piwik no script img

Folgen der Sanktionen in RusslandEingeübte Unterwürfigkeit

Russische Unternehmer leiden unter den Sanktionen, viele Firmen gehen Pleite. Der Kreml redet sich die Lage schön – und verteilt Geldgeschenke.

Einkaufsstraße in Moskau: Höhepunkt der Krise in Russland angeblich „überwunden“ Foto: Nanna Heitmann/NYT/redux/laif

Moskau taz | Wieder muss Andrei seine Unterlagen vorbereiten. Er muss nachweisen, wann er Verträge abgeschlossen hat, wann Rechnungen nicht bezahlt worden sind. In zwei Tagen steht die nächste Sitzung an – weil wieder ein Kunde Insolvenz angemeldet hat. Andrei hat 1,5 Millionen Rubel verloren (knapp 25.000 Euro). Er glaubt nicht mehr daran, dass er sie zurückbekommt.

„Lauter Pleiten gerade, und unser Staat lässt uns wie eh und je allein“, sagt der Moskauer Kleinunternehmer, der Kostüme und Masken verkauft. So kurz vorm russischen Neujahr, Russlands Familienfest schlechthin, samt Zügen von Karneval, läuft sein Geschäft gut. Vorerst. „Ich habe es satt, mich immer wieder auf neue Situationen einzustellen, weil unsere Regierung immer größeren Bockmist baut. Ich will einfach normal Geschäfte machen. Stattdessen denke ich immer ernsthafter darüber nach, die Läden aufzugeben.“

Andrei will nicht unter seinem echten Namen in einer Zeitung erscheinen. Will auch keine Details über sein Unternehmen bekanntgeben. Er sei einfach müde. Müde von den Kriegsgräueln, die sein Land in der Ukraine begeht. Müde auch von den Diskussionen mit manchen seiner Angestellten, die den Krieg befürworten, müde von den ständigen Umstellungen und der Flexibilität, die er an den Tag legen muss, weil Sanktionen des Westens ein „vernünftiges Arbeiten“ unmöglich machten.

„Seit 2014 läuft es nicht besonders gut für unsere Wirtschaft, seit dem 24. Februar sind wir verloren. Aber der Staat und so viele in meiner Umgebung feiern sich für ihre angebliche Stärke. Jubeln den Präsidenten hoch. Warum können wir nicht einfach normal leben?“

Suche nach Umwegen

Seine Unzufriedenheit kann er kaum öffentlich äußern, der repressive Staat versetzt die Menschen in Angst, nimmt ihnen zuweilen alles. Andrei will nicht ganz pleitegehen – also sucht er nach Umwegen. Die Briten habe er in mehreren persönlichen Gesprächen angebettelt, das Geschäft mit ihm nicht zu beenden, die Chinesen hätten ein Rubel-Konto für ihn eingerichtet, für Europäer habe er ein Konto bei einer russischen Bank eröffnet, die noch nicht vom Swift-System ausgeschlossen ist. „Die Rezession macht mir keine Angst“, sagt Andrei. „Wenn man ohnehin ständig in Angst lebt, alles zu verlieren, interessiert eine Rezession nicht mehr.“

Der russische Staat redet sich die Lage schön. Zuständige sprechen zwar von „Turbulenzen“ und „nie dagewesenem Druck aus dem Westen“, aber auch von „beschleunigter Anpassung“: mittels sogenannter „technologischer Souveränität“, also dem Umschwenken auf eigene Produkte, mögen sie westlichen Waren technisch auch weit hinterher sein. Oder mittels des „Parallelimports“, einer Grauzone, die es möglich macht, Produkte über Drittstaaten zu beziehen.

Maxim Reschetnikow, Russlands Minister für wirtschaftliche Entwicklung, sieht den Höhepunkt der Krise bereits als „überwunden“ an. Um der Bevölkerung seine Schönfärberei schmackhaft zu machen, verteilt der Kreml Geld: an Familien, Rentner*innen, Staatsangestellte. Das Budget für das kommende Jahr beschrieb der Parlamentssprecher Wjatsches­law Wolodin als „das schwerste der vergangenen Jahre“. Moskau prognostiziert ein Minus von umgerechnet 50 Milliarden Euro.

Die Armut hält das Putin-System stabil. Die Wirtschaftsgeografin Natalja Subarewitsch meint, die Menschen im Land pflegten seit Jahrzehnten Vermeidungsstrategien. „Sie finden sich mit allem Schlechten einfach ab“, sagt sie. Unterwürfigkeit und Atomisierung brächten kaum den Wunsch nach Veränderungen, Massenproteste seien so unmöglich, wie sie in einem Youtube-Interview mit der russischen Journalistin Katerina Gordejewa sagt.

Der Staat veröffentlicht seit dem Frühjahr keine Statistiken mehr. Subarewitsch arbeitet mit Hochrechnungen auf Grundlage von Daten, die sie in öffentlichen Datenbanken finden kann. An Arbeitslosigkeit aber werde das Land nicht leiden. „Wenn Technologie fehlt, braucht die Wirtschaft Hände“, sagt sie. Der Staat werde die ständige Verschlechterung der Lage auf diese Weise als Aufschwung verkaufen können. Auch der Unternehmer Andrei kennt diese russische „Na awos“-Haltung, den Ausdruck für „irgendwie wird es schon gehen“. „Die Schicksalsergebenheit hält das System aufrecht“, sagt der Unternehmer.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Ich finde den rusisschen Angriffskrieg abscheulich, aber trotzdem finde ich die Glorifizerungen der Ukraine sehr eigenartig. Es gibt doch sehr viele Ähnlichkeiten zwischen der Ukraine und Russland. Beide gehören laut Transparency International zu den kurupteren Ländern dieser Welt. Auch sind beide Länder noch nicht einmal "unvollständige Demokratien". Wobei man fairerweise sagen muss, dass es sich bei der Ukraine leider noch um ein "Hybridsystem" handelt. Aber es wird ja schon gemutmaßt, dass sich



    Parteienverbote, Ausbürgerung ungeliebter Bürger durch Geheimerlasse, Einschränkung der Pressefreiheit dazu führen könnt, dass die Ukraine auch in die Kategorie "autoritäre Regime" abrutschen könnte. Momentan sieht die Entwicklung für die Ukraine leider sehr schlecht aus, aber vielleicht wird ja ein möglicher EU-Beitritt (auch wenn das weithergeholt ist) zumindestens den Abwärtsttrend dämpfen.

    • @Alexander Schulz:

      Richtig erkannt haben Sie, dass die Entwicklung für die Ukraine momentan schlecht aussieht. Nur sind Sie anscheinend nicht in der Lage zu erkennen warum: die Ukraine ist grade Oper eines verbrecherischen Angriffskrieges durch Russland. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass die Ukraine anders als Russland dabei war sich weiterzuentwickeln. Eine solche positive Entwicklung konnte man im Kreml natürlich nicht zulassen sonst wäre der gemeine Russe am Ende noch darauf gekommen, dass dieses Gesellschaftsmodell dem der russische. Propaganda überlegen ist.

    • @Alexander Schulz:

      Ich kann auch nicht sehen, das die Ukraine unsere westliche Freiheit verteidigt. Und wollen wir wirklich ein zweites Ungarn in der EU oder eine zweite Türkei in der NATO?

  • Im Gegensatz zur Ukraine hat sich die Bevölkerung in Russland nie merklich von der Willkür und dem daraus resultierenden Ohnmachtsgefühl erholt.

    So kann Putin mit seinen KGB-Getreuen das Land immer tiefer in die Dunkelheit führen und ein Ende ist nicht im Geringsten in Sicht.

    Die Abwendung von Russland wiederum bezahlt die Ukraine gerade mit ihrer großflächigen Zerstörung. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: ein florierender ehemaliger Geschwisterstaat, der den Russen zeigen würde, wie viel besser alles funktionieren kann.

    • @Co-Bold:

      Ach was? Die Ukraine hat funktioniert? Das ist mir neu. Korruption ist dort ganz oben angesiedelt. "Pandora Papers", das reicht bis in die Spitze des Staates. Nichts funktioniert dort, außer Korruption.



      www.berliner-zeitu...netzwerk-li.188923

      • @Genderer:

        Korruption lohnt sich viel mehr, wenn was zu verteilen gibt.



        Insofern schließt sich funktionieren und Korruption nicht komplett aus. Ohne würde es besser gehen, klar...

      • @Genderer:

        Wer glaubt, dass in D keine Korruption gibt, der ist weltfremd und schön naiv!



        Schon vergessen, wie die Umstände rund um Nord Stream 2, Manuela Schwesig, Gerhard Schröder... Gasprom und Putin hier in Deutschland waren?! Ja, mit Sicherheit gibt es in der UKR Korruption und viele andere Probleme wie überall aber die Menschen konnten frei leben, so wie sie sind und genau dass war für RUS ein Problem, weil sie nie wirklich diese Freiheit genießen konnten. Darauf kann man schon neidisch werden - offensichtlich. Und dann am besten gleich alles zerstören ... traurig und ganz schön feige, was RUS da anstellen tut!

      • @Genderer:

        "Nichts funktioniert dort, außer Korruption."



        Und wie erklären Sie sich, dass die Ukraine, die ihrer Ansicht "nicht funktioniert", diesem massiven Angriff standhält, und sich erfolgreich dagegen behauptet?

      • @Genderer:

        Die Armee funktioniert gut die hat aus der zweitbesten Armee der Welt die zweitbeste in der Ukraine gemacht.

      • @Genderer:

        Russlands Eliten sind aber genauso oder noch mehr korrupt wie die in der ... ich sag mal ehemaligen... Ukraine. Denn die Ukraine wird denke ich nicht so bleiben wie sie war.



        Russland hat, wie @Celtic schrieb, keinen Grund gehabt einen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen, der nicht auch durch Diplomatie oder andere friedliche Mitteln beigelegt werden könnte. Es geht Putin und Anhängsel ganz trivial und für jeden Normaldenkenden erkennbar um Landgewinn für sein Großreich.

      • @Genderer:

        Panama Papers, Cum-Ex, schonmal gehört?

        Korruption bis in die Spitze des Staates, hier in Deutschland. Mir wäre auch lieber, es gäbe keine Korruption.

        Offensichtlich stehen wir also in Ihrem Weltbild auch auf einer Stufe mit der Ukraine und Russland.

        Der Unterschied ist, dass es in der Ukraine über die letzten 10 Jahre stetig bergauf ging, in Russland die letzten 10 Jahre stetig bergab. Die Ukraine hatte das Potential, in absehbarer Zeit eins der wirtschaftlichen Schwergewichte in Europa zu werden. Das konnte man in Russland nicht mitansehen und wenn man es sich selbst nicht einverlaiben kann, muss es offensichtlich zerstört werden.

      • @Genderer:

        "Nichts funktioniert dort, außer Korruption."



        Das scheint mir dann aber doch ein allzu pauschales Urteil zu sein. Funktioniert hat dort etwa eine demokratische Machtübergabe, etwas das es in Russland zuletzt in den 90ern gab. Ebenfalls gibt es einen allgemeinen Willen zur Veränderung.



        Sicher, die Informationen aus den Pandora Papers werfen berechtigte Fragen auf, aber schließlich muss selbst der verlinkte Artikel einräumen, dass der Besitz einer Wohnung in London oder einer Firmenbeteiligung weder illegal, noch der Beweis von Korruption ist, auch wenn es sicher nicht zum Image als 'Diener des Volkes' passt.

      • @Genderer:

        Aber das Land hat sich auf den Weg gemacht, Richtung besseres Ufer und dabei bereits erhebliche Erfolge erzielt. Genau das hat den Silowikis in Moskau nicht geschmeckt: es darf für die russische Bevölkerung keine Alternative geben, wenn sie ihre Macht erhalten wollen.

      • @Genderer:

        Auch das rechtfertigt in keiner Weise den russischen Angriff gegen die Ukraine und die damit verbundenen Kriegsverbrechen.

        • @Celtic:

          Das hat GENDERER auch nicht behauptet. Nur sollte man halt auch mit realistischem Blick die Ukraine sehen.