Flüchtlingspolitik der Linkspartei: Es geht ums Prinzip
Sahra Wagenknecht spricht sich für Abschiebungen aus – auch weil viele Wähler das so sehen. Da kracht‘s in der Partei. Lob kommt von unerwarteter Seite.
Alles wegen drei Sätzen. Am Tag zuvor hatten die beiden Fraktionschefs ein Pressestatement abgegeben, eigentlich auch ein Routinetermin. Bis Sahra Wagenknecht die Silvesternacht von Köln anspricht. „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt. Das ist in dieser Frage auch die klare Position der Linken“, sagt sie. Ihr Kovorsitzender Dietmar Bartsch hört zu, denkt zwei Minuten nach und schiebt dann eine Ergänzung hinterher: „Das ist übrigens die Rechtslage in Deutschland.“
Im Grunde haben sie damit ja recht. Wer als Ausländer eine Straftat begeht, kann unter Umständen abgeschoben werden. Das Problem ist nur: Gut findet die Linkspartei das eigentlich nicht.
In der Fraktionssitzung müssen sich die Chefs rechtfertigen. Die Wortwahl war unglücklich, gibt Wagenknecht zu. Dann legt sie aber nach: Die Genossen sollten sich doch mal den Rechtsruck in Deutschland anschauen, den Aufwärtstrend der AfD und die Hassmails, die täglich in den Büros der Abgeordneten eingingen. Sie befürchte, dass die Linkspartei mit ihrem aktuellen Kurs den Anschluss verliere – an ihre Wähler und die Gesellschaft.
Die Glaubwürdigkeit gefährden
Das kann man so sehen. Der Großteil der Fraktion sieht es aber anders: Dass sich die Linkspartei als Partei der Flüchtlingshelfer inszeniert, dass sie bisher gegen alle Asylrechtseinschränkungen stimmte, sehen die meisten Abgeordneten als Pluspunkt. Ein Alleinstellungsmerkmal, das nicht mal mehr die Grünen zu bieten haben und das im linksalternativen Milieu Stimmen sichere. Gar nicht zu reden von der politischen Überzeugung: Wähler hin oder her, Abschiebungen lehnen viele Linke aus Prinzip ab.
Kritik an den Fraktionschefs, vor allem an Wagenknecht, kommt während der Sitzung aus allen Lagern. Aus der Mitte der Partei und von den Reformern, die die Fraktionsvorsitzende zuvor schon öffentlich getadelt haben. Aber auch von den Parteilinken, eigentlich Wagenknechts Anhängern, die die Gastrechtdebatte in eine unbequeme Position drängt: Distanzieren sie sich öffentlich von der Aussage der Fraktionschefin, wirken sie illoyal. Distanzieren sie sich nicht, gefährden sie ihre Glaubwürdigkeit.
Am Ende des Abends werden sie froh sein, dass Wagenknecht einlenkt. Zumindest formell. „Straftaten müssen für alle Menschen die gleichen Rechtsfolgen haben. Wir brauchen keine weiteren Strafrechtsverschärfungen“, steht in einer Beschlussvorlage der Fraktion, Wagenknecht stimmt dafür. Noch deutlicher wird der geschäftsführende Parteivorstand. Gastrecht verwirken? Nicht doch. „Die Linke lehnt Abschiebungen ab“, beschließt die Parteispitze.
Und die Täter von Köln?
„Die Sache ist damit für uns erledigt“, sagt am nächsten Tag Parteichef Bernd Riexinger, auch ein Parteilinker. „Ich glaube auch nicht, dass Frau Wagenknecht ausdrücken wollte, dass das Asylrecht zur Disposition steht.“
Wollte sie wirklich nicht. Das sagt sie zumindest, als sie am Mittwochmorgen mit Journalisten spricht. „Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden“, sagt die Fraktionschefin. Und die Täter von Köln? Will sie die jetzt abschieben oder nicht? „Wir sind dafür, bestehende Gesetze anzuwenden“, sagt Wagenknecht und gibt damit zwei Antworten auf einmal. Wer in Köln eine Frau begrabschte, muss laut geltendem Recht zwar eine Strafe fürchten, darf im Normallfall aber in Deutschland bleiben. Keine Abschiebung, das gefällt der Partei.
Dass sie Abschiebungen ablehnt, hat Wagenknecht damit aber noch nicht gesagt. Und das gefällt ganz anderen. „Es ist erfreulich, zu sehen, zu wieviel Realpolitik die Linken manchmal fähig sein können“, sagt am Mittag Alexander Gauland. Und der ist Vizechef der AfD.
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