Geländegewinn der ukrainischen Armee: Jetzt nicht nachlassen

Nicht zuletzt wegen der steigenden Lebenshaltungskosten droht die Solidarität mit der Ukraine Risse zu bekommen. Weniger Unterstützung wäre fatal.

Ukrainische Soldaten laden Geschosse neben einer Flugabwehrkanone

Ukrainische Soldaten an der Frontlinie bei Charkiw Ende August Foto: Vyacheslav Madiyevskyy/reuters

Bei Erfolgsmeldungen zum Kriegsgeschehen in der Ukraine, von welcher Seite auch immer, ist per se eine gute Portion Skepsis angebracht. Dennoch scheint sich in dieser Woche eine Entwicklung fortzusetzen, die seit Ende August zu beobachten ist. Ukrainische Truppen halten nicht nur ihre Stellungen, sondern machen Boden gut. Mit ihrer Gegenoffensive erzielen sie angeblich Geländegewinne im Süden, aber auch im Osten des Landes.

Im Großraum Charkiw sollen mehr als 20 Dörfer zurückerobert worden sein, was Moskau mit der Entsendung von gepanzerten Fahrzeugen und Kanonen beantworten will. Ansonsten jedoch ist von nennenswerten Versuchen russischer Soldaten, dem Vormarsch der Ukrainer etwas entgegenzusetzen, bislang nichts überliefert. Vielmehr sind die „Befreier“ in der Defensive und schaffen es, wie bei Charkiw, gerade noch, Verletzte und militärisches Gerät abzutransportieren.

Sollten sich diese „Fakten“ als belastbar erweisen, wäre das für Präsident Wolodimir Selenski und seine Regierung von großer Bedeutung: Einerseits dürfte der Widerstandsgeist der Ukrai­ne­r*in­nen erneut befeuert werden. Denn vor allem sie zahlen seit fast sieben Monaten einen immensen Preis. Anderseits wäre das auch ein klares Signal an die westlichen Staaten, mit ihrer Hilfe nicht nachzulassen, nach dem Motto: Seht her, wir sind in der Lage, das Blatt in diesem Krieg zu unseren Gunsten zu wenden.

Die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen zu adressieren, scheint notwendiger denn je. Denn hier wächst nicht nur die Kriegsmüdigkeit, sondern vor allem auch die Angst vor sozialen Verwerfungen infolge einer Energiekrise und explodierender Preise. Zudem sind die üblichen Verdächtigen in Sachen Waffenlieferungen, wie beispielsweise Berlin, nach wie vor nicht in Geberlaune. Und Russland? Nichts Genaues weiß man nicht, nur soviel: Die Eroberung des gesamten Donbass, erklärtes Minimalziel von Wladimir Putin, lässt auf sich warten.

Die angekündigten Referenden in den besetzten Gebieten im Süden der Ukraine sind auf unbestimmte Zeit vertagt. Bei einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok sagte Putin, Russland habe nichts verloren. Tatsächlich? Dem Kremlchef gehen nicht nur die Soldaten aus. Auch in der Gesellschaft regt sich immer mehr Unmut ob der „Spezialoperation“. Sieben Abgeordnete einer Bezirksverwaltung in St. Petersburg sollen wegen „Diskreditierung der Armee“ belangt werden.

Sie wollen der Duma den Vorschlag unterbreiten, Putin wegen Hochverrats aus seinem Amt entfernen zu lassen. Eine Strafe dürfte auf dem Fuße folgen. Probleme gelöst? Leider nein. Die könnten jetzt erst so richtig anfangen.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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