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Energie-Studium in Niger Traum vom grünen Wasserstoff

In Nigers Hauptstadt Niamey werden Studierende aus Westafrika zu Wasserstoff-Expert*innen ausgebildet. Das soll Deutschland grüne Energie sichern.

Grüner Wasserstoff, Solarenergie und resiliente Landwirtschaft begeistern Niameys Studierende Foto: Katrin Gänsler

NIAMEY taz | Fatou Balleh Jobe liebt Kühe. „Schon als Kind habe ich meiner Mutter gesagt: Wenn ich einmal groß bin, dann kaufe ich mir welche. Vielleicht auch andere Tiere. Vielleicht baue ich Getreide an. Ich habe immer überlegt, was sich daraus alles entwickeln lässt“, erzählt die Studierende aus Gambia.

„Wir können gar nicht früh genug anfangen, über die wichtige Rolle unserer Umwelt zu sprechen.“

Fatou Balleh Jobe, Studierende aus Gambia

Dazu sei ein großes Interesse für die Umwelt und deren Schutz gekommen. Nach dem Abitur entschied sich Fatou Balleh Jobe deshalb für einen Bachelor in Umweltstudien. Noch vor ein paar Jahren wurde diese Ausbildung eher belächelt. „Bekannte meiner Eltern sagten, ich würde nie einen Job bekommen, und verstanden meine Wahl nicht.“ Jetzt wird sie zu einer Expertin mit internationaler Erfahrung und Kontakten.

Sie gehört zu den ersten 60 Teil­neh­me­r*in­nen des Graduiertenschulprogramms Energie und grüner Wasserstoff, das im vergangenen Jahr begonnen hat. Noch lernen die Studierenden gemeinsam in Nigers Hauptstadt Niamey an der Universität, die nach Abdou Moumouni benannt ist – er war Physiker und ein früher Solarenergieexperte.

900 Bewerbungen für Solarenergie und grünen Wasserstoff

Im dritten Semester studieren sie in kleineren Gruppen dort sowie in Lomé (Togo), Abidjan (Elfenbeinküste) und Dakar (Senegal). Je nach Standort können sie ihr Wissen über bestimmte Themen vertiefen, etwa in Dakar an der Universität Cheikh Anta Diop über die Ökonomie und grünen Wasserstoff. Für das vierte und letzte Semester steht ein Aufenthalt in Deutschland an, den das Forschungszentrum Jülich in NRW betreut und bei dem vor allem praktische Kenntnisse vermittelt werden sollen. Die Masterarbeiten schreiben die Studierenden schließlich an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.

Fatou Balleh Jobe wird im kommenden Semester nach Togo gehen. Ohnehin sei das Programm aufregend für sie. „Vor Studienbeginn habe ich Gambia nie verlassen. Ich habe immer gedacht, dass wir Afri­ka­ne­r*in­nen gleich sind. Jetzt beobachte ich aber kulturelle Unterschiede. Wir lernen viel voneinander.“ Auch die Hochschulsysteme würden sich unterscheiden.

Aus jedem der 15 Staaten, welche der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas angehören, kommen vier Teilnehmer*innen. 900 Bewerbungen gingen ein. Auch wenn die Vorlesungen auf Englisch sind, werden die Studierenden auch im Französischen fit gemacht. Die beiden verbreiteten Amtssprachen gehen auf die einstigen Kolonialmächte zurück und gelten oft als Barrieren.

Widerstandsfähige Landwirtschaft und Bio-Energien

Beide Sprachen zu sprechen, das bringt bei der späteren Arbeitssuche große Vorteile, sagt Moussa Mounkaila Saley. Er ist Dozent und Forscher an der Universität Abdou Moumouni sowie wissenschaftlicher Koordinator des deutsch-westafrikanischen Forschungsprojekts Wascal (West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use), welches das Schulungsprogramm unterstützt. Wascal entstand selbst vor zehn Jahren und ist heute in elf westafrikanischen Ländern vertreten. Neben der Forschung organisiert es Master- und Ph.D-Studiengänge rund um erneuerbare Energien, Klimawandel, Biodiversität und Landwirtschaft.

Das Interesse an gut ausgebildeten Ex­per­t*in­nen sei groß und die Aussicht auf einen Job gut, erklärt Dozent Moussa Mounkaila Saley. Ab­sol­ven­t*in­nen würden für Behörden, nichtstaatliche Organisationen und Forschungseinrichtungen arbeiten. In der ganzen Region entstehen Studiengänge und Ausbildungen in den Bereichen erneuerbare Energien, einer widerstandsfähigeren Landwirtschaft und Bio-Energien. „Berichte zeigen, dass die afrikanischen Staaten südlich der Sahara besonders vom Klimawandel betroffen sind. Wir bilden auch eine neue Generation von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus, die die Energiekrise in Westafrika in Angriff nimmt“, sagt Moussa Mounkaila Saley.

Gegen die Klimakrise braucht Westafrika die Wissenschaft

Längst ist sichtbar, wie steigende Temperaturen und der steigende Meeresspiegel sowie unvorhersehbare Regenzeiten sich in der Region auswirken. Farmer verlieren große Teile der Ernte, wenn sie bei den ersten Regenfällen Saatgut auf die Felder bringen, Niederschläge dann aber ausbleiben. Mancherorts sind die Böden viel zu hart, um überhaupt aussäen zu können. Dann kommt es wiederum zu Starkregen und alles wird weggeschwemmt.

Westafrika steht zudem vor der schwersten Hungerkrise der vergangenen zehn Jahre, schätzen verschiedene Organisationen. In diesem Monat könnten bis zu 38 Millionen Menschen unter Hunger leiden. Der Klimawandel treibt zudem Konflikte an, etwa wenn Farm- und Weideland knapp werden oder Bauern oder Fischer ihre Existenz verlieren und keine anderen Perspektiven haben. In Küstengegenden sind durch Erosion ganze Wohnviertel verschwunden. Hilfe bei der Suche nach neuen Unterkünften gibt es meistens nicht.

Grüner Wasserstoff schafft Perspektiven

Im neuen Masterprogramm nimmt grüner Wasserstoff eine zentrale Rolle ein. „Über Solar- und Windenergie sprechen wir schon lange. Grüner Wasserstoff ist aber wirklich neu. Ich bin sehr neugierig“, freut sich Fatou Balleh Jobe, „es ist toll, aus erneuerbaren Energien noch mehr herauszuholen.“

Gefördert wird der Studiengang durch das Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das den grünen Wasserstoff „Zukunftsenergie“ nennt. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Mai Senegal, Niger und Südafrika besuchte, war der grüne Wasserstoff ebenfalls Thema. Das Interesse daran ist ausgeprägt und die Energieversorgung durch den Ukrainekrieg stärker in den Fokus gerückt. Christoph Rövekamp, Leiter des Referats Energie und Wasserstofftechnologien im BMBF, sagt: „Wenn wir in Deutschland klima­neu­tral leben und wirtschaften wollen, werden wir ganz viel Wasserstoff brauchen, den wir aber aufgrund der Gegebenheiten nie selbst in diesen Mengen erzeugen können.“ Dafür brauche es viel Wind und Sonne, wie beispielsweise in Westafrika.

In Niger hat nicht mal je­de*r Fünfte Zugang zu Strom

Dort fehle es aber noch an Ex­per­t*in­nen. „Das haben wir bei dem Versuch, vor allem in Westafrika eine grüne Wasserstoffstrategie aufzubauen, gemerkt“, erzählt Kerstin Annassi vom Forschungszentrum Jülich. So sei die Idee entstanden, sie vor Ort auszubilden. Nach Abschluss des Studiums sollen sie zurück in ihre Heimatländer gehen, um die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben. Sie könnten allerdings auch weltweit Jobangebote erhalten.

Bisher ist grüner Wasserstoff in Westafrika höchstens in Fachkreisen ein Thema. Überhaupt bleibt die Stromversorgung vielerorts eine Herausforderung. In Niger hat beispielsweise nach Angaben der Weltbank nicht einmal je­de*r Fünfte Zugang zu Strom. Das Ecowas-Zentrum für erneuerbare Energien und Energieeffizienz hat nun aber den grünen Wasserstoff für sich entdeckt und will ein Grundsatzdokument erstellen, um Strategien, Gesetzgebungsverfahren und Richtlinien festzulegen. Auch wenn sich viele noch nicht vorstellen können, dass die Region einmal Europa mit dem begehrten Zukunftsstoff beliefert, und es noch eine gehörige Portion Skepsis gibt, wird ihm viel Potenzial zugeschrieben.

Generell habe in den vergangenen Jahren aber ein Umdenken stattgefunden, meint Fatou Balleh Jobe. „In Gambia gibt es viel mehr Projekte zu erneuerbaren Energien.“ Für sie ist neben der Forschung wichtig, die Bevölkerung zu beteiligten. „Wir können gar nicht früh genug anfangen, über die wichtige Rolle unserer Umwelt zu sprechen.“

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