Festnahme von Daniela Klette: Untergrund mit Selfies
Das relativ offene Leben der gefassten Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette wirft Fragen auf. Die Suche nach den Weggefährten geht weiter.
Denn seit Montagabend ist klar: „Claudia“ war Daniela Klette, die frühere RAF-Terroristin. Seit 30 Jahren wurde sie von Ermittlungsbehörden gesucht, zusammen mit ihren Weggefährten Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Bis heute ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen das Trio, zuletzt jagte es die Staatsanwaltschaft Verden, weil die Untergetauchten von 1999 bis 2016 noch sechs Raubüberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verübt haben sollen. Maximal 150.000 Euro Belohnung sind für Hinweise ausgelobt. Doch bis Montagabend half das alles nichts.
Dann erfolgte Klettes Festnahme mitten in der Hauptstadt, ausgerechnet in Kreuzberg, dem traditionell linksalternativen Stadtteil. Im November hatte das LKA Niedersachsen nach eigener Auskunft einen Hinweis aus der Bevölkerung auf die Wohnung bekommen, diese danach observiert. Zielfahnder klopften am Montagabend dann an die Tür. Und Klette ließ sich widerstandslos festnehmen. Über Fingerabdrücke wurde die 65-Jährige laut Polizei zweifelsfrei identifiziert.
Es war das Ende einer beispiellosen Jagd. Klette, Garweg und Staub sollen zur dritten und letzten Generation der RAF gehören – über welche die Ermittler bis heute nicht wissen, wer genau alles dazugehörte. Die Gruppe verübte etwa die Morde an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Klette selbst werden drei Anschläge vorgeworfen: 1990 auf die Deutsche Bank in Eschborn, ein Jahr später auf die US-Botschaft in Bad Godesberg und 1993 auf die im Bau befindliche JVA Weiterstadt.
In ihrem Capoeira-Verein trat Klette öffentlich auf
Klettes Festnahme wurde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bejubelt. Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sprach von einem „Meisterstück“. Aber kann man das wirklich so sagen? Denn offenbar wohnte Klette seit vielen Jahren in Kreuzberg – und kaum versteckt.
Noch am Mittwoch sperrten Polizeibeamte das graue, siebenstöckige Mietshaus in Kreuzberg ab, in dem Klette zuletzt wohnte. Kolleg*innen sicherten in ihrer Wohnung jede Spur. Tags zuvor hatten auch Nachbarn Journalist*innen berichtet, dass die Festgenomme sich „Claudia“ genannt habe. Dass sie schon viele Jahre im Haus lebte, unauffällig freundlich, Nachhilfe habe sie gegeben.
Wie sicher sich Klette offenbar fühlte, zeigen ihre Aktivitäten im örtlichen Capoeira-Verein. Deren Chef und „Mestre“ will sich nicht äußern. Aber Mitstreiterin Corinna Melcher berichtet, dass „Claudia“ schon dabei gewesen sei, als sich die Gruppe vor gut zehn Jahren zusammenfand. Was „Claudia“ sonst noch so mache, da habe sie nie so genau nachgefragt. Ihr Geld bekomme sie vom Jobcenter, soll sie erzählt haben. „Das ist ja noch nichts Besonderes.“ Am Ende, vor rund vier Jahren, habe „Claudia“ dann aber den Verein verlassen. Es habe zwischenmenschlich nicht mehr gepasst, sagt Melcher. „Nichts Dramatisches.“
Zumindest hier in Kreuzberg hatte sich Klette also nicht versteckt. Für ihren Capoeiraverein trat sie auch nach außen hin öffentlich auf. Im Sommer 2018 veranstaltete sie im Namen des Vereins ein Infotreffen für Interessierte in einem Neuköllner Kulturzentrum mit. Auf einem Foto von diesem Tag ist sie zu sehen, untergehakt mit anderen Frauen. Ihre langen, grauen Haare sind zum Zopf gebunden, fast schüchtern schaut sie in die Kamera. Alle Anwesenden würde die „herzliche und schöne Atmosphäre in Erinnerung“ bleiben, steht über dem Bild.
Wenige Likes auf ihrem Facebook-Account
Laut Welt tanzte Klette im Jahr 2011 auch auf dem jährlichen „Karneval der Kulturen“. Fotos zeigen sie in einem weiß-gelben Kleid und mit Stirnband, inmitten einer großen Menge. Sie muss sich sehr sicher gefühlt haben in Berlin.
Und auch sonst war Klette nicht übermäßig vorsichtig. Auch heute noch, zwei Tage nach der Festnahme, finden sich von Klette zahlreiche Spuren im Internet. Seit 2011 betrieb sie ein Profil auf Facebook, unter ihrem Pseudonym „Claudia Ivone“. Dort postete sie vor allem Werbung für ihren Capoeiraverein und Fotos von Pflanzen, Wäldern, Seen. Man sieht sie in bunter Pluderhose in einem Kreis sitzen und mit anderen musizieren. Ein anderes Bild zeigt sie untergehakt mit jungen Leuten auf einer Capoeira-Veranstaltung. Der letzte Beitrag stammt von Anfang 2023: Blumen in den Berliner Prinzessinnengärten – nur wenige hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt.
Viel Resonanz erfuhr sie nicht auf ihrem Profil, nur hin und wieder ein Daumen Hoch für eines ihrer Fotos. Politisch hat sie sich bei Facebook nie geäußert. Einen Hinweis darauf, wo sie politisch steht, gibt nur die Liste der Vereine und Gruppen, die Klette likt: brasilianische Künstler*innen, aber auch Bündnisse und Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, und die taz.
Am Ende war ihr auch ein Podcast-Team auf den Fersen. Im Dezember 2023 erschien bei der ARD der zweiteilige Podcast „Legion“ der Podcast-Firma Undone. In zwei Teilen spürt das Team dem Gerücht hinterher, Daniela Klette lebe unbemerkt in einer deutschen Großstadt. Die Macher*innen kommen Klette tatsächlich auf die Spur – mit Hilfe von Bilderkennungssoftware im Internet. Sie stoßen auf die Bilder Klettes bei dem Berliner Capoeira-Verein. Dort erfahren die Journalist*innen dann ebenfalls, dass Klette seit Jahren nicht mehr aktiv sei. Finden können sie Klette schließlich nicht. „Aber heute wissen wir, dass wir ziemlich nah an ihr dran waren“, sagt Patrick Stegemann, der den Podcast mitproduziert hat.
Klette droht eine mehrjährige Haft
Wie kann es sein, dass Journalist*innen eine untergetauchte Terroristin fast finden, die Polizei in mehreren Jahrzehnten Ermittlungsarbeit aber nicht? Und war es womöglich die Podcast-Recherche, die im November den entscheidenden Anstoß bei der Polizei gab und jetzt zur Ergreifung von Klette führte? Stegemann, der Podcast-Produzent, kann dazu nichts sagen, auch die Staatsanwaltschaft Verden wollte sich am Mittwoch nicht äußern.
Ob Klette auch noch Kontakt in die linke Szene hielt, blieb vorerst offen. Die gebürtige Karlsruherin war in den 70ern Teil der Anti-Nato-Bewegung und Roten Hilfe. In den Untergrund soll sie 1989 gegangen sein – kurz nach dem Herrhausen-Attentat. Die Szenesolidarität bleibt vorerst überschaubar. In Hamburg hisste am Mittwoch die Rote Flora ein Solidaritätsbanner. „Viel Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“, schrieb der Solidaritätsverein Rote Hilfe schon 2016 in seiner Mitgliederzeitung. Bundesvorständin Anja Sommerfeld nennt die Festnahme Klettes das Ergebnis einer „jahrzehntelangen Verfolgungswut“ und eines „staatlichen Rachebedürfnis“. Es sei zu befürchten, dass in dem neuerlichen RAF-Verfahren „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und Reuebekundungen zu erpressen“.
Tatsächlich droht Klette, die nun in der JVA Vechta sitzen soll, eine mehrjährige Haft. Da bei den Raubüberfällen auch Schüsse fielen, laufen die Ermittlungen hier auch wegen versuchten Mordes. Als politisch motiviert sah die Staatsanwaltschaft diese Taten nicht mehr, dennoch wiegen die Delikte schwer. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist zwar verjährt, nicht aber die Vorwürfe zu den Anschlägen in Eschborn, Bad Godesberg und Weiterstadt, bei denen jeweils DNA von Klette gefunden wurde. Personen wurden damals nicht verletzt, dennoch prüft die Bundesanwaltschaft, ob auch sie noch einen Haftbefehl gegen Klette verhängt.
Weiter auf der Flucht sind Garweg und Staub. Noch am Dienstag hatte das LKA die Hoffnung, einen der beiden erwischt zu haben, ein weiterer Mann wurde in Berlin festgenommen. Vom LKA hieß es am Mittwochmorgen dazu, der Betroffene sei „zweifelsfrei“ nicht Garweg oder Staub und wieder freigelassen. Nachmittags vermeldeten Medien eine weitere Festnahme im RAF-Fall – die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern. Doch auch hier kein Treffer: „Es wird weiter nach den zwei Gesuchten gefahndet“, erklärte eine LKA-Sprecherin.
Schon im Dezember hatte die Staatsanwaltschaft Verden nochmal Familienangehörige und vermeintliche frühere Bekannte des RAF-Trios zu Befragungen geladen. Zuletzt wurde der Fall auch über die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ausgestrahlt, 250 Hinweise erfolgten im Anschluss.
Die Ermittler hoffen jetzt aber vor allem auf Hinweise von der Festnahme und aus der Wohnung von Klette. Bisher wurden dort etwa zwei Magazine und Munition beschlagnahmt, aber keine Waffe. Eine könnte wohl sagen, wo Staub und Garweg sind: Aber Daniela Klette schweigt bisher.
Aktualisiert und ergänzt am 29. 02. 2024 um 08:15 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers