Energiekrise: Die Fracking-Frage, zweite Runde
Eigentlich schien die Sache erledigt, doch plötzlich fällt auch in Deutschland das Wort Fracking wieder auffallend häufig. Vor allem bei der FDP.
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Als sie und ihr Mann Mitte der nuller Jahre nach Lancashire zogen, hätten sie sich auf den Ruhestand und unaufregende Zeiten gefreut, erzählt die frühere Versicherungsmaklerin. Doch die Ruhe hielt nur wenige Jahre, dann musste sie zusehen, wie Arbeiter auf eine Wiese gegenüber ihrem Haus einen Bohrturm und eine Gasfackel bauten.
Was dann geschah, bezeichnet Holliday heute als Albtraum: Die Frackingbohrungen lösten in den Jahren 2018 und 2019 Hunderte kleinere Erdbeben in Little Plumpton aus. „Wir waren in unserer Küche und hörten plötzlich, wie in den Schränken die Töpfe und Gläser hin und her klapperten. Das war ziemlich beängstigend“, erzählt sie. Die Messgeräte des Britischen Geologischen Dienstes zeichneten schließlich ein Beben der Stärke 2,9 auf. Es war so heftig, dass die britische Regierung beschloss, nach mehr als einem Jahrzehnt das Fracking im gesamten Land einzustellen.
Zur Methode: Beim Fracking wird mit hohem Druck ein Cocktail aus Wasser und Chemikalien in den Boden gepresst. Aus den entstehenden Rissen im Stein soll das Gas entweichen. Das Verfahren kann, abgesehen von Erdbeben, weitere schwerwiegende Folgen haben. Unlängst dokumentierte eine Studie, dass Menschen in der Nähe von Frackingbohrstellen einem höheren Risiko ausgesetzt sind, an schweren Krankheiten wie etwa Leukämie zu erkranken. Ein Report aus dem Jahr 2019 stellt zudem fest, dass Fracking in Nordamerika in den vergangenen zehn Jahren „zu mehr als der Hälfte aller weltweit gestiegenen Emissionen aus fossilen Brennstoffen beigetragen haben könnte“.
Dieser Text ist eine Recherche von Investigate Europe, einem Zusammenschluss europäischer Investigativ-JournalistInnen. Gemeinsam recherchieren sie in elf europäischen Ländern. Ihre Recherchen erscheinen in verschiedenen deutschen und europäischen Zeitungen.
Russlands Angriffskrieg eröffnet neue Frackingdebatte
Nach und nach verbannten europäische Staaten diese Gasförder-Methode: Frankreich (2011), Bulgarien und Dänemark (2012), Niederlande (2015), Deutschland (2017) sowie Großbritannien im Jahr 2019. Fracking war gescheitert.
Doch plötzlich rückt die Technologie wieder in die Debatten um Gasgewinnung – angesichts der akuten Energiekrise in Europa. Im Boden der europäischen Staaten sollen nach Schätzungen etwa 14 Billionen Kubikmeter Schiefergas ruhen. In Deutschland fällt die FDP mit Forderungen zur Förderung auf – deren Vorsitzender Christian Lindner sagte zuletzt, Gasvorkommen in Deutschland „müssen erschlossen werden“, auch mittels Fracking. „Da, wo es vertretbar ist“, schränkt er ein – doch wo ist das? Der energiepolitische Sprecher der FDP, Michael Kruse, äußerte sich im Gespräch mit Investigate Europe überzeugt: „Mit Schiefergasförderung in Deutschland könnten wir unsere Energiesouveränität steigern.“
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar sind die russischen Gaslieferungen um 75 Prozent zurückgegangen. Stattdessen importieren europäische Staaten nun dreimal so viel Gas aus den USA wie vor Kriegsbeginn – darunter auch solches, das per Fracking gewonnen wurde. Gas auf diese Weise in Deutschland zu fördern, sei 20 Prozent sauberer, als es aus den USA zu importieren, argumentiert Kruse. „Wenn wir dieses Erdgas mit möglichst geringen Umwelt- und Klimaauswirkungen in Deutschland fördern können, dann besteht darin sogar eine Chance, die Klimabilanz des verwendeten Erdgases in Deutschland zu verbessern.“
Diese Behauptung weist Werner Zittel klar zurück. Der Energieexperte, der 2016 ein umfassendes Buch zu Fracking veröffentlichte, ist sich sicher: Würde in Deutschland gefrackt, drohe „die Verwüstung ganzer Landstriche“. Denn, so rechnet Zittel in einer E-Mail an Investigate Europe vor: Um nur 1 Prozent des deutschen Gasbedarfs mit Fracking in Deutschland zu decken, müssten jedes Jahr zwischen 180 und 240 neue Bohrungen durchgeführt werden. Unter dem „ginge die Fördermenge sofort zurück“, schreibt Zittel. Im dicht besiedelten Deutschland sei industrielles Fracking daher „Unsinn“.
Auch die Koalitionspartner der frackingbegeisterten FDP haben andere Vorstellungen: „Eine Aufhebung des Frackingverbots kommt nicht in Betracht“, sagt die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, auf Anfrage. Klimaschutz und der Aufbau neuer Technologien „verlangen, Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien zu konzentrieren“. Ähnlich kritisch äußern sich die Grünen. Das im vergangenen Jahr verabschiedete Klimaschutzgesetz sieht vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden muss. „Investitionen in neue Frackingbohrungen, die Investoren dann viele Jahre lang nutzen wollen, erschweren das Erreichen dieser Ziele“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Ingrid Nestle.
Um die Chancen und Gefahren der Frackingtechnologie einschätzen zu können, hatte die Bundesregierung eine Expertenkommission eingesetzt. Deren Leiterin, die Potsdamer Geophysikerin Charlotte Krawczyk, sagt mit Bezug auf die jüngste Entwicklung: „Fracking kann keine kurzfristige Lösung für die Energiekrise sein.“ Bevor Deutschland mit dem Fracking beginnen könne, würde es drei Jahre dauern. Denn: „Wir müssten die Wassergesetze ändern, den Unternehmen die Möglichkeit geben, Konzessionen zu beantragen sowie alle öffentlichen und nichtstaatlichen Stellen einbeziehen.“ Da Deutschland dichter besiedelt ist als die USA, gebe es zudem weniger Gebiete, in denen Bohrungen durchgeführt werden könnten. Auch müsste genau überwacht werden, ob Fracking Wasser verschmutze oder das stark klimawirksame Methan austrete.
Die Frackingrufe der Liberalen stoßen in Deutschland also auf breite Ablehnung von Experten und Koalitionspartnern. In Großbritannien hingegen kündigte die neue Premierministerin Liz Truss kurz nach Amtsantritt an, das Verbot dieser Art der Gasgewinnung aufzuheben. Dadurch könne „schon in sechs Monaten Gas gefördert werden“, sagte Truss. Damit widersprach sie der Einschätzung ihres Vorgängers Boris Johnson, dass ein solcher Schritt die Energiekrise nicht lösen würde.
Britische Behörden beginnen nun, eine mögliche Fracking-Renaissance vorzubereiten. Eigentlich hätte das Bohrloch vor Susan Hollidays Haus in diesem Sommer verschlossen werden müssen, da es jahrelang nicht genutzt wurde. Doch jetzt warfen örtliche Behörden ihre Pläne um. Der frühere Betreiber der Bohrlöcher, Cuadrilla Resources, müsse zudem keine neue Umweltverträglichkeitsprüfung vorlegen, wenn der Betrieb wieder aufgenommen wird. Geschäftsführer Francis Eagan frohlockt in einem Statement: „Es gibt Billionen Kubikmeter Schiefergas unter unseren Füßen, hier in Großbritannien, die nur darauf warten, angezapft und von britischen Haushalten genutzt zu werden. Wenn wir die Erlaubnis bekämen, es zu fördern, könnten wir sicherstellen, dass Großbritannien für Jahrzehnte Energiesicherheit hat.“
Um Anwohner für seine Pläne zu gewinnen, bietet Eagan betroffenen Gemeinden an, ihnen Dividenden zu zahlen, in Höhe von 285 Millionen Pfund (335 Millionen Euro). „Das ist reine Bestechung“, sagt Holliday. „Gesundheit und Seelenfrieden kann man nicht kaufen.“ Sie wolle sich weiterhin gegen das Unternehmen stellen.
Auch die britische Aktivistin Claire Stephenson will gegen Cuadrilla kämpfen. „Ich finde es widerlich, dass die Leute die Ukrainekrise als Sprungbrett benutzt haben, um Fracking wieder auf die Tagesordnung zu setzen“, sagt Stephenson. Die zahlreichen Versuche von Cuadrilla, in Little Plumpton Fracking zu betreiben, seien allesamt gescheitert. „Sie haben Geld in ein dreckiges Loch gesteckt und nicht einmal genug Gas gefördert, um einen Grill anzuzünden, geschweige denn eine Gemeinde mit Strom zu versorgen.“
Ungarn: „Investition mit hoher Priorität“
Erster Frackingkandidat in Europa könnte übrigens noch jemand anderes werden: Die ungarische Regierung hat weitgehend unbeachtet bereits eigene Förderpläne verabschiedet – nicht ohne Seitenhieb gegen die EU. Im Sommer präsentierte Premier Viktor Orbán ein Paket, um in seinem Land mehr Gas zu produzieren und die „durch die fehlgeleiteten Sanktionen Brüssels verursachte Energiekrise zu mildern“.
Teil des Pakets ist eine Frackingstrategie, mit der schon bald in der östlichen Region Békés Gas aus dem Gestein gesprengt und gefördert werden soll. Das Projekt bekam unmittelbar den Status einer „Investition mit hoher Priorität“. Im Schnellverfahren soll es genehmigt werden, damit, so die Hoffnung der Orbán-Regierung, bereits ab Januar 2023 Gas gefrackt werden könnte.
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