Finanzsystem und Klimakrise: Wann kommt der Klima-Finanzcrash?
Klima-Experten warnen vor einer neuen Wirtschaftskrise durch die Erderhitzung. Die ökonomischen Modelle würden die Lage unterschätzen.
Ein Problem gibt es dabei aber: Diese Modelle scheinen die Schäden, die die Klimakrise mit sich bringen könnte, immer noch massiv zu unterschätzen. Dabei liefern auch sie schon keine optimistischen Ergebnisse. „Eine Erwärmung von rund vier Grad kann bis 2100 zu einem Rückgang des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 10 bis 23 Prozent führen im Vergleich zum globalen BIP ohne Erwärmung“, schrieb der Weltklimarat IPCC nach einer Auswertung der relevanten Studien zu den üblichen Modellen.
Der britische Thinktank Carbon Tracker warnt nun: Die Annahmen in diesen Modellen würden nicht mehr dem Stand der Klimawissenschaften entsprechen: „Forschungsergebnisse der Klimawissenschaftler deuten darauf hin, dass die Auswirkungen eines Anstiegs um drei Grad (oder noch weniger) ‚katastrophal‘ sein könnten und dass bereits bei einer Erwärmung um ein Grad Kipppunkte des Klimas erreicht werden könnten.“
Die ökonomischen Modelle haben denn auch mehrere Schwachpunkte: Sie gehen davon aus, dass heutige Einkommensunterschiede zwischen Ländern mit unterschiedlichen Temperaturen zeigen, wie sich die Wirtschaftsleistung bei zusätzlicher Erwärmung verändern wird. Der Zusammenhang ist allerdings schwach. Das tropische Singapur hat etwa das gleiche Pro-Kopf-BIP wie Island, und die Dominikanische Republik, die sich mit Haiti eine Insel teilt, hat ein sehr viel höheres Pro-Kopf-BIP als das Nachbarland. Dem Klimaökonomen Richard Tol ist die Herangehensweise seiner Kollegen deshalb zu stark vereinfachend: „Das Klima ist nicht der Hauptfaktor für das Einkommen.“
Dürren und ihre Folgen sind nicht eingepreist
Dass die Modelle sich zu stark auf die Temperatur fokussieren, zeigt sich auch noch in anderer Hinsicht. Die Klimakrise hat schließlich noch andere zerstörerische Folgen. Der Einfluss des Klimas auf Niederschläge wird aber oft nicht berücksichtigt. Dürren und ihre Folgen sind daher nicht „eingepreist“. Dasselbe gilt für Kipppunkte. In den ökonomischen Modellen hängt die Höhe der Schäden allein von der Erwärmung ab. Dass Kipppunkte erreicht werden könnten, bei denen die Schäden sprunghaft zunehmen, bleibt unberücksichtigt.
Trotzdem wurden die Modelle alle in angesehenen Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht. Der Grund dafür ist simpel: Studien von Ökonomen werden nur von anderen Ökonomen begutachtet und nicht von Klimawissenschaftlern. Doch genau diese Studien dienen dann Finanzmarktakteuren für ihre Berechnungen.
Unsinnige Prognosen
Das Financial Stabilty Board, dem alle G20-Staaten angehören, geht etwa davon aus, dass vier Grad Erwärmung nur zu einem Rückgang der Börsenkurse um drei bis zehn Prozent führen. Solche Prognosen dienen dann Beratern für institutionelle Anleger wie der US-Firma Mercer wiederum für ihre Berechnungen. Deren Kunden bekommen dann folgenden Rat, wenn sie nach den Klimafolgen für ihre Portfolios fragen: „Ein 2-Grad-Szenario könnte Renditevorteile für Aktien aus Schwellenländern, Infrastruktur, Immobilien, Holz und Landwirtschaft bringen. Das 2-Grad-Szenario hat für langfristig diversifizierte Anleger auf Gesamtportfolioebene über den modellierten Zeitraum (bis 2050) keine negativen Auswirkungen auf die Rendite.“
Die offensichtlich unsinnigen Prognosen der ökonomischen Modelle finden so Eingang in die Entscheidungsprozesse von vielen, auch großen Finanzmarktakteuren und spiegeln sich schließlich in den Börsenkursen wider. Carbon Tracker schreibt daher: „Es besteht wahrscheinlich eine große Diskrepanz zwischen den aktuellen Kursen – den falschen Erwartungen an künftige Schäden, die sie beinhalten – und den tatsächlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung.“
Der Thinktank befürchtet daher einen „Minsky Moment“. Zu einem solchen kam es etwa im Jahr 2008, als mit einem Mal die Erkenntnis auf den Märkten einschlug, dass die US-Ramsch-Hypotheken tatsächlich keine werthaltigen Anlagen waren. Die Folge war die Weltfinanzkrise. Etwas Ähnliches könnte nun wegen des Klimawandels passieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“