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Führungswechsel bei LabourCorbyn-Experiment gescheitert

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der scheidende Labour-Chef war eine Katastrophe für die Partei. Sein Führungsstil ließ keinen Platz für Kritik.

Corbyn und sein späterer Nachfolger Starmer bei einer Veranstaltung vor der großen Wahlschlappe Foto: Matt Dunham/ap

J eremy Corbyn hat die britische Labour-Partei in eine Sackgasse geführt, und die Partei weiß das. Bei der Wahl seines Nachfolgers stimmten von den 400.000 Abstimmenden unter den 550.000 Parteimitgliedern 70 Prozent für Kandidaten, die den Bruch mit der Corbyn-Ära versprachen. Das Scheitern des Corbyn-Projekts lag nicht in erster Linie am Programm.

Bei zusätzlichen Staatsausgaben, Kern des Labour-Wahlprogramms 2019, stößt schließlich selbst Boris Johnson mittlerweile in ungeahnte Höhen vor. Das allein ist also kein Ausweis linker Gesinnung. Der Grund für Corbyns Scheitern ist sein Politikstil, und da geht es um das linke Selbstverständnis. Mit Corbyn kaperten bei Labour altlinke Aktivistenzirkel den Parteiapparat und operierten in stalinistischen Freund-Feind-Kategorien.

Während nach außen Corbyn vor Jugendaktivisten als eine Art Dumbledore der britischen Politik auftrat, als netter Opa mit magischen Kräften, trat in der Partei Führerkult an die Stelle offener Debatte. Wer unbequeme Fragen stellte, wurde als Verräter abgestempelt, fertiggemacht, verleumdet, bedroht. An die Stelle einer pluralistischen Debatte traten krude Weltverschwörungstheorien über das jüdische Finanzkapital. Corbyn-Kritiker fielen schneller in Ungnade als Holocaust-Leugner.

Auf reale Probleme gab es derweil keine Antwort. Zum Brexit fand die Corbyn-Linke keine eigene Erzählung, ob dafür oder dagegen. Den Schwund ganzer Wählerschichten, erst in Schottland und dann im Norden Englands, nahm die Partei kommentarlos hin. Unter keinem anderen Führer sind so viele fähige Jungpolitiker aus Labour geflohen oder hinausgeekelt worden wie unter Corbyn.

Die Corbyn-Ära war für Labour ein Experiment. Es ist desaströs schiefgegangen. Seine Träger geraten jetzt zu Recht in Vergessenheit. Das Nachdenken über eine linke Politik für das Großbritannien des 21. Jahrhunderts kann beginnen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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10 Kommentare

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  • Keir Starmer hat schon bei seiner ersten Rede als Parteichef viel mehr Leute angesprochen als es Kult-Jezza je vermochte. Die Leute, auf die es ankommt, nämlich jene außerhalb der eigenen Reihen.



    Corbyn war schon ein beliebter Abgeordneter für Finsbury Park, hat als Parteiführer aber bis zuletzt die Zeichen der Zeit, the writing on the wall, nicht erkannt. Als selbst die gewieftesten Backbencher mit ihren Vorschlägen für einen soft Brexit im Parlament nicht durchkamen, hätte er gehen sollen. Damals stand ein Kabinett der nationalen Einheit im Raum. Der unfähigste Premier aller Zeiten, Boris Johnson, konnte auch nur deshalb gewählt werden, weil sich Corbyn stur weigerte, trotz einer Mehrheit gegen einen harten Brexit, mit vernüftigen Konservativen wie Ken Clarke oder Dominic Grieve zusammen zu arbeiten).



    Jetzt haben wir die vierte oder fünfte Tory-Regierung, aber es gibt nicht mehr viel, was sie noch zugrunde richten könnte.

    • @Ataraxia:

      und boris johnson konnte auch nur gewaehlt werden, weil es ausser der alternative corbyn, den viele abgelehnt haben, einfach nichts weiter gab. das ist das problem des mehrheitswahlsystems.



      europawahl: gruene - 10%



      im parlament: 1 von 650 sitzen = 0,15%

  • Und dann hat er die Brexitwahl vergeigt. Er wollte sie einfach nicht wahr haben. Der Neoliberalismus so wie er sich im Westen heute darstellt, ist auch nicht an einem Tag entstanden, das hat bereits der Abgang Hollandes in Frankreich gezeigt.

  • "krude Weltverschwörungstheorien über das jüdische Finanzkapital"

    oder lieber der geschickete Einsatz der Antisemitismuskeule von seiten der Gegner. Man ist nicht automatisch Antisemit, wenn man manche Aktionen anderer Regierungen nicht gut findet. Da stimmt einfach die hanebüchene Definition von Antisemitismus nicht.

    Dank dieses Rufmords wurde über konkrete Pläne der Labour gar nicht mehr geredet.

    • @Martin_25:

      Na klar, der Rufmord war es.

      Unter einem anderen Artikel zum selben Thema steht etwas von Strippenziehern.

      Diese ganzen Bilder bestätigen ja nur die Vorwürfe.

      Und: Völlig unfähig, auch nur einen Funken Verantwortung bei Corbyn für das desaströse Scheitern zu sehen, verortet man sie völlig außerhalb von Labour und der Person des Vorsitzenden.

      Kein gutes Vorbild für Kinder. Man soll doch die Wahrheit sagen.

  • "Sein Führungsstil ließ keinen Platz für Kritik."

    Lag's daran, oder eher an der TAtsache, dass die "linke Zeitung" zu sehr inks nicht besonders mag?



    BTW, Merkels Führungsstil lässt Null Platz für Kritik und ihr liebt sie...

  • Das Nachdenken über eine linke Politik für das Großbritannien des 21. Jahrhunderts kann beginnen.

    ich hoffe mal, das nachdenken ueber eine reform des antiquierten wahlsystems wird mal beginnen. ohne eine reform wird gb sich immer weiter vom ideal der demokratie entfernen.

  • Herr Johnson: der Antisemitismus in der Labour Partei unter Corbyn geht weit über "krude Weltverschwörungstheorien über "das jüdische Finanzkapital" hinaus.

    • @Jossi Blum:

      Immerhin erwähnt er die Thematik.

      Bei Herrn Sotscheck heißt es zum selben Thema:

      "Das Resultat war eine massive Verleumdungskampagne gegen den Chef. "

      Antisemitismus-Vorwürfe sind eben meist eine "Verleumdungskampagne".

      taz.de/Fuehrungswe...i-Labour/!5676521/

  • Aber bitte nicht nochmal Blair. Das hatten wir schon.