Festakt zum Nato-Geburtstag: Hauptsache, der Afghane ist schuld
Über ihre eigenen Fehler will die Nato auch im hohen Alter kaum sprechen. Ein Verhalten, das bei Afghanistan längst auf andere Debatten abfärbt.
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W ährend die Nato ihren 75. Geburtstag feiert, verdrängt sie weiterhin ihr Versagen am Hindukusch. Dort jährt sich der katastrophale Abzug des Militärbündnisses sowie die Rückkehr der militanten Taliban demnächst zum dritten Mal. Wir erinnern uns: Im August 2021 zog die Nato unter der Führung der USA mit Ach und Krach aus Afghanistan ab.
Tausende von Menschen hofften daraufhin auf eine Evakuierung am Kabuler Flughafen, während die neuen, alten Machthaber triumphierend durch die Straßen zogen. Der afghanische „Saigon-Moment“ gilt als historische Niederlage der Nato. Viele Beobachter sind sogar der Meinung, dass er erst die russische Invasion der Ukraine ermöglichte, denn Putin fühlte sich umso motivierter, als er die schwindende Macht des Westens sah.
Doch während viel über die Ukraine gesprochen wird, scheint Afghanistan vergessen worden zu sein. Seit dem Abzug und dem damit verbundenen Scheitern westlicher Politik in der Region sollte es nicht nur innerhalb der Nato viel Raum für Selbstkritik und Verantwortungsgefühl geben.
Alle Staaten, die sich am Krieg beteiligten, müssen sich die Frage stellen, wofür zwanzig Jahre lang Hunderttausende Menschenleben geopfert und Ressourcen in Trillionenhöhe verschwendet wurden. Dies betrifft natürlich auch Deutschland, das sich an Kampfhandlungen aktiv beteiligte, Zivilisten bombardieren ließ und mit korrupten Politikern und Kriegsverbrechern zusammenarbeitete.
Doch von Selbstreflexion fehlt weiterhin jede Spur. Die Enquete-Kommission zum Afghanistan-Einsatz behandelt westliche Vergehen nur am Rande. Ein Großteil ihres zuletzt erschienenen Zwischenberichts lädt die Schuld auf afghanische Schultern. Zu den verantwortlichen „Experten“ gehören teils Personen, die keinerlei Expertise zu Land und Region vorweisen können.
Ein Hass, der die Politik erreicht hat
Währenddessen hat sich das Bundesaufnahmeprogramm des Auswärtigen Amtes für gefährdete Afghanen und Afghaninnen als großer Reinfall entpuppt. Die zahlreichen Hürden deutscher Bürokratie treffen hier auf die knallharten Realitäten vor Ort.
Viele Menschen, die es im August 2021 eben nicht rausschafften, harren weiterhin aus. Hinzu kommt, dass das Programm regelmäßig von rechtspolitischen Akteuren im Kontext hiesiger Migrationsdebatten torpediert wird.
„Auch in den Ämtern sitzen Menschen, die denken: Jeder Mann mit Bart und jede Frau mit Kopftuch wäre einer beziehungsweise eine zu viel“, meinte vor einigen Monaten ein befreundeter deutscher Journalist. Er und ich warten weiterhin auf unsere Kollegen, die sich den Taliban-Repressalien tagtäglich stellen müssen.
Düstere Aussichten
Ein Blick in die Zukunft könnte pessimistischer nicht sein. Zuletzt wurde bekannt, dass die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) sich aus Afghanistan zurückzieht und fragwürdige Sicherheitsverfahren das Aufnahmeprogramm zusätzlich erschweren. Außerdem spielen immer mehr Politiker, einschließlich des Bundeskanzlers, mit dem Gedanken, Geflüchtete ins Taliban-Emirat abzuschieben.
Ein Schritt, von dem vor allem die extremistischen Machthaber profitieren würden. Und ja, es geht in diesen Debatten meist um Straftäter. Doch zur unbequemen Wahrheit gehört auch, dass „wir“, das aufgeklärte und ach so tolle Europa, Todesstrafe und Folter abgeschafft haben. Eine Errungenschaft, die eigentlich auch für nicht deutsche Mörder und Vergewaltiger gelten sollte.
Hinzu kommt, dass wahrscheinlich auch zahlreiche unbehelligte Menschen aus Afghanistan abgeschoben würden, sobald die Büchse der Pandora geöffnet ist. Nichts anderes geschah noch vor wenigen Jahren – vor der Rückkehr der Taliban. Stichwort „Seehofers 69“.
Doch all diese Dinge scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Nicht nur in Deutschland scheint man sich einig zu sein, dass an allen möglichen Miseren Afghaninnen und Afghanen Schuld sind. Umso weniger überraschend ist der Anstieg von anti-afghanischem Rassismus. „Afghanen? Woll ma koane!“, schrie eine Immobilienmaklerin aus Tirol jüngst meinen Freund durchs Telefon an. Wohnungen für Menschen aus Afghanistan stünden nicht zur Verfügung.
Ein Hass, der längst die Politik erreicht hat, wie die Äußerungen des CDU-Abgeordneten Detlef Gürth aus Sachsen-Anhalt verdeutlichen. Er bezeichnete alle Menschen afghanischer Herkunft zuletzt als „Pack“.
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