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Eingestellte US-WaffenlieferungenNicht nur die Ukraine droht zum Opfer zu werden

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Europa zeigt sich gegenüber der unter massivem Druck stehenden Ukraine eindeutig solidarisch. Das ist erfreulich. Jetzt braucht es eine klare Strategie.

Ein ukrainischer Soldat bei einer Militärübung in der Oblast Saporischschja im Januar 2025 Foto: Ukraine's 65th Mechanised Brigade Press Service via ap

V ollkommen überraschend kommt der Schritt der US-Regierung zwar nicht mehr, die Militärhilfe an die Ukraine auszusetzen. In den drei Wochen seit Trumps erstem Telefongespräch mit Wladimir Putin und dem Affront seines Vizepräsidenten J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat die Trump-Regierung den Bruch mit der Ukraine und den europäischen Regierungen nahezu täglich deutlicher akzentuiert – bis hin zu dem denkwürdigen Spektakel im Weißen Haus am Freitag vergangener Woche. Dem rhetorischen Verrat an der angegriffenen Nation folgt nun mit der Einstellung der Waffenhilfe auch der materielle.

Glaubhaft ist, dass Trump ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine erreichen will – allein schon, um irgendeinen Vorwand zur Aufhebung der Sanktionen gegen Russland zu haben und endlich mit dem von ihm hochgeschätzten Kreml­führer Geschäfte machen zu können. Nur ist ihm die Ukraine dabei vollkommen egal, oder genauer: Sie ist ein Störenfried, wie er ihn auch in der eigenen Einflusszone nicht würde dulden wollen.

Wie den europäischen Unterstützerländern geht es auch ihm im Fall der Ukraine darum, einen Präzedenzfall zu vermeiden. Nur meint er das exakte Gegenteil: Wenn Europa davon spricht, die gewaltsame Verschiebung von Grenzen dürfe nicht geduldet werden, meint Trump wie Putin, mangelnder Respekt vor dem legitimen Hegemonialanspruch des Stärkeren sei das eigentliche Problem.

Mit Ausnahme der putinfreundlich regierten Länder Ungarn und Slowakei positioniert sich Europa inklusive Großbritannien erfreulich klar solidarisch. Aber die Staaten kommen aus dem Dilemma nicht heraus, die US-Militärhilfe kurzfristig nicht ersetzen zu können. Deshalb betteln sie dennoch dauernd Trump an, Washington möge doch an Bord bleiben, wenigstens noch ein bisschen. Auch das ist entwürdigend – wäre aber hinzunehmen, wenn es denn zum Erfolg führte. Doch für einen skrupellosen Zocker wie Trump ist das vermutlich zu durchsichtig.

Wichtig werden wohl in den nächsten Wochen vor allem drei Dinge: Europa muss die begonnenen Bemühungen um die eigene Verteidigungsfähigkeit mit Taten – und Geld – unterlegen. Die europäischen Regierungen müssen dabei innenpolitisch gegen die Antidemokraten im eigenen Land überzeugen; und – extrem wichtig, wenn sich die Ukraine nicht auch noch von Europa verraten fühlen soll – Europa muss sich nicht nur untereinander gut abstimmen, sondern wirklich jeden einzelnen Schritt mit Kyjiw absprechen. Klappt irgendetwas davon nicht, gerät nicht nur die Ukraine unter die Räder des imperialen Autoritarismus.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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17 Kommentare

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  • „Mit Ausnahme der putinfreundlich regierten Länder Ungarn und Slowakei positioniert sich Europa inklusive Großbritannien erfreulich klar solidarisch.“



    Leider ist es etwas komplizierter, wenn es um die konkrete Ausgestaltung einer neuen europäischen Verteidigungspolitik geht. In Europa steht nicht bloß die kleine Minderheit der Putin-Versteher (Orban, Fico) der überwältigenden Mehrheit der Ukraine-Unterstützer gegenüber, sondern auch in der Frage der zukünftigen Gestaltung der Beziehungen zu den USA herrscht Uneinigkeit.



    Polen und die baltischen Staaten wollen grundsätzlich an der militärischen Kooperation mit den Staaten festhalten, während Frankreichs Macron ganz auf die europäische Karte setzt, notfalls einen Bruch mit den USA zu riskieren bereit ist.



    Alle anderen Europäer müssen sich irgendwie zwischen diesen Polen positionieren. Und noch ist - trotz Trump - die Fraktion der Transatlantiker nicht tot. Das wird noch muntere Debatten geben, im EU-Parlament wie auch bei uns im Bundestag.

  • Bis jetzt gibt es in der EU keinerlei Plan. Alle überbieten sich nur mit Summen, die sie ausgeben wollen, um irgend etwas mit Militär zu machen.

  • Es steht zu vermuten, dass auf der politischen Weltbühne noch ganz anders interagiert wird, als es der Eklat im Weißen Haus zeigte. Trump und seine Verbindung zu Israel lassen derartige Vermutungen ins Kraut schießen. Vielleicht geht es dort nicht nur um Hamas und Hisbollah, sondern um den Iran. Dafür muss die Ukraine aus dem Fokus als Kriegsland und Kostentreiber verschwinden. Russland hatte schon in Syrien zu den Maßnahmen gegen den Iran und seine Helfershelfer eine ambivalente Haltung gezeigt. Hinter der Entscheidung, das Kapitel Ukraine zu beenden, steht offensichtlich ein US-Plan, der nicht verlautbart wird. Die Annäherung an Moskau ist suspekt.

  • Europa hat sich treu zur Nato verhalten und den US Führungsanspruch in der Vergangenheit akzeptiert. Der Aufbau eigener Kapazitäten und Strukturen hätte die USA düpiert. Insofern ist das jetzige Vorgehen des 47. Verrat an der Ukraine, Europa und der NATO. Es ist erstaunlich wie es RUS schafft demokratische Staatsmänner unter seine Kontrolle zu bringen (siehe Gerhard-Schröder-Syndrom)

  • Annette Hauschild , Autor*in ,

    Wie wäre es, wenn die Europäer mit der Ukraine einen Deal Waffen für Rohstoffe aushandeln würden? Auch unter der Biden-Administration gab es niemals Schenkungen und kostenlose Militärhilfen, sondern alles kreditfinanziert. Die Ukraine muss den USDA alles zurückzahlen. Wußtet Ihr das nicht? Trump holt nur die von Biden verhandelte Rendite ein. Wieso meint Ihr, dass Sohnemann Hunter in der Ukraine geschäftlich unterwegs war?



    Wenn die EU das auch machen würde, dann würden die EU-Volkswirtschaften nicht so unter den Kriegsanstrengungen leiden, die Ukraine würde ihre Waffen aus der EU bekommen und aus der gemeinsamen Erschließung würde irgendwann einmal ein reicher Quell für beide Seiten werden. So, wie es jetzt aussieht, plündern Russland und USA die östlichen Gebiete Donbas und Charkov demnächst komplett aus.

  • Es braucht keiner Klärung. "Wenn Europa davon spricht, die gewaltsame Verschiebung von Grenzen dürfe nicht geduldet werden", damm muss man einfach bei diesem Narrativ bleiben - und dementsprechend handeln. Man unterstützt die angegriffene Ukraine, fertig. So die Staaten unter Trump, so es Russland anders sieht, müssen die Ohren auf Durchzug gestellt werden. Es reicht unverdrossen die eigenen Fähigkeiten aufzubauen. Niemand weiß, wie viel Zeit noch ist. Wichtig ist, falls Trump doch Zugeständnisse macht, weiter auf Kurs zu bleiben.

  • Trump wird als nächstes den Europäischen Ländern mit militärischen Maßnahmen drohen, wenn sie die Ukraine weiter unterstützen.

    Das ist alles leider erst der Anfang und wenn in den USA nicht irgendjemand das Ruder rumreißt, dann wird das alles noch richtig furchtbar.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Aber wer soll das Ruder denn herumreißen? Wo ist eigentlich die Zivilgesellschaft in den USA? Haben die so schnell aufgegeben oder hecken die etwas aus und sammeln sich gerade? Ich befürchte, nein.



      Ich stelle mal die ketzerische und eigentlich demokratisch verwerfliche Frage: Wenn es noch einige vernünftige Militärs in den USA gibt, sollte es dem Wahnsinn dann ein Ende setzen?

    • @Gnutellabrot Merz:

      Warum sollte Trump das tun und welche Maßnahmen stellen Sie sich vor? Oder meinen Sie nur die Einstellung der Ukraine-Hilfen?

  • Es gab bisher durchaus zwei klare Strategien:

    1. Russland durch Sanktionen dazu zu bringen zu unseren bzw den ukrainischen Konditionen zu verhandeln.

    als nach ein paar Monaten absehbar war, dass nicht funkionierte gab es eine zweite Strategie:

    2. die Ukraine weiterhin so zu unterstützen, dass sie nicht verliert und auf ein Wunder hoffen



    (die Ukraine so auszustatten, dass sie eine Chance gehabt hätte zu gewinnen war nie wirklich eine realistische Optionen, da die Eskalationsgefahr von den enscheidenen Personen als zu hoch eingeschätzt wurden wofür es ja anscheinend auch gute Gründe gab).

    Eine dritte Stratgie zu entwickeln ist sehr schwer, da man dann nicht mehr zu den ausgegebenen "Prinzipien und Werten" stehen könnte. Also besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man einfach bei der zweiten Stragie bleibt.

  • "Klappt irgendetwas davon nicht, gerät nicht nur die Ukraine unter die Räder des imperialen Autoritarismus."

    Europa ist bereits unter die Räder gekommen, es steht nämlich im Moment ziemlich nackt da.

    Würde Putin jetzt seine Karten ausreizen und einen Testlauf starten wie weit er derzeit gehen könnte und würde er sich dafür das Baltikum als Handlungsort aussuchen und somit einen Bündnisfall auslösen, ist es nicht schwer zu erraten, welche Großmacht den Beistand verweigern würde.

    Das Blatt hat sich gewendet, die USA sind kein Partner mehr und auch nicht mehr der militärische Leader für Europa und die Nato.

    Europa hat es einfach verschlafen... im Sinne des klassischen Gorbatschow Ausspruchs.

    • @Sam Spade:

      "im Sinne des klassischen Gorbatschow Ausspruchs.

      "



      Welchen?

    • @Sam Spade:

      Ja, wir haben nur Glück, dass Putin noch Ressourcen sammeln muss.

      Die Zeit ist knapp.

      Unmöglich ist es aber nicht.

  • Danke für diesen Beitrag

  • Es wäre wirklich wünschenswert, wenn Europa endlich mal anfangen würde, strategisch zu denken und zu handeln.



    Leider sehe ich hier jedoch nur kopfloses Gegacker von unserer politischen Führung.



    Weder die Waffenlieferungen an die Ukraine, noch die jetzt groß angekündigte Aufrüstung folgen irgendeinem Plan. Was machen wir denn mit unserem absurd teuren und hochgerüsteten Militär in 10 Jahren?



    Gegen wen führen wir dann mit unserer Billionen € Armee Krieg?



    Denn so eine massive Aufrüstung ist eine absurd große Verschwendung von Ressourcen, wenn man nicht vorhat, die Armee auch einzusetzen.



    Die Sowjetunion ging daran wirtschaftlich zu Grunde, dass sie viel zu viel in ihre Armee gesteckt hat, ohne diese dann entsprechend einzusetzen.



    Daher gehört zu jeder Aufrüstungsdebatte halt auch die Frage: Wenn wir die Armee dann haben: Wo setzen wir sie ein?

    • @TeeTS:

      Hat sie doch in Afghanistan. Wahrscheinlich war ihr Fehler irgendwann die Invasion zu stoppen. Und die teure Armee ohne Einsatz war dann der Untergang

    • @TeeTS:

      Die Sowjetunion ging an einer jahrzehntelangen innerstaatlichen Misswirtschaft in einem Klima der Repression und Korruption wirtschaftlich zugrunde, weil sie Ihre militärischen Ressourcen weit überdehnte, um Afghanistan zu einem Teil ihres Imperiums zu machen.

      Die massive europäische Aufrüstung folgt dagegen dem klaren Plan Russland vor einem Angriff auf NATO-Staaten abzuschrecken, der Europa menschlich und wirtschaftlich tausendfach mehr als jede Aufrüstung kosten würde.

      Würden wir keine revisionistische Macht als Nachbarn haben, die beansprucht Europa zu dominieren, wäre die Aufrüstung absolute Verschwendung. Aber wir leben leider aktuell mit diesem Nachbarn. Ohne die Aufrüstung und ohne Verlass auf eine amerikanische Abschreckung würde sich Europa dem Imperialismus eines rechtsnationalistischen Russlands ausliefern. Unsere freiheitliche, friedliche Lebensweise und Demokratie ist dabei genauso bedroht, wie die Unabhängigkeit und Existenz der baltischen Staaten, der Ukraine, Moldau und evtl sogar von Rumänien und Polen