Europas Flüchtlingspolitik: Auf der Flucht sind nicht alle gleich

Europa misst beim Umgang mit Geflüchteten mit zweierlei Maß. Die Ukrainer werden warmherzig empfangen – Menschen aus anderen Regionen nicht.

Menschen auf einem Bahnsteig.

Flucht vor dem Krieg: Ukrai­ne­r:in­nen warten in Lviv auf einen Zug nach Polen Foto: Pavlo Palamarchuk/Zuma/wire

Glück für Deutschland, dass Russland die Ukraine nicht vor der Bundestagswahl überfallen hat. Nicht auszudenken, wie sich die Parteien bei einem Einmarsch im August 2021 statt im Februar 2022 wohl gegenseitig überboten hätten im rhetorischen Wettlauf um die höchsten Rüstungsausgaben und die entschlossensten Sanktionen – in der stillen Erwartung, dass die Zeit bis zum Wahltag noch lang ist, sie danach vielleicht doch nichts davon umsetzen müssen und bis dahin alles an Angela Merkel hängenbleibt.

Andererseits aber wäre dann den Deutschen das beschämende flüchtlingspolitische Wahlkampfmantra „2015 darf sich nicht wiederholen“ erspart geblieben. Denn heute gilt dieser Spruch nicht mehr – weil Europäer um Einlass bitten, nicht Afghanen wie im Spätsommer 2021, Syrer wie 2015, oder Afrikaner wie jedes Jahr.

Auf der Flucht vor dem Krieg sind nicht alle gleich. Das bezieht sich nicht so sehr auf die teils hässlichen Vorgänge auf den Fluchtrouten aus der Ukraine, wo manche Nichteuropäer von Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe berichten. Es geht darum, dass die Tore der EU jetzt offenstehen, aber eben ausnahmsweise und selektiv.

Es ist völlig richtig und im Grunde selbstverständlich, dass europäische Länder, darunter endlich und verspätet auch Deutschland, uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine und ihren Menschen üben – nicht nur in politischen Sonntagsreden, sondern mit tatkräftigem Engagement, das vom Militär bis tief in die Gesellschaft reicht.

Das aktive Eintreten für die Opfer des brutalsten Angriffskriegs in Europa seit 1945 eint den Kontinent und seine Menschen in beeindruckender Weise. Die Bevölkerung der Ukraine wird nicht ausgeschlossen, sondern warmherzig aufgenommen und begrüßt wie nicht einmal die Syrer nach der Überwindung der Balkanroute im Herbst 2015. 2015 gab es für geflüchtete Syrer in Ungarn Schlagstöcke und Stacheldraht. 2022 dürfen geflüchtete Ukrainer in Ungarn gratis Eisenbahn fahren.

Unbarmherzige Ausgrenzung

Um so deutlicher tritt ins Auge, wie unbarmherzig nach wie vor Fliehende aus anderen Weltregionen in Europa ausgegrenzt werden. Auf den griechischen Inseln sitzen Boat People in Internierungslagern fest. Im französischen Calais ist Essensausgabe an herumirrende Geflüchtete verboten. An der polnischen Ostgrenze bleiben die Einrichtungen zur gewaltsamen Abwehr außereuropäischer Migranten intakt.

Über 2.700 Migranten starben laut der Internationalen Organisation für Migration der UN im vergangenen Jahr auf den Fluchtrouten in und nach Europa. Es brauchte dazu keine russische Artillerie und keinen Angriffskrieg. Es war einfach der ganz normale Alltag europäischer Politik. Wie gut, dass dieser Alltag für die Menschen aus der Ukraine jetzt nicht mehr gilt. Wie niederschmetternd für alle anderen.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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