihrer Versorgung beitragen können. Bei Studenten sehe ich das nicht.



    Die Begründung des Gerichts ist schlüssig, dass der Einsatz staatlicher Mittel zur Förderung gleicher Chancen im Rahmen der Möglichkeiten sinnvoll aufgeteilt werden muss.

  • Für die Höhe des BaföG ist die Bundesregierung zuständig. Also SPD/Grüne/FDP. Das Bundesverfasungsgericht hat der Regierung ja nicht verboten BaföG in Höhe von Bürgergeld zu zahlen. Hier wird also die falsche Institution kritisiert.

  • Die Richter des BVerfG sind auch nur Menschen, die das Grundgesetz entsprechend ihrer Moralvorstellung auslegen. Eine Chancengleicheit für weniger Priviligierte ist da wohl leider nicht vorgesehen...

    • @Miri N:

      Hier handelt es sich wohl eher um Unmoral.

  • Was für eine unsägliche Schande für diese unsere Republik.



    Bedeutet das Urteil doch dass die Politik bei der Bildungsgleichheit und im Grunde in allen Sozialbereichen nach Belieben versagen darf und dann auch noch nach Belieben entscheiden darf für wen die Decke besonders kurz sein darf.



    Pfui Spinne !

  • der erste senat des bverfg urteilte nach den folgenden ersten und weiteren leitsätzen:

    "1. Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) sichert die menschenwürdige Existenz derjenigen, die hierzu selbst nicht in der Lage sind, und ist auf die dazu unbedingt notwendigen Mittel beschränkt. ..."

    und damit wankt doch einiges was ich bislang als geltenes recht im staate ansah, vor allem das gleichheitsprinzip das ursprünglich kein vermögensunterschied kannte aber von nun an als grundlage dienen soll?

    auch wenn das wort vermögen nicht in den grundrechten insbesonderen im art.3 abs.3 ausgeschrieben ist, so ist dieses jedoch in der eu-grundrechtecharta (art.21) und der emrk (art.14) sowie in der allgemeine erklärung der menschenrechte (art.2) als ein merkmal der ungleichheit und des diskriminierungsverbot beschrieben.

    vielleicht kann herr rath bei gelegenheit den senat mal nach der wirkmächtigkeit des 2. absatz im 1. artikel des gg (bekenntis zu unverletzlichen und unveräußerlichen menschenrechten) auf das geltende recht im demokratischen und sozialen bundesstaate befragen und uns hier davon berichten.

  • Kurz gesagt, in die Zukunft können nicht mehr alle finanziellen Wünsche erfüllt werden. Auch nicht mit Schulden die nachfolgende Generationen abstottern dürfen. Gute Entscheidung!

    • @Franz Tom:

      Wetten die jammernde Autoindustrie und die armem kleinen "Familienunternehmen" bekommen trotzdem wieder ein paar Milliarden in den Allerwertesten geblasen.

  • Einer der Gründe für den zunehmenden Erfolg von Populismus ist die Verrechtlichung von Politik.Die Höhe der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung,die Höhe der Pendlerpauschale oder von Sanktionen beim Bezug von Alg2 sind eigentlich politische Fragen. Hier hat das Gericht vermieden die zumutbare Erwerbsarbeit genau zu definieren,weil es vermutlich noch schwerer zu begründen ist.Das Land mit der größten Chancengleichheit Dänemark hat gar kein Verfassungsgericht genauso wie die anderen Länder die beim Demokratieindex vorne stehen,Politische fragen werden immer mehr zum BVG geschoben.Der Parteiproporz bei den Besetzungen



    garantiert das die Abweichung nicht zu gross wird.



    katapult-magazin.d...rden-ueberbewertet

  • Sozialisation ist (fast) Alles. Wer frühkindlich nicht gefördert werden konnte, es dennoch, trotz fehlender Unterstützung durch die Famile, bis zum Abitur schaffte - vorzugsweise auf dem zweiten Bildungsweg und dann ohne Unterstützung studiert (aber mindesten 2 - 3 Monate im Jahr arbeitet): ist selber schuld.



    Diese Richter sind ganz offensichtlich nicht SO sozialisert; geschweige denn haben Sie das Sozialstaatsgebot verstehen wollen, warum auch...

  • Bafög war immer ein Instrument um Chancengleichheit für die StudentInnen zu gewährleisten, die aus einkommensschwachen Haushalten kommen.



    Schon die Umstellung auf ein Darlehen war für viele arme StudentInnen ein großes Hindernis, weil das Berufsleben dann mit Schulden begann.



    Aber auch die Höhe des Darlehens ermöglicht kein gutes Studium für die Bezugsberechtigten.



    Die Argumentation „die Studenten könnten ja arbeiten“ geht nun wirklich am Thema vorbei. Die Zeit und Energie, die zur Sicherung der eigenen Existenz aufgebracht werden muß, fehlt dann im Studium.



    Die Folge: Hohe Abbruchquoten, schlechte Noten und/oder ein Burn-Out.



    Chancengleichheit gibt es so in Deutschland daher nicht. Arm bleibt arm. Immer.

  • // In unseren Augen muss allen Menschen der Weg ins Studium offenstehen.

    Steht offen, definitiv. Was hindert einen daran erst mal einen Beruf zu lernen mit Ausbildungsvergütungen bis 1400,-€ (Brutto)?



    Zu sparen und dann zu studieren. Bei Berufsausbildung und Studium ist man auf dem Arbeitsmarkt unschlagbar.

    • @Der Cleo Patra:

      Zumindest im juristischen Bereich nicht. Sich mit 40 das erste mal in einer Kanzlei bewerben, keine Chance!

    • @Der Cleo Patra:

      Kleine Denksportaufgabe, wenn man den Lebensunterhalt von den 1400€ brutto (ca.1100€ netto) bestreitet, wieviel kann man dann zurücklegen und in welchem Alter könnte man dann vom gesparten Geld sein Studium finanzieren ?

  • Hat schonmal jemand ausgerechnet, wieviel merh es den Staat kostet, kein vernünftiges Bafög zu geben, bzw. die Infrastruktur der höheren Bildung verkommen zu lassen?

  • "Zwar habe der Staat den „Auftrag zur Förderung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen“. Die staatlichen Mittel seien jedoch begrenzt, auch wegen der grundgesetzlichen Schuldenbremse, auf die die Rich­te­r:in­nen ausdrücklich verweisen."

    Seit wenn haben die Richter die Aufgabe die Finanzierbarkeit ihrer Rechtsprechung zu überprüfen? Wenn ein Rechtsanspruch auf BAföG besteht und der Staat den mit den Grenzen der Schuldenbremse nicht leisten kann, dann muss er eben ein Sondervermögen BAföG beschließen. Was bei der Rüstung geht, sollte auch für die Bildung möglich sein.

    Der Skandal ist, dass sich das BVerfG hier zum Finanzmister aufspielt. Gibt es Recht in Deutschland zukünftig nur noch unter Finanzierungsvorbehalt? Dann: Gute Nacht Rechtsstaat.

  • taz: *Studierende können eine existenzsichernde Bafög-Höhe nicht einklagen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer an diesem Mittwoch veröffentlichten Grundsatzentscheidung festgestellt, dass sich aus dem Grundgesetz kein ausbildungsbezogenes Existenzminimum ergibt.*

    Das Grundgesetz wurde in einer Zeit geschrieben, als Kinder aus armen Verhältnissen noch nicht studierten, sondern für die Reichen schufteten – 'wie der Vater so der Sohn'. Einige Parteien hätten diese Zeit wohl gerne wieder zurück. Und Akademiker kann man sich ja auch aus dem Ausland holen, denn die sind sicherlich günstiger als deutsche 'Akademikerarbeiterkinder'. Mit Krankenschwestern macht man das ja schon seit vielen Jahren so, denn bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne möchte man den deutschen Krankenschwestern ja nicht "antun".

    taz: „Studentische Armut als von Studierenden selbstverschuldete Situation darzustellen, verkennt das eigentliche Ziel des BAföGs: Chancengleichheit.“

    Chancengleichheit will man doch gar nicht. Und um die schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjobs sollen sich die armen Bürgergeldempfänger jetzt auch noch mit den armen Studenten "prügeln". Arm bleibt eben arm und reich bleibt reich.

  • Frueher war es vollkommen normal neben dem Studium zu arbeiten. Man muss deshalb ja nicht gleich das Studium selbst aufgeben, teilweise reicht auch ein Volltagsjob in den Ferien, lang genug sind sie ja.

    Allerdings war damals Selbtorganisation und Eigenstaendigkeit ein Muss im Studium. Und da wir nicht wie Schulkinder behandelt wurden, sondern wie Erwachsene, gabs auch keine Anwesenheitslisten.

    • @elektrozwerg:

      Früher gab es auch kein Bachelor-/Master-Sytem mit Fokus auf Regelstudienzeit. Semesterferien sind nicht nur dem Namen nach nur noch "vorlesungsfreie Zeit". Sie sind gefüllt mit Hausarbeiten, Praktika und dem Erstellen der entsprechenden Portfolios. In Bremen war es früher Mercedes, wo Studis quasi ihr Semester in wenigen Wochen finanzieren konnten. Geht so nicht mehr, weil Benz nicht mehr so steueraparend einstellen kann und es deshalb nicht mehr tut. Fazit: Was Studieren angeht, war es früher besser.