Forscherin über Emissionen durch Medizin: Klimakiller Narkosegas
Der Klimawandel ist schlecht für die Gesundheit, doch das Gesundheitssystem auch schlecht fürs Klima. Wie kann man das ändern?
taz: Frau Baltruks, spätestens seit diesem Hitzesommer wissen alle, dass die Klimakatastrophe massive Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat. Aber wirkt die Gesundheitsbranche auch aufs Klima?
Dorothea Baltruks: Ungefähr 5,2 Prozent der nationalen Emissionen kommen aus dem Gesundheitswesen. Das heißt, wir müssen hier Emissionen reduzieren.
Wo fallen die größten Emissionen an?
Etwa 60 bis 70 Prozent der Emissionen fallen durch indirekte Emissionen an, also in den Produktions- und Lieferketten. Der andere Teil, wo Kliniken selber viel machen können, ist die Energieversorgung. Krankenhäuser brauchen sehr viel Energie.
Auffällig ist ja auch das ganze Einwegmaterial …
Der viele Müll wird oft genannt, weil er sehr ins Auge springt. Viele im Gesundheitswesen melden uns, dass sie frustriert sind, wenn sie im Alltag versuchen, Plastik zu vermeiden – aber dann ganze Berge davon innerhalb von wenigen Stunden im Krankenhaus zustande kommen. Allerdings sind diese Verpackungsmaterialien vor allem ein Ressourcen- und Müllproblem, aber nicht die größte Emissionsquelle.
Sind klimaneutrale Kliniken überhaupt möglich?
Das ist ohne Frage eine große Herausforderung. Und es gibt Bereiche, welche die Kliniken nur begrenzt beeinflussen können. Medizinprodukte, Arzneimittel und ihre Lieferketten sind ein gutes Beispiel, weil gar nicht transparent ist, welche Umweltauswirkungen eigentlich mit dem Lebenszyklus eines Medikaments verbunden sind, beziehungsweise ob es umweltfreundlichere Alternativen gibt. Da müsste sich auf gesetzgeberischer Ebene etwas ändern.
Was bräuchte es denn, um die Emissionen im Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen?
Zuerst einmal eine klare Vorgabe, wie wir das in anderen Sektoren auch haben. Wann soll das Gesundheitssystem klimaneutral werden? Wie erreichen wir das und welche Zwischenschritte gibt es? Da sind wir in Deutschland leider noch nicht.
Sind andere Länder weiter?
Auf jeden Fall. Das beste Beispiel ist wahrscheinlich Großbritannien. Die haben inzwischen ein nationales Programm mit einem ganz klaren Klimaziel für den Nationalen Gesundheitsdienst. Und sie haben ganz genau berechnet, wo welche Emissionen anfallen.
Dorothea Baltruks ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Denkfabrik Centre for Planetary Health Policy und Präsidentin beim diesjährigen internationalen Ärztekongress „Medizin und Gewissen“ in Nürnberg.
Diese Zahlen gibt es für Deutschland nicht?
Es gibt ein paar Kliniken in Deutschland, die sich die Mühe gemacht haben, ihren Fußabdruck zu berechnen. Das ist gar nicht so trivial.
Ist nicht in den vergangenen Jahren trotzdem einiges passiert?
In einigen Bereichen schon. Es gibt zum Beispiel bestimmte Anästhesie-Gase, die wahnsinnig klimaschädlich sind und die man relativ leicht durch weniger klimaschädliche Gase ersetzten kann – was die Anästhesie inzwischen immer mehr tut.
Was war der Anstoß dafür?
Der Auslöser war, dass die Klimawirkung von Narkosegasen überhaupt untersucht wurde. Das zeigt wieder, wie wichtig es ist, dass systematisch Emissionen erfasst werden.
Was können die Menschen im Gesundheitswesen tun, um die Transformation voranzutreiben?
Das Wichtigste ist, sich selbst zu engagieren, über das Thema zu sprechen und sich zu informieren. Es gibt inzwischen viele organisierte Bereiche – zum Beispiel Health for Future, der Aktionsarm der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit –, in denen sich Menschen aus Gesundheitsberufen vor Ort engagieren, um in den Kliniken, Unis und Kommunen was zu bewegen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel können sie ganz konkret versuchen, den öffentlichen Nahverkehr zu fördern, das Krankenhausessen zu verändern oder die Thematik mehr in der Lehre zu verankern. Der andere Teil ist die Aufklärung. Wenn ich Patientinnen habe, die besonders gefährdet sind – zum Beispiel während einer Hitzewelle –, kann ich sie beraten. Für uns in der Forschung wird auch immer wichtiger, dass wir Feedback aus der Praxis über die konkreten Auswirkungen bekommen, zum Beispiel über Allergien, die sich schon im Februar häufen.
Bei der Gesundheitsprävention wie beim Klimaschutz sind Verhaltensänderungen zentral. Was können diese zwei Bereiche voneinander lernen?
Die können nicht nur voneinander lernen, sondern sind ganz unmittelbar miteinander verbunden. Wenn wir mehr Fahrrad fahren oder mehr zu Fuß gehen, ist das für unsere Gesundheit gut, weil wir uns mehr bewegen. Aber es reduziert auch Emissionen, Feinstaub und Lärmbelastung. Und der größte Hebel in Deutschland, um Krankheitstage zu reduzieren, vorzeitige Tode zu vermeiden und Klimaziele zu erreichen, ist die Ernährung. Aber wenn wir eins aus der Präventionsforschung gelernt haben, dann ist es, dass man das Problem nicht auf das Individuum abwälzen und einfach sagen kann: „Na ja, Sie müssen sich einfach gesünder ernähren.“
Gut, dann sprechen wir über Politik: Auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sind Klima und Umwelt kein Thema.
Dabei haben wir nun einen Gesundheitsminister, der gerade ein Buch über die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels geschrieben hat.
Was ist da los?
Das BMG hat eine Abteilung, die sich mit Umwelt und Klima beschäftigt. Die ist noch neu, aber es gibt sie zumindest. Ich würde aber in der Tat sagen, dass es ein Thema ist, mit dem wir uns lange nicht beschäftigt haben – wahrscheinlich auch, weil es lange für uns nicht so akut spürbar war. Der Gesundheitsminister hat bisher nicht viel dazu gesagt, aber er hat das Thema auf dem Schirm. Und wir bekommen immer mehr Anfragen von Krankenkassen, von Kliniken, von den Fachgesellschaften, die das Thema für sich erkannt haben und interessiert sind, dran zu arbeiten.
Gibt es ganz konkrete Dinge, die politisch einfach und sinnvoll wären?
Ja, es gibt einige Sachen. Zum Beispiel haben wir kürzlich mit Kolleginnen in Österreich gesprochen, wo das Gesundheitsministerium tatsächlich ein kostenloses Beratungsprogramm für Kliniken finanziert, um klimaneutral zu werden.
Doch noch einmal zum Individuum. Was gibt Ihnen Hoffnung?
Das ist eine sehr gute Frage, darüber sprechen wir natürlich viel, weil es oft schwierig ist, sich diese Hoffnung zu bewahren. Was mir Hoffnung gibt, ist, dass sich inzwischen viele Menschen in dem Bereich engagieren, nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Krankenkassen, Kliniken, Parteien, im Stadtrat. Es gibt ja die klimatischen Kipppunkte, aber die gibt es auch im sozialen Bereich.
Und wie wissen wir, wann die erreicht sind?
Wenn die Politik auch unbequeme Entscheidungen für den Klimaschutz fällt, weil sie weiß, dass die meisten Wähler*innen eine unzureichende Klimapolitik nicht mehr akzeptieren.
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