piwik no script img

Experte über Corona und Pflegekräfte„Keine Impfung für Betreuerinnen“

Pflegekräfte in Privathaushalten sind in der Impfstrategie nicht vorgesehen. Integrationsforscher Niklas Harder kritisiert die Bundesregierung dafür.

Pflege- und Betreuungskräfte in Privathaushalten haben bisher keinen Zugang zur Corona-Impfung Foto: Westend61/imago
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Herr Harder, nach Schätzungen gibt es 100.000 oder mehr osteuropäische Pflege- und Betreuungskräfte in privaten Haushalten in Deutschland. Haben die Frauen Zugang zu Impfungen gegen Corona?

Niklas Harder: Nein, diese Gruppe wird in der Impfstrategie der Bundesregierung bisher nicht berücksichtigt. Bisher wird nur das Pflegepersonal, das in Deutschland in Heimen und bei ambulanten Diensten angestellt ist, bevorzugt geimpft. Die Gruppe der osteuropäischen Betreuerinnen müsste unbürokratisch Zugang zu Impfungen erhalten, etwa in den Impfzentren.

In welcher Form sind diese Hilfspflegerinnen beschäftigt?

Einige sind direkt bei den Privathaushalten angestellt und versichert. Andere werden etwa über polnische Zeitarbeitsfirmen und deutsche Agenturen in die Haushalte entsandt. Dann gibt es Hilfspflegekräfte, die offiziell nur zeitweise in dem Haushalt beschäftigt sind, aber viel länger dort arbeiten. Und natürlich existieren auch reine Schwarzarbeitsverhältnisse.

Haben diese Betreuungsformen während der Pandemie zugenommen?

Die Agenturen, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass die Nachfrage nach Hilfspflegekräften für private Haushalte während der Pandemie gestiegen sei. Manche Pflegeheime haben ja schon während des ersten Lockdowns keine neuen Pflegebedürftigen mehr aufgenommen. Manche Menschen hatten auch Angst, ihre Angehörigen nicht mehr besuchen zu können, wenn diese ins Heim kämen.

Agenturen berichten, dass es schwieriger geworden sei, Pflegekräfte anzuwerben.

Bild: DeZIM
Im Interview: Niklas Harder

35, ist Integrationsforscher am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin.

Das stimmt. Viele Betreuerinnen sagten uns, dass sie während der Pandemie lieber in Polen bleiben wollten. Agenturen berichteten, dass sie sogar im polnischen Fernsehen aufgetreten sind, um neue Pflegekräfte zu gewinnen. Manche Agenturen gewährten Sonderzahlungen.

Verfügen die Frauen über Schutzmaterial?

In der Online-Befragung der Betreuerinnen zeigte sich, dass die meisten zwar mit Schutzmaterial ausgestattet waren. Dieses wurde in den meisten Fällen selbst organisiert oder von Angehörigen gestellt. Wir vermuten aber, dass viele Frauen in Privathaushalten aus praktischen Gründen ohne Masken arbeiten.

Ließen sich die Frauen vorher auf Corona testen?

Danach haben wir nicht gefragt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass manche Familien heute einen Schnelltest verlangen, bevor die Betreuerin in den Haushalt kommt.

Gab es Hilfspflegekräfte, die infiziert sind?

Wir haben durch die Online-Befragung bislang 100 Betreuerinnen erreicht. Davon erklärten drei, sich infiziert zu haben. Das ist eine kleine Zahl, prozentual gesehen aber ein höherer Anteil als in der Gesamtbevölkerung in Deutschland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Mein Freund arbeitet in der ambulanten Betreuung von Beatmungspatienten und wird auch nicht geimpft. Dies hat absolut nichts mit der Herkunft der Pflegekräfte zu tun und ein Migrationsforscher sollte sich deshalb dazu auch nicht äußern und damit diesen Eindruck erwecken.

  • Eine Pflegekraft in einem Haushalt hat minimale Kontakte: eine oder zwei Personen. Der gewaltige Unterschied zu Pflegepersonal in Heimen sollte bekannt sein.

  • ...was allerdings auch irritiert: Medienberichten zufolge, ist die Impfbereitschaft von PlegerInnen in Heimen und Einrichtungen gering. Demnach haben sich in einigen Heimen weniger als 25% des Pflegepersonals impfen lassen - Coronaleugner oder Unsicherheit über die Nachwirkungen?

  • Die eine Frage ist, ob europäische Arbeitskräfte, die vorübergehend im Ausland arbeiten, in ihrem Heimatland geimpft werden, oder an ihrem Arbeitsort.

    Die andere Frage ist, ob pflegende Angehörige mit höherer Priorität geimpft werden.

    Bei Pflegerinnen und Pflegern, die eine ganze Reihe von hilfsbedürftigen betreuen, ist klar, dass sie besonders gefährdet sind, und bei einer Infektion mehrere Patienten anstecken könnten.

    Wer jedoch 'nur' eine Person betreut, die zudem schon durch eine Impfung geschützt ist, sollte vielleicht als Anerkennung ein Recht auf eine schnellere Impfung haben. Zum Selbst- oder Patientenschutz wäre eine höhere Impfpriorität allerdings nicht erforderlich.

  • Bei dem Pflegepersonal in Heimen und in der ambulanten Pflege entsteht die besondere Gefährung, womit die bevorzugte Impfung gerechtfertigt wird, durch den wechselnden Kontakt.

    Die hier gemeinten Betreuerinnen arbeiten jedoch im Regelfall nur in einem Haushalt.

    Ein wechselnder Kontakt ist nicht die Regel.

    Es wäre interessant gewesen, wenn begründet worden wäre, wodurch in diesen Fällen die besondere Gefährdung entsteht und wo die Abgrenzung zu jedem anderen, der pflegebedüftige Angehörige oder Nachbarn betreut, liegt.

  • Diese Pflegehilfskräfte aus Osteuropa sind meist dauerhaft bei nur einer Person im Einsatz. Wie pflegende Angehörige. Im Gegensatz zu pflegenden Angehörigen haben diese Pflegehilfskräfte aber weniger Sozialkontakte in D. Somit sollte man sich zuerst auf die pflegenden Angehörigen konzentrieren.

  • "Denn die einen sind im Dunkeln



    und die andern sind im Licht



    und man siehet die im Lichte



    die im Dunkeln sieht man nicht."

    Bert Brecht