Freistaat gegen Klimaaktivistin: Bayern außer Kontrolle
Eine Lehramtsstudentin bekommt kein Referendariat. Bayern wirft der Klimaaktivistin „kommunistische Ideologie“ vor. Das ist falsch und gefährlich.
L isa Poettinger ahnte bereits, was auf sie zukommt. Vor wenigen Monaten erzählte die angehende Lehrerin in einem Interview, wie der Bayerische Staat auf ihr Engagement bei „Extinction Rebellion“ reagierte: Er schickte Mitarbeiter des Bayerischen Staatsschutzes zu ihr nach Hause.
Eine Gefährderansprache, die eine unmissverständliche Warnung transportieren sollte: Wenn du dich auf diese Weise für Klimaschutz einsetzt, verbaust du dir damit schnell deine Zukunft. Vier Jahre später hat der Freistaat seine Drohung wahr gemacht. Poettinger, die mittlerweile ihr Studium abgeschlossen hat, darf ihr Referendariat nicht antreten.
Es ist schwer zu sagen, was an dieser Entscheidung dümmer ist. Die Engstirnigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, oder die Begründung, mit der der Staat ihr einen legitimen Anstrich verpassen möchte. So wird der 28-Jährigen allen Ernstes zum Vorwurf gemacht, die Internationale Automobil-Ausstellung in München öffentlich als „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet zu haben – was die Veranstaltung wahrscheinlich auch für die meisten gemäßigten Bürger:innen durchaus trefflich zusammenfasst.
Das Bayerische Kultusministerium hingegen will in der Formulierung eine „kommunistische Ideologie“ erkennen. Und die scheint heute offenbar noch genauso für Berufsverbote herhalten zu müssen wie zu Franz-Josef Strauß’ Zeiten.
Vergewaltiger blieb dagegen verbeamtet
Auch an Hochschulen in Bayern gibt es immer wieder Fälle, in denen der Verfassungsschutz Karrieren beendet – etwa an der Technischen Universität München, als 2022 ein Geoinformatiker wegen seines politischen Engagements eine bereits zugesagte Stelle wieder verlor. In Bayern reicht dazu, beim Studierendenverband der Linkspartei SDS aktiv zu sein.
Ein anderer Fall, der sich im Dezember zutrug, zeugt davon, dass Bayrische Gerichte auch durchaus anders entscheiden können. Da erhielt ein Feuerwehrmann, der eine Frau vergewaltigt hatte, eine mildere Strafe, um seinen Beamtenstatus nicht zu gefährden.
Wenn es jedoch um Extremismus von links geht – oder das, was CSU und Freie Wähler darunter verstehen – scheint der Landesregierung jedes Maß verloren gegangen zu sein. Das gilt allen voran für die konsequenten Forderungen der jüngeren Generationen nach Klimaschutz.
Klimaproteste seien „Terrorismus“
Wer sich in Bayern dafür einsetzt, muss schon länger mit Repressalien rechnen. Siehe den Umgang mit den Aktivist:innen der „Letzten Generation“. Zwischenzeitlich knastete der sogenannte Freistaat mehr als 20 von ihnen „präventiv“ in Haft – die darauffolgende Rüge des UN-Sonderberichterstatters für Umweltschützer interessierte in München niemanden. Offenbar auch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Legitimität der Proteste unterstrich.
Stattdessen ist Söders Bayern vorne mit dabei, verzweifelte Klimaproteste als Terrorismus zu etikettieren. Da ist es eigentlich fast schon konsequent, den Personen auch in der Berufswahl Steine in den Weg zu legen: einmal non grata, immer non grata.
In Bezug auf die Schulen ist diese Haltung jedoch fatal: Wenn der Staat nun damit beginnt, gesellschaftskritische Lehrkräfte von den Schulen fernzuhalten, offenbart sich ein verheerendes Missverständnis in Bezug auf die Rolle von Pädagog:innen. Noch immer begreifen die Ministerien (nicht nur in Bayern) ihre Beamt:innen als reine Exekutivorgane, die als Beamt:innen privilegiert behandelt werden, dafür bitte aber sonst die Klappe halten sollen.
Poettinger wehrt sich – zurecht
Wer aber möchte, dass junge Menschen im kritischen Denken geschult werden, braucht keine vorwiegend loyalen Staatsdiener:innen, sondern Demokrat:innen. Solche, die sich die Zeit nehmen, in Geografie über die Menschenrechtsverletzungen von Frontex zu reden, die in Politik die verheerende Klimapolitik der Bundesregierung behandeln und in Sozialkunde über die falschen Verheißungen des Kapitalismus aufklären. Themen, die in den Schulbüchern übrigens oft gar nicht vorkommen.
Es ist gut, dass sich Lisa Poettinger wehrt und gegen die Entscheidung des Ministeriums vorgehen möchte. Man kann nur hoffen, dass ihre Klage Erfolg hat.
Erstens, weil die der bayerische Staat mit dieser unfassbaren Nummer nicht einfach durchkommen sollte. Zweitens, weil sich Poettinger nach eigenen Aussagen besonders um Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen kümmern möchte – und damit besonders wertvoll an einer Schule wäre. Und drittens, weil Schüler:innen unbedingt aus erster Hand hören sollten, wie schnell auch in Bayern demokratische Selbstverständlichkeiten abgeräumt werden können.
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