Friedrich Merz und der CDU-Parteitag: Desaströse Nullplanung
Das mehrmalige Verschieben des Parteitags fördert den Eindruck, der Anti-Merz-Flügel spiele mit gezinkten Karten. Das ist ein Schaden für die Demokratie.
F riedrich Merz hat recht. Der Möchtegern-CDU-Vorsitzende, der seit der erneuten Verschiebung des Parteitags wie Rumpelstilzchen durch die Hauptstadt wütet, sich in einem Interview nach dem anderen über das „Establishment“ in seiner Partei empört, trifft einen wunden Punkt. Die erneute Absage des Parteitags wegen Corona lässt die CDU unvorstellbar alt aussehen.
Erst Ende Oktober fällt der Partei auf, dass ein Massenevent Anfang Dezember in Coronazeiten nicht optimal, auf keinen Fall aber opportun ist. Das hätte man – wenn man in den letzten Monaten auch nur eine einzige Prognose über die zweite Coronawelle gelesen hätte – auch schon im April ahnen können. Und einen Plan B vorbereiten müssen.
Doch was beschließt die CDU? Ja, nun, mal gucken, wie es im Dezember aussieht. Oder im Januar. Und dann schaun wir mal. Ob. Oder ob nicht. Oder so. Ach, wir wissen doch auch nicht.
Im Ernst jetzt?
Kein Skat-Treffen im Sauerland, sondern der CDU-Parteitag
Man muss es noch mal betonen: Es geht hier nicht um ein Treffen einiger Skatbrüder irgendwo im Sauerland, sondern um die Wahl des Vorstands der Partei, die die Regierung führt. Der ganz nebenbei auch das Krisenmanagement in der Coronapandemie obliegt. Eine vertrauensbildende Maßnahme in „die da oben“ jedenfalls sieht anders aus.
Dabei predigt die CDU doch immer gern ihren Glauben in die Technik. Doch jetzt sieht sie keine Chance, eine Online-Abstimmung im Zeitalter der Digitalisierung zu organisieren? Und das zehn Jahre nachdem die Piraten der etablierten Politik zeigten, dass es da ein Neuland namens Internet gibt?
Es mag sein, dass es schwierig ist, eine Onlineabstimmung so zu organisieren, dass sie rechtssicher das Wahlgeheimnis garantiert. Weil verschlafen wurde, so etwas technisch voranzutreiben. Weil verpennt wurde, die Gesetzeslage zu ändern. Aber dann wäre der auch von Merz vorgeschlagene digitale Parteitag mit anschließender Briefwahl das Mindeste, was eine verantwortungvolle Parteiführung hätte vorbereiten müssen.
Der Wüterich Merz
Deren desaströse Nullplanung öffnet dem Wüterich Merz nun Tür und Tor. Er darf lauthals eine Verschwörung der Parteimächtigen gegen ihn beklagen und sich als aufrecht kämpfender Querkopf präsentieren. Dabei ist es selbstverständlich das gute Recht der Merz-Kritiker, dass sie Bündnisse schließen und Strategien ausbaldowern, um seine Wahl zum CDU-Vorsitzenden zu verhindern. Das ist nichts Unfeines, es gehört zum demokratischen Prozess.
Aber seit der Parteitag zum Verschiebebahnhof degradiert wurde, kann der Eindruck entstehen, dass der Anti-Merz-Flügel mit gezinkten Karten spielt. Ganz egal, ob es stimmt oder nicht. Und das ist fatal, weit über das Gewurstel in der CDU hinaus. Denn hier wird das Vertrauen in die Grundregeln der Demokratie zum Abriss freigegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann