piwik no script img

Friedensbewegung in DeutschlandWachsam gegenüber Imperialismen

Gastkommentar von Martin Zülch

Pa­zi­fis­t*in­nen geraten zunehmend in die Defensive. Dabei wird gern vergessen, dass ihre Kontakte zu Gorbatschow mit zur Abrüstung führen.

Ostermarsch in Berlin 2022 Foto: Peter Homann/ipon/imago

B ürger*innen, die vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine warnen, machen sich derzeit verdächtig, auf Putins atomare Drohungen hereinzufallen. Ebenso hängt Os­ter­mar­schie­re­r*in­nen der Ruf nach, „Putins fünfte Kolonne“ (so Graf Lambsdorff) zu sein, obwohl manche von ihnen eine angemessene militärische Verteidigung der Ukraine durchaus befürworten.

Vor 42 Jahren, als 4 Millionen den Krefelder Appell zur Rücknahme des Nato-Doppelbeschlusses unterzeichneten, wurde ihnen vorgeworfen, das parallel zur Stationierung amerikanischer Pershing-II und Cruise Missiles an die UdSSR gerichtete Verhandlungsangebot zum Abbau russischer SS20-Mittelstreckenraketen zu ignorieren. Die damit verbundene Doppelstrategie habe Gorbatschow veranlasst, dem Westen weitreichende atomare Abrüstungsangebote zu machen.

Übersehen wird dabei, dass dafür ebenso die damaligen Kontakte der Friedensbewegung zu Gorbatschow ausschlaggebend waren. Und nicht nur das: Es bestand durchaus Atomkriegsgefahr. Darüber hinaus hatte sich ein beachtlicher Teil der Friedensbewegung dem Aufruf „Für ein atomwaffenfreies Europa“ angeschlossen, der von der britischen Russell Peace Foundation ausging und eine eigene Doppelstrategie vorsah:

Von beiden Großmächten wurde verlangt, alle Atomwaffen von europäischem Territorium abzuziehen und insbesondere von der Sowjetunion, die Produktion ihrer SS-20-Mittelstreckenraketen zu beenden. Zugleich distanzierte man sich von allen einseitigen Schuldzuweisungen sowie jeglicher Instrumentalisierung: „Wir müssen uns allen Versuchen von Politikern aus Ost und West widersetzen, diese Bewegung zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren.“

Martin Zülch

Martin Zülch, 72, Politik- und Kunstlehrer a. D., unterstützte den Krefelder Aufruf und Russell-Appell. Er hat sich an der Ankündigung des Ostermarschs beteiligt und den am 29. 4. verbreiteten Offenen Brief an Scholz unterzeichnet.

Hätte sich die Friedensbewegung an solche Vorsätze gehalten, so stünde sie jetzt anders da: Sie wäre wohl sogar imstande gewesen, frühzeitig auf Putins imperiale Bestrebungen hinzuweisen. Weiterführend bedeutet dies: erhöhte Wachsamkeit gegenüber allen Imperialismen und ihren Schubkräften hin zu einer atomaren Apokalypse!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "Man kann darauf hinweisen, dass die konventionelle Bewaffnung der NATO bereits ausreicht"

    Das stimmt unter der Prämisse, dass die USA die Arbeit für Europa macht und dies sowohl finanziell als auch personell auch in alle Ewigkeit auch weiter machen will.

    Ich vermute aber, dass die USA nicht weiter den Rambo für Europa spielen will.

  • "Übersehen wird dabei, dass dafür ebenso die damaligen Kontakte der Friedensbewegung zu Gorbatschow ausschlaggebend waren."

    Toll. Ein Knaller. Der aber völlig unterfüttert irgendwie verpufft. Welche Delegation der Friedensbewegung trat nun mit Gorbi et Orbi in Kontakt? Welche Namen sind da zu nennen? Und wo kann mann das nachlesen?

    So mal eben behauptet wirkt das höchst unglaubwürdig.

  • Den Artikel finde ich sehr richtig. Erschreckender die Kommentare hier unten (ausser @MOE479).

    Oberflächlich.

    Man kann sich für das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine einsetzen. Man kann dafür sein, Waffen zu liefern (wenn, dann meine ich, ist es auch klug, es mit "beiden Händen" zu tun, um zu verhindern, dass das ein ewiger Konflikt wird).

    Man kann trotzdem das überbegeisterte Kriegsgebrüll, dass jetzt allenthalben ausbricht (geht leicht, wenn andere ihren Kopf hinhalten, wenn andere gefoltert und vergewaltigt werden) widerlich finden.

    Man kann auch darauf hinweisen, dass man sich, füttert man jetzt die Waffenindustrie, einen mächtigen Akteur heranzüchtet, der genau an diesem Schlachten und Morden ein Interesse hat.

    Man kann darauf hinweisen, dass die konventionelle Bewaffnung der NATO bereits ausreicht, die russische Föderation in Grund und Boden zu bomben: dass es nur die Angst vor der atomaren Eskalation ist, die die NATO davon abhält, robuster zu antworten. Da helfen keine weiteren Starstreaks oder Panzerhaubitzen 2000.

    Man kann daran erinnern, dass auch die USA die atomare Abrüstung in den 90ern verschleppt haben.

    Man kann auch daran erinnern, dass die "bunten Revolutionen" auch strategisch verfolgt werden (teilweise mit finsteren Mitteln und Folgen: auch Rambo kämpfte an der Seite der Mujaheddin).

    Also: ich bin dafür, die Ukraine mit /allen/ Mitteln zu unterstützen (wo, verdammt noch mal, bleibt das Tempolimit? Wo die autofreien Sonntage?)

    Aber ich bin gegen die 100 Milliarden. Gegen die zwei Prozent. Ich will die "Zeit danach".

    Und vor allem bin ich gegen "RAH RAH RAH! TEAM BLAU!".

    Geht zum Stadion, wenn Euch das gefällt.

    • @tomás zerolo:

      Danke, dass es mal jemand sagt. Die Kriegsrhetorik geht mir gehörig auf den Zeiger. Russland besiegen konnten sie vorher auch schon, man ist nur davon ausgegangen es nicht zu müssen. Jetzt "braucht" die Nato genug Kriegsmaterialien um Russland zu besiegen, während man noch anderswo Kriege führt.

  • Auch wenn ich damals ebenso demonstriert habe und den Appell unterzeichnet habe, muss ich eingestehen, das es nicht erfolgreich war. Im Nachhinein betrachtet war es eher konzeptlos. Definitiv hat die Friedensbewegung das UDSSR Regime nicht beeindruckt oder positiv beeinflusst.

  • Hat der Autor irgendwelche Brlege für "Kontakte" der deutschen Friedensbewegung zu Gorbatschow, die irgendetwas bewirkt haben? Dann soll er die standepede nennen. Das wäre auch für die Geschichtsschreibung wichtig.

  • 'Schwerter zu Pflugscharen' und 'Frieden schaffen ohne Waffen' ist ein schöner Traum, kann aber nur funktionieren wenn alle mitmachen. Schert nur ein einziger aus und meint seinen Willen anderen mit Drohungen und (tödlicher) Gewalt durchsetzen zu müssen ist dieser Traum am Ende.

    • @Hierse Friedemann:

      Es bleibt trotz dessen richtig, wer Frieden will entwaffnet sich, diese baut keine Waffen, diese handelt diese nicht, sondern entsorgt diese. Jemand der Frieden will tut all das was z.B. Deutschland nicht in der Lage zu sein scheint, das einzig richtige.

      Solch ein jemand mahnt keiner Kriegsmüdigkeit sondern betont Gewissenhaft und frei genau diese ins besondere!

      Wer den Krieg will, verändert nichts, macht weiter so.

      • 9G
        93851 (Profil gelöscht)
        @Moe479:

        Exakt, volle Zustimmung

        Es wimmelt mittlerweile auf dieser Welt von Atomsprengkôpfen (ca. 13.000), "...wovon mehr als 3.800 sofort einsatzbereit sind - genug um die Welt mehr als einmal zu zerstören." (siehe: www.atomwaffena-z.info/heute.html)

        Wie abartig.



        Wie widersinnig.

        Keine Maus käme auf den Gedanken, eine Mausefalle zu bauen geschweige denn, diese in zig-facher Ausfertigung um sich herum aufzustellen.

        Noch Fragen?