Linksfraktion löst sich auf: Szenen einer Scheidung

Die Bundestagsfraktion der Linken geht am Dienstag in zwei Gruppen auf. Ein einmaliger Vorgang, durch den sie mehr als nur Geld verliert.

Gesine Lötzsch im Gespräch auf ihrem Platz im deutschen Bundestag

Die direkt gewählte Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch im Bundestag Foto: Frederic Kern/Future Image/imago

BERLIN taz | Das hat es im Bundestag so noch nicht gegeben. Eine Fraktion beschließt ihre eigene Auflösung mitten in der laufenden Legislaturperiode. Genau das plant die Linksfraktion im Bundestag bei ihrer Sitzung am heutigen Dienstag ab 14 Uhr.

Vermutlich soll sie ab Anfang Dezember wirksam werden, kurz vor dem Nikolaus-Tag, das genaue Datum wird ebenfalls heute beschlossen. Bei der abschließenden Lesung des Bundeshaushalts 2024 und der Abstimmung am kommenden 1. Dezember könnte die Linke noch ein letztes Mal als Fraktion auftreten.

Die Auflösung ist die Folge des Parteiaustritts von Sahra Wagenknecht und neun Abgeordneten, die Ende Oktober bekannt gaben, im kommenden Jahr eine neue, eigene Partei zu gründen.

Ihre Mandate behalten die zehn Ex-Linken jedoch, zum Unmut ihrer bisherigen Fraktionsfreunde. Die drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi nennen das einen „Diebstahl“ – diesen drei verdankt es die Linke schließlich, überhaupt im Bundestag zu sitzen, denn bei der Bundestagswahl 2021 war sie knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert.

Fraktion „politisch tot“

Auf das vergiftete Angebot der Wagenknecht-Truppe, in der Fraktion zu bleiben, um Arbeitsplätze von Mitarbeitenden etwas länger zu retten, ging Fraktionschef Dietmar Bartsch deshalb nicht mehr ein. Als vier der „Abtrünnigen“ in der vergangenen Woche zur Fraktionssitzung in den Bundestag kamen, obwohl er ihnen davon abgeraten hatte, wies Bartsch ihnen nach kurzer Aussprache die Tür. Die Fraktion sei „politisch tot“, sagte er.

Durch das Ausscheiden der zehn Abtrünnigen ist die verbleibende Linksfraktion zu klein, um ihren Fraktionsstatus zu behalten: schon bisher lag sie nur knapp über der Mindestgröße von 37 Abgeordneten. Um als Fraktion anerkannt zu werden, muss man mindestens 5 Prozent aller Abgeordneten auf sich versammeln. Das ist nach dem Abgang der Wagenknecht-Gruppe nicht mehr der Fall.

Aus einer Fraktion werden zwei Grüppchen

Es können sich jetzt zwei neue parlamentarische Gruppen bilden, die aber weniger Geld und Redezeit im Bundestag erhalten. Sowohl die 28 verbliebenen Abgeordneten der Linkspartei als auch die neun Abgeordneten um Sahra Wagenknecht werden beim Ältestenrat des Bundestags beantragen, als Gruppe anerkannt zu werden – so ist das Prozedere, das die Geschäftsordnung des Bundestags vorgibt. „Da entscheiden andere über uns“, sagt Dietmar Bartsch schicksalsergeben.

Mit dem Fraktionsstatus verlieren die verbliebenen Abgeordneten nicht nur Geld und Redezeit im Bundestag, sondern noch weitere Privilegien. Sie können keine Gesetzentwürfe, Anträge oder Entschließungsanträge mehr einbringen. Sie können keine Kleinen und Großen Anfragen mehr an die Bundesregierung stellen, sie dürfen keine Aktuelle Stunde und auch keine namentlichen Abstimmungen mehr beantragen. All das ist Fraktionen vorbehalten. Die linke Opposition im Bundestag wird dadurch deutlich geschwächt.

Linke nur noch als Hinterbänkler

Im Plenarsaal werden sie nach hinten rücken, weil sie auch den prominenten Sitz in der ersten Reihe verlieren.

Mit ihrem Fraktionsstatus verliert die Linke auch ihre Mitgliedschaft in Ausschüssen. Klaus Ernst, der mit Wagenknecht geht, dürfte seinen Vorsitz im Energie- und Klimaausschuss verlieren. Petra Pau dagegen könnte ihren Posten als Vizepräsidentin des Bundestags behalten, hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas angedeutet. Nur die AfD dürfte dagegen Protest einlegen. Dietmar Bartsch und André Hahn werden weiter dem sogenannten Vertrauensgremium beziehungsweise dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) angehören können, da sie vom gesamten Bundestag in diese Gremien gewählt wurden.

Solche „Liquidationen“ gab es bisher in der Regel nur nach Wahlniederlagen: 2013 löste sich die FDP-Fraktion im Bundestag auf, nachdem sie den Wiedereinzug verpasst hatte. 2002 musste die PDS, die Vorgängerin der Linken, schon einmal ein solches Verfahren durchlaufen. Damals hatten nur zwei Direktkandidatinnen den Sprung in den Bundestag geschafft. Und 1952 wurde die Fraktion der KPD zur Gruppe abgestuft, nachdem sie einen ihrer Abgeordneten verloren hatte.

Ungeklärte Rechtsfragen und drohende Kündigungen

Eine „Liquidation“ ist keine einfache Sache und kann sich lange hinziehen. Die FDP beauftragte 2013 ihren ehemaligen Abgeordneten Otto Fricke als Liquidator, um Restgelder zu verwalten, Verträge mit Angestellten zu beenden oder Verträge – etwa mit IT-Firmen – zu kündigen. Wegen vieler ungeklärter Rechtsfragen habe die Abwicklung über vier Jahre lang gedauert, sagte Fricke in einem Interview. „Das ist grob gesagt wie ein Insolvenzverfahren.“

Als Fraktion erhielt die Linke im vergangenen Jahr rund 11,5 Millionen Euro an Zuwendungen. Auf 9,3 Millionen Euro beliefen sich die Personalkosten für ihre über 100 Beschäftigten. Wenn die Fraktionsgröße unterschritten wird, zahlt die Verwaltung des Bundestags keine Fraktionsmittel mehr. Dadurch ist unklar, wie die Mitarbeitenden weiter bezahlt werden können. Geschätzt wird, dass zwischen der Hälfte und zwei Drittel von ihnen gehen müssen.

Wie der Spiegel unlängst berichtete, berät die Bundesagentur für Arbeit die rund 100 von Entlassung bedrohten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion. Üblicherweise verfügen sie über Arbeitsverträge, die bis zum Ende der Legislaturperiode gelten. Mit der offiziellen Auflösung der Fraktion im Dezember dürfte den meisten von ihnen gekündigt werden, vermutlich mit Frist bis zum 31. März 2024. Wer bleiben darf, muss möglicherweise Gehaltskürzungen in Kauf nehmen.

Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linken nahesteht, muss sparen und deswegen Stellen abbauen. Die schlechten Ergebnisse der Linkspartei bei den letzten Bundestagswahlen wirken sich auch auf deren Finanzen aus. Zudem könnten die Zuwendungen aufgrund des neuen Stiftungsfinanzierungsgesetzes, das Anfang 2024 in Kraft treten soll, in Zukunft deutlich zurückgehen. Auf einer Belegschaftsversammlung informierte die Geschäftsführung kürzlich über ihre Sparpläne, wie das Neue Deutschland berichtete. Frei werdende Stellen sollen zunächst nicht wieder besetzt werden. Derzeit sind rund 300 Menschen bei der Stiftung beschäftigt.

Was wird aus Sahra Wagenknecht?

Im kommenden Jahr will Sahra Wagenknecht ihre Partei gründen, bislang gibt es dafür nur einen Verein. Für Januar 2024 ist ein Parteitag geplant, auf dem über den Vorstand und die Kandidatenliste für die Europawahl im kommenden Juni abgestimmt werden soll. Die Partei soll ein exklusiver Club sein und zunächst nur ausgewählte Bewerber aufnehmen. Man wolle „langsam wachsen“, sagt Wagenknecht.

Sie selbst will nicht als Vorsitzende ihrer eigenen Partei kandidieren, sondern schlägt Amira Mohamed Ali für den Job vor, die ehemalige Fraktionschefin der Linken im Bundestag. Ob Wagenknecht als Spitzenkandidatin zur Europawahl im Juni 2024 antritt, lässt sie noch offen.

Linkspartei schießt sich auf die SPD ein

Ihre bisherige Partei trifft sich bereits am Donnerstag in Augsburg, um sich auf die Europawahl einzustimmen. Auf dem dortigen Parteitag will die Linke ein „Signal der Erneuerung und der Stärke“ senden, beschwor Parteichef Schirdewan den Kampfgeist. Die Seenotretterin Carola Rackete und Gerhard Trabert, der „Arzt der Armen“, gelten als Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen gesetzt, außerdem Schirdewan selbst und Özlem Alev Demirel, die bereits im EU-Parlament sitzen.

An der Basis hat die Spaltung der Partei einen Motivationsschub ausgelöst. Derzeit würden schätzungsweise zwei bis drei Mal so viele Menschen in die Partei eintreten, als aus der Linken austreten, sekundierte Wissler.

Um sich als „Partei der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität und des Friedens“ zu profilieren, ledern Schirdewan und Wissler gegen die Ampel und insbesondere gegen die SPD. Letztere habe ein „Rückgrat wie ein Wackelpudding“ und mache alles mit, wie ihr Koalitionsvertrag mit der CDU in Hessen zeige, ätzte Wissler. Zu Wagenknecht sagte sie kein Wort.

Wagenknecht grenzt sich ebenfalls nur indirekt von ihrer Ex-Partei ab. Ihre Bühne sind schon lange die Talkshows, nicht der Bundestag. Während Wissler am Montag vor einem „Wettbewerb der Schäbigkeiten“ in der Migrationspolitik warnte, zeigte sich Wagenknecht bei „Maischberger“ zuletzt offen für Asylverfahren außerhalb der europäischen Union, etwa in Afrika. In einem anderen TV-Interview behauptete sie in Merz-Manier, manche Flüchtlinge aus der Ukraine würden ungerechtfertigt Sozialleistungen beziehen.

Etwas näher sind sich beide Lager mit Blick auf Nahost. Wissler forderte am Montag einen Waffenstillstand im Gazastreifen und eine Freilassung der Geiseln durch die Hamas. Auch hier geht Wagenknecht einen Schritt weiter: Sie forderte am Montag die Bundesregierung auf, gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien eine Nahost-Friedenskonferenz einzuberufen. „Natürlich hat Israel das Recht zur Selbstverteidigung, aber das Völkerrecht muss gelten“, sagte sie. Ein „Krieg gegen mehr als zwei Millionen Menschen“ sei „nicht verhältnismäßig.“

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