Gaunerin in der Altenpflege: Wer ist hier der Teufel?

Eine Frau, die es den Mafiamännern mal so richtig zeigt! Das könnte freuen in dem Film „I care a lot“. Wäre Marla nicht selbst so ein kaltes Biest.

Auf einer Straße stehen sich ein Mann und eine Frau mit wütenden Gesten und Gesichtern gegenüber

Ihre Gegner haben nichts zu lachen: Marla (Rosamund Pike) mit Feldstrom (Macon Blair) Foto: Netflix

Ob Drogenhändler, Auftragsmörder oder Kannibalen – immer wieder hat das Kino Möglichkeiten erfunden, solche Figuren trotz ihres Tuns und Täterschaft irgendwie sympathisch erscheinen zu lassen. Aber was, wenn der Verbrecher kein humoriger alter Menschenfresser ist, der augenzwinkernd erklärt, er sehe „einen alten Freund zum Abendessen“, sondern eine kühle Blondine, die ihre Opfer noch nicht mal tötet, sondern einfach nur ihrer Selbstständigkeit beraubt und sich auf diese Weise Zugang zu ihrem Vermögen beschafft?

Es muss die Nähe zur Realität sein, die die Art von Betrügerei, die Marla (Rosamund Pike) betreibt, so besonders verwerflich erscheinen lässt. Marla hat sich ein Netzwerk aus willfährigen Ärzten und ungeduldigen Richtern zusammengestellt, mithilfe dessen sie ältere Menschen zu Pflegefällen erklären lassen kann. Einmal zum Vormund bestellt, weist sie die Alten in eines ihrer firmeneigenen Heime ein und verkauft unter dem Vorwand, Geld für die Unterbringung erwirtschaften zu müssen, deren Hab und Gut.

Nicht dass die Alten in ihren Heimen schlecht behandelt werden – es liegt in Marlas Interesse, dass sie so lange leben, wie sie noch Mittel haben, die sich Marla aneignen kann. Wenn eines ihres lukrativen Mündel stirbt, stellt das für Marla ein Ärgernis dar, denn das Erbe geht dann doch meist an andere. Überhaupt, das ist eine Lektion, die man aus „I Care a Lot“ ziehen kann, müssen in den USA gerade die wohlhabenden Alten Angst davor haben, in die Fänge von Menschen wie Marla zu geraten.

Einweisung beantragt

Da gesteht zum Beispiel die an sich völlig rüstige Rentnerin Jennifer (Dianne Wiest) ihrer Hausärztin eine kleine Gedächtnisschwäche. Schon ruft die Ärztin bei Marla mit dem Tipp an, bei Jennifer handle es sich um eine allein lebende alte Frau mit großem Haus. Marla recherchiert selbst und stellt sicher, dass Jennifer keine nahen Verwandten, dafür aber ein erkleckliches Vermögen hat. Und schon wird sie beim Richter vorstellig, um eine Einweisung zu erwirken, bevor die arme Jennifer womöglich verunglückt.

Eine tatsächlich vor Verblüffung völlig außer sich befindliche Jennifer wird daraufhin von Pflegekräften mit Polizeibegleitung abgeführt, während kurz darauf schon Marla deren Haus begeht, um das Inventar zu schätzen. Die Lebensnähe dieser Tat schockiert mindestens genauso wie deren Kälte. Ja, es hat ähnliche Fälle in den USA gegeben, und nein, „I Care a Lot“ beruht nicht auf wahren Ereignissen.

Denn Jennifer, so muss Marla zu ihrem Leidwesen bald feststellen, ist doch nicht die alleinstehende rüstige Rentnerin, die sie zu sein vorgab. Ganz im Gegenteil; sie hat einen von Peter Dinklage gespielten Sohn, dessen geschäftliche Verbindungen von der Art sind, deren Angebote man nicht ablehnen kann. Üblicherweise ergreifen Filmhelden an dieser Stelle die Flucht, selbst wenn sie zum Typ Antiheld gehören. Nicht aber Marla, was ihre Figur erst so richtig interessant macht.

Die Arroganz der Mafiosi

Marla scheint die Arroganz der Mafiosi-Drohungen eher noch anzuspornen. Egal ob ungehobelte Schlägertypen oder wortgewandte Rechtsanwälte in Gestalt von Chris Messina ihr einen entsprechenden „Deal“ aufschwätzen wollen, sie will nicht nachgeben. Dass sie das eigene Geschäftsmodell nicht als Singlefrau, sondern an der Seite einer zu beschützenden Geliebten (Eiza González) verteidigt, verleiht ihr einen zusätzlichen feministischen Touch.

Ein Frauenduo, das es der toxischen Mafia-Männlichkeit mal zeigt! Wäre da nicht die grausige Kälte ihres Verbrechens, hilflose alte Menschen zu betrügen und einzusperren, man würde auf jeden Fall auf ihrer Seite mitfiebern.

Die Alten vor Augen, die Marla gekonnt vom Kontakt mit Angehörigen abschirmt, findet man sich als Zuschauer aber in der Lage wieder, dass man eher mit dem Mafioso sympathisiert. Zumal Peter Dinklage seinem Boss-Typ das nachvollziehbare Laster eines ausbrechenden Temperaments und überhaupt viel Gefühl verleiht. Das Wissen um die Brutalität seines Geschäfts hält der Film eher theoretisch, während die Gemeinheit von Marlas Tun umso mehr aufstößt, da sie die Gesetzeslage rund um Sozial- und Gesundheitsfürsorge ausnützt.

„I Care a Lot“. Regie: J Blakeson. Mit Rosamund Pike, Peter Dinklage u. a. USA 2020, 119 Min. Läuft ab 19. Februar auf Netflix

Obwohl J Blakeson, verantwortlich für Regie und Drehbuch, sich eine Menge einfallen lässt, um das Duell zwischen dem kühlem Engelsgesicht Marla und dem empfindsam-aufbrausendem Mobster Roman spannend zu halten, findet die interessantere Auseinandersetzung zwischen den zwei Seelen in der Brust des Zuschauers statt: Wer ist hier der Teufel, der Mafia-Mann, der seine Mutter beschützt, oder die ehrgeizige Geschäftsfrau, die sich ihm so mutig in den Weg stellt? Wem soll man hier den Sieg gönnen?

Dass der Film nach der Hälfte Dianne Wiests Jennifer in ihrem Altersheim ganz vergisst, macht die Entscheidung eher noch schwerer. „I Care a Lot“ ist eine zwiespältige Kombination aus Thriller und schwarzer Komödie, aus Moralstück und absolut unmoralischem Genre-Spaß.

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