Fundamentalisten vor Pro Familia: Beten gegen Abtreibung
Abtreibungsgegner:innen belästigen vor Beratungsstellen schwangere Frauen. Die Ampel will das verhindern.
Den Platz prägen prächtige Palmen, im Süden der Blick auf die Skyline von Frankfurts, gegenüber das noble Gesellschaftshaus des Palmengartens mit Parkanlage und Wasserfontäne. Eigentlich ist das ein friedlicher Ort. Doch wenn sich hier die „Mahnwachen für das ungeborene Leben“ aufstellen, wurde es in der Vergangenheit oft unfriedlich.
An diesem Mittwoch jedoch bleibt es zunächst ruhig. Die Abtreibungsgegner*innen kommen aus dem Umkreis der erzkatholischen kroatischen Gemeinde. Ununterbrochen murmeln sie Gebete und Mariengesänge. Auf jedes „Vater unser“ folgt ein „Ave Maria“, schließlich ein Glaubensbekenntnis und dann das Ganze von vorne. Dazu lassen sie Rosenkränze durch ihre Hände gleiten. Wenn sie dann aber mit schrillen Stimmen fromme Lieder anstimmen, stören sie die Gespräche in der Geschäftsstelle.
Die Betenden gehören zu „40 Days for Life“, einer in den USA entstandenen Kampagne gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Seit 2017 veranstalten sie auch in Deutschland regelmäßig Mahnwachen vor Einrichtungen wie Pro Familia, 40 Tage lang, in diesem Jahr neben Frankfurt auch in Pforzheim, Stuttgart und München.
Kein Weg an den Protesten vorbei
An diesem Mittwoch haben die selbsternannten WächterInnen noch keine Plakate mit verklärenden Fotos von Föten im Mutterleib mitgebracht, keine Babypuppen. Doch das wird kommen. So war es in allen Jahren davor. Ob nun Mitarbeiter*innen oder ungewollt Schwangere: Wer in die Beratungsstelle hinein will, muss an ihnen vorbei.
Am Nachmittag ist eine große Kundgebung feministischer Organisationen vor Pro Familia geplant. Der 28. September ist der International Safe Abortion Day, an dem auch in vielen deutschen Städten Menschen das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch einfordern.
Gegen die Belästigung haben die Beratungsstellen kaum eine Handhabe. Die hessischen Grünen hatten ihrem Wiesbadener Koalitionspartner CDU zwar eine Landesverordnung abgerungen, mit der das aufdringliche Bekenntnis im Umfeld von Beratungsstellen ein für alle Mal tabu werden sollte.
Doch im März kassierte der hessische Verwaltungsgerichtshof eine entsprechende Anordnung der Stadt. Der VGH erkannte zwar einen „sensiblen Tätigkeitsbereich“, doch den Frauen stehe auf dem Weg zur Beratung „kein Konfrontationsschutz“ vor nicht gewünschten Ansichten zu, so das hohe Gericht.
Ampel sieht Handlungsbedarf
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Bundestag, Katja Mast, sieht in den Mahnwachen eine unzumutbare Belästigung. „Die Frauen, die eine Beratungsstelle aufsuchen, müssen das tun, weil sie einen Beratungsschein brauchen, wenn sie einen Abbruch vornehmen wollen“, sagte Mast. „Sie befinden sich in einer Extremsituation, und dass sie dabei von Abtreibungsgegnern beobachtet und angesprochen werden, ist meiner Ansicht nach unerträglich.“
Auch in Masts Wahlkreis Pforzheim belagern Abtreibungsgegner regelmäßig die Beratungsstelle von Pro Familia mit Kindersärgen und stilisierten Föten. Und auch dort kassierte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gerade erst ein Verbot entsprechender Mahnwachen.
Auch sie sehe Handlungsbedarf, sagte am Mittwoch Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne). Menschen trauten sich wegen dieser lautstarken und eskalierenden Proteste mitunter nicht mehr in die Beratungsstellen. „Das hat mit Demonstrationsrecht erst mal nichts zu tun“, betonte die Ministerin. Vielmehr gehe es um „Bedrohung von Personen, die entsprechende Einrichtungen aufsuchen wollen“.
Noch in diesem Jahr will die Ampelregierung ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen: Gehsteigbelästigungen sollen bundesweit einheitlich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Aktualisiert am 29.09.2022 um 09.33 Uhr
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen