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Eigenheiten der deutschen CoronadebatteSchimpfpflicht für alle!

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Mit dem Virus hat sich in zwei Coronajahren leider auch Klugscheißerei pandemisch ausgebreitet.

Coronatheater Foto: imago

D ie neue Regierung hat eine Impfpflicht und ein paar neue Coronamaßnahmen angekündigt. Schön und schlecht. Zu viel, aber nicht genug. Noch wichtiger wäre die schnelle Einführung einer allgemeinen Schimpfpflicht. Denn, seien wir ehrlich, wir wissen es doch alle besser.

Wie kann es nur sein, dass die Politik nicht einfach alles richtig macht? Gute Ratschläge und klare Handlungsempfehlungen gibt es ja genug. Die einen können es angesichts der hohen Inzidenzen kaum fassen, dass immer noch fast überall Kneipen, Shoppingmalls und Fitnessstudios geöffnet sind, und wünschen sich einen harten Wellenbrecher-Lockdown. Die anderen akzeptieren nicht einmal die Maskenpflicht und halten sogar Tests am Arbeitsplatz für unzumutbar. Die einen sehen die Grundrechte gefährdet, die anderen die Gesundheit. Die einen werfen der FDP vor, dringend nötige Maßnahmen viel zu lang blockiert zu haben. Die anderen geißeln die Liberalen dafür, umgefallen zu sein, weil auch sie den Ungeimpften jetzt das Leben schwerer machen. Gemeinsam haben alle Kritiker eines: die feste Überzeugung, dass nur sie allein recht haben.

Mit dem Virus hat sich in den zwei Coronajahren leider auch die Klugscheißerei pandemisch ausgebreitet. Vor allem in den (längst nicht mehr) sozialen, aber auch in den konventionellen Medien nimmt der Hang zur Selbstgewissheit zu, andere Einschätzungen werden zu oft herabgewürdigt. Christian Drosten hat einen wunden Punkt getroffen, als er eine Nachbesinnung der Coronaberichterstattung auch im Journalismus gefordert hat.

Diese Mahnung betrifft vor allem all jene unverantwortlichen Klickzahlenjäger, die das reale Risiko der Infektionen herunterspielen und se­riö­se Wissenschaftler zu Sündenböcken für unangenehme Maßnahmen stempeln und damit gefährden. Aber auch viele Vorsichtsmahner, die der alten und neuen Regierung Untätigkeit und Versäumnisse vorwarfen, machten es sich oft zu leicht. Es waren nicht nur Politiker, die im Sommer die Coronagefahren verdrängten und lieber die scheinbar sorgenfreie Zeit genossen. Jetzt im Nachhinein zu behaupten, es sei doch sonnenklar gewesen, dass Corona trotz Impfungen in diesem Winter noch schlimmer wüten würde als je zuvor, ist wohlfeil. Fast alle, natürlich auch der Autor dieser Zeilen, haben sich bei der Einschätzung der Coronagefahren schon geirrt.

Fehler sind keine Schande in einer Pandemie, bei der stündlich neue Zahlen und wechselnde Erkenntnisse bekannt werden. Aber Selbstgerechtigkeit verstärkt die Spaltung. Darüber sollten wir alle mal nachdenken. Ehrlich.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Da könnte ich Ihnen ja zustimmen, aber:

    "Denn, seien wir ehrlich, wir wissen es doch alle besser.“ Diese These muss ich auf das allerschärfste zurückweisen.

    Meiner festen Überzeugung nach, und da sollten mir ehrlicherweise alle zustimmen;



    Ich bin es der alles besser weiß!

  • Mir hat bei den vielen "Coronaverordnungen" oft genug die Logik bzw. die Konsequenz gefehlt. Sei es das Böllerverbot ,die Ausgangssperre,die "Besser als nichts"-Stofflappen, usw. Gegenwärtig wird durch die Auflagen die für Ungeimpfte gelten ,der Eindruck vermittelt das der Impfschutz fast vollständige Sicherheit gewährt,sowohl was Eigenansteckung und Infektionsweitergabe betrifft. Sinnvoll wäre Impfung UND Test nicht Impfung oder Test.Natürlich ist die Impfung nicht vergeblich,setzt vor allem das Eigenrisiko herab so wie auch die Weitergabe. Leider verkennen so einige Menschen , das trotzdem grundsätzlich ein Risiko vorhanden ist,welches angesichts der kürzer als angenommenen Schutzdauer und neuer Virusvarianten wieder größer wird.



    Bin ich nun ein "Klugscheißer" ,wenn ich aufgrund dieser Fakten die logische Inkonsequenz der aktuellen "Coronapolitik" kritisiere ?

  • Als im Sommer die Zahl er neuen Infektionen stark gesunken sind, gehörte ich auch zu denen die dachten, es sei bald völlig vorbei. Die Politiker konnten sich den Forderungen endlich einen unbeschwerten Sommer zu ermöglichen kaum verschließen. Ja, mir tun sie leid, was selten vorkommt. Einem Volk von Freizeit Virologen und Amateur Statistikern kann man es nicht recht machen. Von Ihnen werden keine Hypothesen aufgestellt, sondern Gewissheiten verkündet.

  • Danke dafür dieses Thema aufgegriffen zu haben !

    Leider wird die Grundaussage "Achtung vor Klugscheißerei" im letzten Abschnitt dann doch wieder relativiert.

    "Diese Mahnung trifft vor allem jene ..." - da ist sie ja doch wieder, die, zumindest tendenzielle, Zuschreibung von Schuld und Verantwortung.

    Nein, so eine Mahnung sollte alle treffen, die in einem gesellschaftlichen Kontext wie einer Pandemie öffentlich Aussagen von sich geben.

    Gerne diskutieren, gerne um Lösungen ringen, aber Schluss den Behauptungen, dass nur die eigene Meinung selbstverständlich wahr ist.

    Und was genau sind "reale Risiken"?



    Wieviele Lottospieler gibt es in Deutschland, obwohl das reale Risko eines Lottogewinns bei 1: x Milliarden liegt? Wir schätzen Risiken alle unterschiedlich ein. Das macht gute Kommunikation in diesen Zeiten ja so schwierig - und so nötig!

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @TTT:

      Vom Lottospielen stirbt man nicht.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Der Autor hat Recht.

  • Tja, die Evolution hört halt nicht auf. Viele Entwicklungen sind möglich. Faszinierend zu beobachten, wie dies die Menschen schlichtweg überfordert.

  • Wie kommt der Autor auf diese These?

    "...dass Corona trotz Impfungen in diesem Winter noch schlimmer wüten würde als je zuvor, ist wohlfeil. "

    Zwar sind die Inzidenzen auf Rekordniveau, aber Corona wütet aufgrund der Impfung, des relativ geringen Durchschnittsalters der Erkrankten und des besseren Schutzes in den Altenheimen weit weniger schlimm als im letzten Winter. Bei gleicher Zahl an Intensivbetten wäre die Lage geradezu komfortabel - oder umgekehrt hätten wir letztes Jahr mit diesen Inzidenzen ein noch viel schlimmeres Massensterben gehabt als es sowieso schon gab (weil niemand geimpft war, der Impfstoff gerade erst zugelassen, in GB fing man ungefähr heute vor 1 Jahr mit dem Impfen an).

  • Also mal ehrlich: Manche Viren haben die Fähigkeit sich zu verändern und das sogar mit großer Variabilität, Varianz, Virulenz und Virabilität oder vielen neuen Wortschöpfungen, die nur mit VIR *** anfangen müssen. Also mal gelogen: Klugscheißen können alle, Politiker, Journalisten, um mal die wichtigsten zu nennen, aber auch Gesundheits- und Heiltheoretiker, Angsthasen und Wichtigtuer, Spaßvögel und Freiheitsdenker, Nach,Vor und Hinterdenker (hier sind die Politiker und Journalisten jetzt ausdrücklich nicht gemeint -weil ja schon vorher erwähnt). Noch mal gelogen: Viele wissen zur Zeit was, manche glauben es, andere anders, aber anders sollte man nicht glauben, was alles glaubbar ist, weil sonst ungläubigwürdig -, und sicher kann nichts anderes glaubwürdig sein als die Wahrheit, die aber einfach keiner begreifen und glauben will - und ja keiner kennt. Und jetzt mal ehrlich: Viren können sich so oder so verändern, das weiß halt keiner wie, deshalb nennt man und frau das Forschung, was gebraucht wird und das Hoffen auf gute Impfstoffe. Deshalb kann eine Mutation des Coronavirus morgen trotzdem die ganze Menschheit dahinraffen, dann hört das Klugscheißen auf, oder auch völlig harmlos werden, dann geht das Klugscheißen weiter. Das weiß halt keiner, aber glauben kann frau und man viel. Also klug geschissen ist gut, weil weiterleben, Verstopfung schlecht, weil kann dran gestorben werden– nur was sagt uns das.

  • Auch ich fasse mir da an die eigene Nase.

    Als ich im Herbst fassungslos an einem Samstagabend im Stadionnahen Bahnhof umstieg und über eintausend teils betrunkene allenfalls semimaskierte Fans stolpere, dann weis ich, dass die nächste Welle rollt und wir doch sofort einen Lockdown brauchen.

    Ein paar Wochen zuvor habe ich gewettert dass ja übermäßige Restriktionen gesellschaftsschädigender sind als Corona.

    Das ist imho eben das Problem, das die unmittelbare Erlebnisumgebung die Haltung maßgeblich beeinflusst und es mir schwer fällt wie noch nie, eine "Meinung" oder Position zu finden, bei der ich wirklich zuversichtlich bin, mich auf gesundem Terrain zu bewegen. Das war noch nie so ausgeprägt. Daher bemühe ich mich, nicht gleich herumzutröten, dieses oder jenes muss ja jetzt passieren.

    Gleichwohl dürfen wir nicht allzuhumble alle Maßnahmen abnicken.



    Schwere Zeiten um dem eigenen Anspruch an Mündigsein gerecht zu werden.

    • @Horstl Fambacher:

      Danke für diesen ehrlichen Kommentar.

      Mich würde interessieren, weshalb Sie meinen, eine Meinung oder Position finden zu müssen.

      Ich konnte gut damit leben, dass ich kein Virologe bin und deshalb keine fundierte Meinung besitzen kann.

      Zu meinem Verständnis von Mündigkeit gehörte es, zugeben zu können, von einem Thema keine Ahnung zu haben und darum auf andere Leute, die Virologie studiert und seit vielen Jahren in diesem Bereich forschen, zu vertrauen.

      In dem Bewusstsein, dass neue Forschungsergebnisse deren bisherige Meinung umschmeißen könnten.

      Wie gesagt, Sie haben meinen vollsten Respekt für diesen sehr persönlichen Kommentar.

      • @rero:

        "Mich würde interessieren, weshalb Sie meinen, eine Meinung oder Position finden zu müssen."

        Nun, zum einen möchte ich nach Kräften im Sinne von Hannah Ahrends "Vita activa" in der Lebensumgebung wirken. (Von ihr als "Handeln" definiert).

        Für mich ist es zudem schwer auch nur einen Fußbreit auf die Weitsicht der Machtinhaber*innen zu vertrauen. Um jedoch kritisch zu hinterfragen ist es imho vonnöten aus einer "Haltung" heraus - die nach bestem Wissen und Gewissen so fundiert als möglich gebildet wird - zu formulieren.

        Gleichwohl muss jene Haltung natürlich immer wieder in Frage gestellt werden und ggf. modifiziert oder gar überworfen werden.

        Und darauf zielte mein Kommentar ab. Ich bin noch nie so überfordert gewesen überhaupt eine fundierte "Haltung" zu finden, welche dann im o.G. Sinne modifizierbar ist.

        Diese Unsicherheit ist eine neue, sehr belastende Erfahrung und ich hoffe, dass alsbald wieder Schwung in die Widerstände FÜR Klimagerechtigkeit, Teilhabe aller und Grenzenzerschlagen kommt, sowohl in Bewegungsstrukturen als auch persönlich.

        Hoffe das ist noch im Rahmen des kommentierten Artikels und nicht zu abschweifend ;-)

    • @Horstl Fambacher:

      "(...) unmittelbare Erlebnisumgebung die Haltung maßgeblich beeinflusst (...)"

      Kenn ich: bin froh, dass ich es nicht zu sagen hatte, ansonsten wäre das auch eine schöne Eierei geworden.

      "(...)Schwere Zeiten um dem eigenen Anspruch an Mündigsein gerecht zu werden.(...)"

      Zu viele Infos, zu viele Meinungen...watt willste machen - kannste nix machen.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Eigene Erfahrungen zählen aber schon: Ich(schon recht alt) musste nachdem ich mich im Impfzentrum gemeldet hatte Wochen auf eine Antwort warten und weitere zwei Monate auf meine Erstimpfung, dann nochmal drei Monate auf die zweite Impfung, also bis Ende August. Jetzt heißt es vor Ablauf von sechs Monaten kann ich keine Boosterimpfung bekommen. Am Ende habe ich dann noch einenSchutz von ca15% und das mitten im Winter, wo die Abwehrkräfte sowieso in den Keller gehen. Da schimpft man dann schon manchmal auf die Politik! Weil ja oft so getan wird, als wären nur die Impfunwilligen das Problem. Auch der bürokratische Apparat ist Schuld , für den Dringlichkeit ein Fremdwort zu sein scheint.



    Von der Politik - das übliche blame game!

    • @03998 (Profil gelöscht):

      Kann ich nicht nachvollziehen!



      Auch schon über 65



      Kleinstadtbewohner



      Habe alle drei Impfungen hinter mir



      Und bei einer relativ neu ansaessigen Allgemeinärztin hier,die noch nicht meine Hausärztin ist,innerhalb von je ein paar Tagen nach Email-Kontakt die Termine bekommen!