Feministinnen unter Leistungsdruck: Zu allem fähig, zu Tode erschöpft
Feministisch geprägte Frauen haben Leistungsdruck mit Freiheit verwechselt. Doch ihr Erfolg wird ihnen geneidet. Es ist Zeit für einen Generalstreik.
Letzte Woche traf ich mich mit einer Freundin im Teenageralter zum Kaffeetrinken. Sie ist in ihrem letzten Schuljahr und wurde gerade an einer der besten Universitäten des Landes angenommen. Schon jetzt ist sie eine erfolgreiche Autorin und Aktivistin. Sie ist ehrgeizig, wortgewandt und wunderschön. Sie ist, wie eine junge Frau sein sollte. Und doch ist sie todunglücklich.
Meine junge Freundin bemüht sich, gut auf sich selbst achtzugeben. Sie schickt mir regelmäßig mitten in der Nacht SMS-Nachrichten, wenn sie noch wach ist und für die Schule büffelt, nur wenige Stunden bevor es schon wieder Zeit ist aufzustehen und zum Unterricht zu gehen.
Sie hat nicht die Zeit, sich emotional mit dem Missbrauch auseinanderzusetzen, den sie bereits durch Männer erlitten hat. Sie ist wegen einer Essstörung stationär behandelt worden und kürzlich vor Erschöpfung zusammengeklappt. Je mehr sie erreicht, umso mehr scheinen die Erwachsenen in ihrem Leben von ihr zu erwarten. Zumal sie eine junge Frau of colour mit nicht traditionellem Hintergrund ist.
Sie hört fast nie, dass sie so, wie sie ist, gut genug ist. Und das Traurigste daran ist, dass dieses Mädchen kein Einzelfall ist – es ist die Geschichte zahlloser junger Frauen, die ich kenne, die unter dem Druck einer Gesellschaft zusammenbrechen, die ihnen vorhält, dass egal, wer sie sind, und egal, was sie tun, sie nicht genügen. Und nie genügen werden. Es scheint, als sei der beste Weg, junge Frauen davon abzuhalten, etwas zu erreichen, sie zu zwingen, alles zu erreichen.
Es fehlt an Durchschlagskraft
Während meine Freundin ihren Kaffee trank, merkte ich, wie ich in Rage geriet und mich fragte, wieso wir immer noch jungen Frauen beibringen, sich selbst zu hassen. Der Druck ist heutzutage sogar noch stärker als zu der Zeit, als ich meinen Zusammenbruch als Jugendliche hatte. Feministische Ideen durchzucken die Popkultur, doch junge Frauen stehen heute stärker auf dem Prüfstand als je zuvor. Mit immer mehr Botschaften, die ihnen verkünden, härter zu arbeiten und weniger Raum zu beanspruchen. Wir haben uns dazu hinreißen lassen zu glauben, dass der Druck, höchste Leistungen in jedem Bereich des spätkapitalistischen Lebens – sei es in der Schule, bei der Arbeit oder in Liebe und Beziehung – zu erbringen, gleichbedeutend sei mit Freiheit für Frauen.
Stimmt nicht. Es gibt einen Spruch unter den mir nahestehenden Feministinnen. Der geht so: „Herr, gib mir das Selbstvertrauen eines mittelmäßigen Mannes.“ Es ist für jedeN schwer, in einer Welt voller Einschränkungen aufzuwachsen, die in sich selbst zusammenzufallen scheint. Aber es ist immer noch schwerer, als Frau in dieser Welt aufzuwachsen.
ist 29 Jahre alt. Die Autorin und Bloggerin ist laut Zeit die „wichtigste junge Feministin“ der Gegenwart. International bekannt wurde sie mit dem Buch „Fleischmarkt – weibliche Körper im Kapitalismus“. Auf Deutsch erschien soeben ein Band mit Short Stories: „Babies machen und andere Dinge“. Diesen Text hat Laurie Penny exklusiv für die taz-Sonderausgabe zum Internationalen Frauentag geschrieben.
Wenn junge Männer größeres Selbstbewusstsein haben, so liegt das nicht daran, dass sie stärker und mutiger sind. Es liegt daran, dass sie sich nicht jahrzehntelang anhören mussten, dass sie nicht gut genug, nicht dünn genug, nicht nett genug, nicht hübsch genug, nicht klug genug und nicht schnuckelig genug seien. Junge Männer haben ihre Pubertät nicht damit verbracht, erzählt zu bekommen, dass einerseits ihre Sexualität gefährlich sei und sie Selbstbeherrschung zeigen müssten. Doch dass sie andererseits immer sexy für andere Leute aussehen sollen.
Was auch immer sie leisten, junge Frauen können davon ausgehen, dass sie von denjenigen angegriffen oder lächerlich gemacht werden, die ihnen ihren Erfolg übel nehmen. Sie müssen – und das viel zu oft – damit rechnen, von Männern sexuell belästigt oder körperlich misshandelt zu werden. Männer, die in dem Glauben aufgewachsen sind, Frauen seien keine echten Lebewesen mit eigener Handlungsfähigkeit. Junge Frauen bekommen Druck, aber keine Durchschlagskraft. Sie bekommen Pflichten, aber keine Macht. Sie sollen keine Liebe und Fürsorge verlangen, doch werden selbst dazu ermuntert, andere Menschen zu lieben und zu umsorgen, bis nichts mehr für sie selbst übrig ist.
Selbst in den radikalen Bewegungen und Subkulturen, denen ich angehört habe, werden Frauen abgewiesen, die nicht als schön gelten und verspottet, wenn sie ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck bringen und Leitungsfunktionen übernehmen. In Kultur, Kunst und Politik werden Frauen nicht ermutigt, quer zu denken oder diejenigen zu sein, die Risiken eingehen oder als Exzentrikerinnen die Gesellschaft mit ihrer Kunst und ihren Ideen voranzubringen. Stattdessen legt man uns nahe, uns anzupassen. Und die Tatsache, dass das heutzutage bedeutet, dass wir außer perfekten Frauen, Müttern und Geliebten auch noch perfekte Schülerinnen und perfekte Arbeitskräfte sein müssen, befreit uns nicht.
Hart arbeiten, flink denken
Was wäre, wenn junge Frauen und queere Personen in Streik treten würden? Was wäre, wenn wir uns weigerten, die Arbeit, die allseits von uns erwartet wird, umsonst zu verrichten, um das Leben im Spätkapitalismus etwas erträglicher zu gestalten? Was wäre, wenn wir uns schlichtweg weigerten – und sei es nur für kurze Zeit –, hübsch auszusehen, freundlich zu lächeln und unsere Freizeit damit zu verbringen, uns um alle anderen zu kümmern?
Was wäre, wenn wir aufhörten, seelische, affektive und fürsorgliche Arbeit gegen geringe oder ganz ohne Bezahlung zu leisten? Aufhörten zu glauben, dass unsere Leben und Körper nicht uns gehören? Dass Schönheit und Anpassung der Tribut seien, den wir der Welt für unsere Existenz schuldig sind? Die sozioökonomische Grundlage der modernen Gesellschaft wäre bis ins Mark erschüttert. Aber das ist nicht wichtig – sei’s drum. Viel wichtiger wäre, dass die jungen Frauen und queeren Personen des frühen 21. Jahrhunderts unter Umständen, ganz eventuell, das Vertrauen wiederentdecken würden, das sie bräuchten, um eine bessere, unerschrockenere und liebenswürdigere Gesellschaft zu schaffen. Vielleicht, ganz eventuell, würde es ihnen dann gelingen, ihre Körper, ihre Leben und ihre Träume ganz auszuleben.
Heute sind junge Frauen, queere Personen und people of colour dazu erzogen worden, hart zu arbeiten, schnell zu denken und gegen enorme Widerstände anzugehen, wenn sie überleben wollen, und zwar unter Verwendung aller technologischen Möglichkeiten, mit denen sie aufgewachsen sind – anstelle der Stabilität, deren sich die Generation ihrer Eltern noch erfreuen konnte. Sie haben gelernt, Erwachseneneinrichtungen zu misstrauen und sich aufeinander zu verlassen, wenn sie Unterstützung brauchen. Vielleicht hätten die, die vom Status quo profitieren, besser nachdenken sollen, bevor sie die jungen Menschen mit all dem Handwerkszeug ausrüsteten, das sie brauchen, um die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Unsere Kultur verwendet endlose Energie darauf, junge Menschen und queere Personen davon abzuhalten, sich ihrer eigenen Macht bewusst zu werden. Denn wenn sie es tun, wird die Hölle los sein.
Nachdem ich mich von meiner jungen Freundin verabschiedet habe und ihr nachschaue, wie sie auf der Hauptstraße entschwindet, ertappe ich mich selbst dabei, dass ich denke: Liebling, wenn du es schaffst – und ich glaube, dass du es schaffen wirst –, dann wird die ganze Welt erbeben.
Übersetzt aus dem Englischen von Birgit Kolboske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus