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Ende der CoronanotlageDas kann heiter werden

Kommentar von Kathrin Zinkant

Nach bald zwei Jahren Corona sind alle müde – auch die Politiker. Doch die Pandemie beendet man so nicht.

Wieviel Abstand brauchen wir demnächst? Unistart in Münster im Oktober Foto: Rolf Vennenbernd/ap/dpa

M an hatte ein wenig die Hoffnung gehabt, dass die künftige Regierung mit Experten und Intensivmedizinern spricht, die aktuellen Zahlen betrachtet. Doch die Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die epidemische Notlage von nationaler Tragweite Ende November zu beenden, ist zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Nach bald zwei Jahren Pandemie ist nicht nur die Bevölkerung müde, auch die Bundespolitiker sind es offenbar leid. Die Wahl hat eh gezeigt, dass man für Corona nur Prügel erntet.

Man wüsste dennoch gern, in welcher Kristallkugel die Ampelparteien eigentlich erblickt haben, was sie in ihrem Papier als Begründung anführen: Die Voraussetzung für die epidemische Lage ist in vier Wochen nicht mehr gegeben. Die Beteiligten stellen damit praktisch jetzt schon fest, dass es Ende November kein dynamisches Infektionsgeschehen über mehrere Bundesländer hinweg geben wird.

Oder aber, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie im November für beendet erklärt, was angesichts der globalen Coronasituation jedoch nahezu ausgeschlossen sein dürfte.

Und damit zurück in die Gegenwart: Seit zehn Tagen steigt die 7-Tage-Inzidenz in der Bundesrepublik, und zwar so deutlich, dass man das Infektionsgeschehen bereits jetzt dynamisch nennen kann. Der im Ampel-Papier erneut geplante Impffortschritt dagegen wird kaum wie geplant eintreten.

Durchseuchung in Sachsen, Schulschließung in NRW?

Dazu tragen nicht zuletzt Fußballspieler bei, die für ihre Impfverweigerung sogar Verständnis ernten. Deutschland hat eine schlechtere Impfquote als Großbritannien, wo die Zahl der schweren und tödlichen Covidverläufe übrigens wieder zugenommen hat.

Mehr als 25 Millionen Menschen in Deutschland werden dem Virus deshalb ausgeliefert sein, wenn der Bund die Verantwortung Ende November zurück an die Länder gibt. Die Länder dürfen dann entscheiden, was oder ob etwas zu tun ist, wenn Corona aus dem Ruder läuft.

Durchseuchung in Sachsen, aber Schulschließung in NRW? Das kann heiter werden. Die Pandemie beendet man so aber sicher nicht.

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26 Kommentare

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  • Na dann können ja die Parteien in den Bundesländern wieder die Verantwortung übernehmen ... :-)

  • Ich sach's mal so: Ausgerechnet im Herbst bei sich abzeichnenden hohen Infektionsraten die Schutzmaßnahmen auszusetzen, klingt für mich nach einer Schnapsidee.

  • taz: "Doch die Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die epidemische Notlage von nationaler Tragweite Ende November zu beenden [...]. Nach bald zwei Jahren Pandemie ist nicht nur die Bevölkerung müde, auch die Bundespolitiker sind es offenbar leid."

    Dann wollen wir mal hoffen, dass das Coronavirus auch müde ist. Hat das Robert-Koch-Institut (RKI) jetzt eigentlich die Pandemie für beendet erklärt oder unsere Politiker? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der RKI-Chef Wieler immer wie ein kleiner Schuljunge in der Bundespressekonferenz neben Jens Spahn (CDU) gesessen hat und alles "abgenickt" hatte was der studierte Politologe Spahn so von sich gegeben hat. Tja, unsere schlauen Politiker, die Juristen, Lehrer, VWL/BWL'er Philosophen oder Politologen sind, haben natürlich eine große Erfahrung wenn es um Seuchen geht, und deshalb möchten sie auch nicht abwarten was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Beendigung der Pandemie in Deutschland sagen würde. Das ist eben so, wenn ein Land schlaue Politiker hat, die z.B. wissen, 'dass ein Schnupfen entweder eine Woche oder 7 Tage anhält'. Hoffentlich weiß Corona auch, dass es nach etwas mehr als anderthalb Jahren von selbst verschwinden muss, weil man in Deutschland wieder das Wirtschaftswachstum ankurbeln möchte und die FDP sich auch nicht von einem Virus ewig vorschreiben lassen will, wie man "Freiheit" definiert.

    Die nächste deutsche Regierung sollte aber endlich einmal den TRIPS-Waiver nicht mehr blockieren, denn sonst kommt das Coronavirus "gestärkt und mutiert" aus den armen Ländern per Flugzeug nach Deutschland zurück und wird unseren Volksvertretern zeigen wie "schlau" sie in Wahrheit wirklich sind.

  • Die Frage ist doch relativ leicht zu beantworten. Seit dem Sommer kann jeder, der will, geimpft sein. Wer das nicht will, trägt die Verantwortung selbst, wenn er sich ansteckt und schwerer erkrankt. Es ist nicht Aufgabe des Staates, solche Menschen vor sich selbst zu schützen - und schon gar nicht, die geimpften zu Einschränkungen zu zwingen, um die Ungeimpften zu schützen.

    Ausnahme sind Kinder - für die ist die Krankheit aber fast immer komplett ungefährlich.

    • @Dr. McSchreck:

      Dumm nur, dass es vor allem Ungeimpfte sind, die mit schweren Verläufen im Krankenhaus liegen und dort die Intensivbetten belegen. Wenn es da von der Kapazität wieder eng werden sollte, baden das auch alle anderen aus, als erstes natürlich das Personal und dann auch andere Patienten, deren Behandlung verschoben werden muss, bis wieder Platz ist.



      Sich nicht impfen zu lassen, wenn man es könnte, ist und bleibt unsolidarisch.

  • Wahrscheinlicher steckt etwas anderes dahinter. Wenn wie 1923 die frischgedruckten Euros für ein einziges Brot mit der Schubkarre gekarrt werden müssen, dann werden selbst Papier und Tinte knapp. Jedem mit Beherrschung der Grundrechnung war im März 2020 klar, daß die Epidemie wenigstens zwei Jahre dauern würde -- oder sollte. Bei jedem wesentlich schnelleren Verlauf hätten die Toten auf der Straße gelegen. (Wieviele Leute müssen gleichzeitig infiziert sein, um eine Gesellschaft in der Zeit x zu durchseuchen? Grundschule!)



    Es hätten also gleich nur solche Maßnahmen ergriffen wrden dürfen, die sich mindestens zwei Jahre lang durchhalten lassen und immer noch Wirtschaft und Gesellschaft lebens- und handlungsfähig übriglassen. Der hemmungs- und grenzenlose Aktionismus hat das sträflichst mißachtet. Eine große Wirtschaft hat die Reaktion und Manövrierfähigkeit eines Öltankers. Die Folgen auch großer Fehler sieht man nicht gleich -- um so dauerhafter und unkorrgierbarer werden sie sein.

    • @Axel Berger:

      Eine OP-Maske zu tragen und weniger in Restaurants, Kinos usw. zu gehen, läßt sich deutlich länger als zwei Jahre durchhalten, jedenfalls für Erwachsene.

  • Das Schlimme ist - wie so oft in der Corona-Pandemie - die Kommunikation. Denn die Maßnahmen sollen ja gar nicht alle beendet werden. Aber da man diesen Begriff "Ende der Notlage" in den Raum wirft (und die Medien dabei fleißig mittun), bleibt bei den Menschen im Ohr nur hängen "klasse, jetzt ist alles überstanden".

    Wären diese Politiker bei mir angestellt (huch, das sind sie ja eigentlich), hätte ich sie wegen Unfähigkeit schon längst gefeuert. DAS habe ich in der Corona-Katastrophe echt neu dazu gelernt.

    • @Jalella:

      Ich muss sagen, ich hätte die auch schon alle gefeuert. Nicht nur dass viele Abgeordnete trotz des vielen Geldes vom Staat noch bei anderen Firmen arbeiten oder "beraten" und am Ende mehr Geld dafür bekommen und daher de facto Arbeitnehmer bei RWE und Co. sind und das deutsche Volk verkaufen, auch gab es Mal eine deutlich größere öffentliche Reaktion auf bewiesene Korruption von Regierenden.



      Scheuer, der unfähigste Mensch den ich jemals erlebt habe konnte weiter schalten und walten wie er wollte. Beweis für die komplette Degeneration des deutschen Regierungsapparates...

    • @Jalella:

      Ja, die Aufregung ist etwas übertrieben. Es gibt eben keinen zeitnahen "Freedom Day". Dafür ist der momentane Zeitpunkt auch nicht geeignet.

  • Ich denke mal, dass ist Rumgetrickse von Jens Spahn. Kurz bevor sich die neue Bundesregierung konstituiert und ein/e neue/r Gesundheitsminster:in nachrückt, will er sich Liebkind machen. Nach dem Motto: der CDU-Gesundheitsminister hat Corona in den Griff bekommen. Die Notlage ist beendet dank CDU. Und wenn es wieder arg wird, dann kann ja die SPD-Grün-Liberale-Nachfolgeregierung den Coronanotstand wieder ausrufen.

  • Die Frage ist, lockdown der wieder nicht klappt bei einer Bevölkerung die müde ist von Einschränkungen?

    • @Gretchen Müller:

      Damit ein Lockdown nochmal nötig würde, müsste schon sehr viel noch Unbekanntes zusammenkommen, wie z.B. eine Variante, die der momentan hauptsächlich durch Impfung vorhandenen Immunantwort in der Bevölkerung komplett qausweicht und dabei trotzdem genauso ansteckend wie Delta wäre.

      Dann hätten wir tatsächlich wieder ein größeres Problem.

  • ...und nochmal sei ein Blick nach Skandinavien, ganz besonders nach Schweden, angeraten. Nicht auf irgendwelche Horror-Legenden aus drittletzter Hand, nein, in das wirkliche alltägliche Leben dort.

    • @Werner Lorenzen-Pranger:

      Naja, gemessen an den Bevölkerungszahlen gab es in Schweden 25% mehr Todesfälle. Keine Legende.

      • @Andreas J:

        ja, die gab es, weil man am Anfang die Gefahr unterschätzt hat. Danach hat man alle "Wellen" besser überstanden als wir - mit weniger Einschränkungen.

    • @Werner Lorenzen-Pranger:

      In Skandanivien, UK und den Niederlanden dreht sich die Welt mittlerweile wieder relativ normal.

      Die typischen Anstiege von Infektionskrankheiten inkl. Corona werden noch beobachtet und zur Kenntnis genommen. Gesetzliche Einschränkungen im täglichen Leben, gibt es in Skandinavien und UK meines Wissens gar keine mehr, in den Niederlanden nur noch bei Großveranstaltungen.

      Alles andere läuft auf Basis von Eigenverantwortung. Spätestens im März kommen wir da auch hin, wenn nichts komplett Unvorhersehbares mehr passiert.

      • @Co-Bold:

        Im UK dreht sich die Welt wieder normal? Also erstens meinen Sie wohl England und zweitens meinen Sie wohl nur für Menschen, die kerngesund sind und nicht (aus welchen Gründen auch immer) ins Krankenhaus, zum Arzt oder in eine Schule müssen.

        • @mancunian:

          Stimmt, Schottland und Nordirland haben teils andere Regelungen.

          Die Krankenhäuser in England haben derzeit noch eine Mehrbelastung. Was beim Arzt nicht normal sein soll, weiß ich nicht.



          Bzgl. Schulen habe ich gerade mal nachgelesen. Es gibt vereinzelte Anordnungen von weiterführenden Schulen, Masken zu tragen, ist aber nicht die Regel.



          Ansonsten werden wohl Schüler noch regelmäßig getestet und bei positivem Resultat 10 Tage quarantäniert, allerdings keine Kontakte, nur die Schüler. Was man damit erreichen will, ist mir allerdings schleierhaft.

  • Nicht nur bei Corona blicken die Ampler offenbar in eine Kristallkugel. Das kann nicht nur "heiter werden" sondern auch Eiter.

    • @Jürgen Gojny:

      Es gibt leider nur eine Kristallkugel, da viele für eine Gesamteinschätzung wichtige Daten nicht bekannt sind,

      Zu erwähnen wäre da hauptsächlich der Anteil, der real noch Gefährdeten, die bisher noch keine Immunantwort ausgebildet haben. Dazu müssten deutschlandweit repräsentative Studien zu Sars-CoV2-spezifischen Antikörpern und T-Zellen durchgeführt werden.

      Weiterhin wäre auch eine repräsentative Messung der Inzidenz interessant. Diese wird im Vergleich zum Frühjahr und vor allem zum letzten Winter hin massiv unterschätzt (da fast nur Ungeimpfte werden getestet werden). Das bedeutet, dass die potenitelle Dauer eines dynamischen Anstiegs wiederum massiv überschätzt wird, wenn man nur auf die Inzidenz schaut.

      Die Ampler - gefällt mir, klingt so schön sektiererisch, wie Templer ;-) - werden vermutlich grobe Schätzungen der Lage auch im Hinblick auf diese Faktoren haben und in die Strategie für den Winter einfließen lassen.

      Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man daran verzweifeln kann. wenn man rein an den Zahlen klebt und diese mit dem letzten Winter vergleicht.

      Ich kanns nicht oft genug betonen: Letztes Jahr gab es keine Geimpften und auch keine messbare Anzahl an Genesenen, der Zustand jetzt ist ein komplett anderer, gerade in den merklich gefährdeten Bevölkerungsgruppen.

      • @Co-Bold:

        Ach so, und was ich vergessen habe:



        Gerade in der gefährdeten Bevölkerungsgruppe ist die Immunantwort schwächer und daher auch der Impfschutz nach einer Weile geschwächt. Das kann trotzdem funktionieren wenn genug andere Menschen geimpft sind sodass der Virus vorher abgefangen wird, aber bei der niedrigen Impfquote und den Impfdurchbrüchen weiß ich nicht ob ich mich da so weit aus dem Fenster lehnen würde. Zumal die Mehrheit der Experten warnen, dass die Impfquote für ein Durchatmen viel zu niedrig sei.

        • @curiouscat:

          Deshalb werden nun ja 70+ mit Booster-Impfungen versehen, da dort typischerweise das Immunsystem nicht so viele AKs bildet und die schneller wieder abfallen.



          Die Impfquote ist dafür, dass es keine Impfpflicht gibt, sogar sehr hoch. Mehr gibt es nur mit Impfpflicht und ab Alter x, z.B. 40 oder 50 Jahre, wäre das medizinisch gesehen definitiv sinnvoll gewesen.

          Genesene waren letztes Jahr schon messbar, uja, da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Selbst die höchsten Schätzungen lagen bei

      • @Co-Bold:

        Äh also vor einem Jahr gab es sehr wohl schon Genesene. Und die waren auch schon messbar. Wobei ich noch nie eine Erklärung gesehen habe wie diese Zahlen eigentlich zustande kommen. Ich selbst war schon an Corona erkrankt und war selbst nach einem Monat noch PCR positiv und müsste wieder in Quarantäne. Mich hat niemand irgendwie befragt oder geschweige denn untersucht ob ich genesen sei. Ich meine, man wollte mich nicht Mal so ärztlich behandeln. Ich habe gefragt ob ich ärztliche Hilfe kriegen könnte für meine Beschwerden, Schmerzen in der Lunge und mir wurde nur gesagt, geht nicht. Also, was gilt als Genesen und wie kommen diese Zahlen zustande?

      • @Co-Bold:

        Widersprechen sich nicht Ihr erster und letzter Satz?

        • @Tina Mar:

          Nein.

          Wir wissen, dass es viele Geimpfte gibt (mind. ca. 80% aller Erwachsenen). Wir wissen, dass es im Gegensatz zum letzten Spätsommer/Herbst viel mehr Genesene gibt.

          Dafür braucht es definitiv keine Kristallkugel.