Ende der Ampel?: Oh, wie schön ist Groko!
In Hessen wird die CDU wohl mit der SPD eine Große Koalition bilden. Das ist das Beste, was den Grünen gerade passieren kann.
Oboe, monoton, Oblomov: Spontan und assoziativ gedacht sind es eher sogenannte Fremdwörter und entliehene Begriffe, die einem einfallen, wenn man die deutsche Sprache nach Doppel-Os scannt. Ähnlich sieht es übrigens mit der ebenso dunkel-warmen O-A-Kombi aus; da kommt nach Oma und Opa auch nicht mehr viel.
Groko also, die nun mal wieder in Hessen ganz konkret in aller Munde ist und im Bund noch eher noch so probierend angeleckt wird, Groko, was sich so gemütlich anhört – wie schmeckt das eigentlich?
Historisch gesehen und so zum Politterminus auch in anderen Ländern geworden – siehe etwa italienische Wikipedia: „grande coalizione (dal tedesco: Große Koalition)“ – ist die Groko die Verbindung der beiden großen (Volks-) Parteien, die die wesentliche Lagerbildung der Bevölkerung in einem Gemeinwesen widerspiegeln. Die Große Koalition in ihrem deutschen Ursprung hatte dabei ein konservatives Krisenbewältigungs-, aber vor allem ein progressives Element: Mit der SPD kam 1966 eine aus der Arbeiterbewegung hervorgegangene Gruppierung an die Macht, die später sogar den Regierungschef stellte.
In Japan und in Italien, den anderen besiegten Achsenmächten und treuen US-Verbündeten, gelang das den linken Volksparteien, solange der Kalte Krieg andauerte, nicht. Diese Parteien galten bis 1989 als zu unsichere Kantonisten in der systemischen Auseinandersetzung mit dem realen Sozialismus.
Sogar drei Os!
Wenn nun in Deutschland wieder der Groko-Drops gelutscht wird, dann geschieht das in einem anderen Umfeld. Der Versuch der Grünen, sich als Macht der Mitte zu etablieren, ist erst mal gescheitert. Die Galionsfigur dafür, der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann, ist eine Lame Duck, zur Landtagswahl 2026 wird er nicht mehr antreten. Und mit Tarek al-Wazir hat in Hessen gerade derjenige Grünen-Politiker, der seine Partei wie kein anderer darauf eingeschworen hatte, dass die Zeit der Protestbanner „vorbei“ sei, nicht nur sein Ziel verfehlt, selbst Ministerpräsident zu werden; die Wahlsiegerin CDU zieht es auch noch vor, nach zehn Jahren Schwarz-Grün mit der gerupften SPD eine, nun ja, Große Koalition zu bilden – ein Novum in der Geschichte Hessens.
Eine solche Regierung im Bund hätte zwei Hauptaspekte: Das, wie immer man es inhaltlich auch bewerten mag, bislang bewegende Element der regierenden Ampel, die Grünen, würde ausscheiden – und die neue Groko hätte wohl Schwierigkeiten, überhaupt eine (große, stabile) Mehrheit im Bundestag hinter sich zu vereinen, jedenfalls auf Basis der derzeitigen Umfragen und mit der Unbekannten des neuen Wagenknecht-Wahlvereins, der gerade von der SPD einiges an Stimmen wird holen können: von dem Teil des sozialdemokratischen Volkes insbesondere, das auf eine neue Weltlage immer noch mit den Mitteln der 1970er Jahre reagieren möchte – der Entspannungs- und Ostpolitik, dem anderen großen internationalen Doppel-O-Erfolg des deutschen Politsprechs. Es wäre eine bunt-braune Megaopposition im Bundestag, mit der sich eine solche Miniaturausgabe einer Groko (Mi-Gro?) auseinandersetzen müsste.
Abgesehen davon, dass eine faschistische Partei wie die AfD in kein Parlament gehört, wäre das gar nicht schlimm: Von den Grünen ist nach dem gelungenen Realitätscheck in der Auseinandersetzung mit dem großen faschistischen Bruder der AfD, Putins Russland, sowie nach dem Einleiten der überfälligen Heizungswende eh nichts Gutes mehr zu erwarten. Aufforderungen, nun noch „pragmatischer“, sprich flüchtlingsfeindlicher zu werden, kommen für diesen Zyklus zu spät, das nimmt man der Partei im Moment nicht ab.
Es waren ja auch wirklich sehr volle Jahre seit der Bundestagswahl 2021, da ist die vorzeitige Erholung in der Opposition durchaus gestattet, frei nach dem Merkel-Motto „Wir haben was geschafft“. Von der letzten grünen Regierungsbeteiligung ist nach dem Zurückrudern bei den Hartz-Reformen auch nur (und immerhin!) das deutsche Pfandsystem geblieben, um das uns die ganze Welt beneidet. Und Opposition – horchen Sie mal hin: Das Wort hat sogar drei Os!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin