Edward Snowden im Livechat: „Ich lasse mich nicht einschüchtern“
Er würde gerne nach Hause, das gehe aber nicht. Die Drohungen aus dem Pentagon findet er bedenklich – für alle. Edward Snowden im öffentlichen Livechat.
BERLIN taz | „Mir ist klar, dass mein Leben bedroht wird, aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Wenn man das Richtige tut, bereut man es nicht,“ antwortete Edward Snowden am Donnerstagabend in einem öffentlichen Livechat auf die Frage, ob er Angst um sein Leben hätte. Die Frage war wohl eine Anspielung auf vorangegangene Berichte: Unter anderem ein Pentagon-Beamter soll gesagt haben, er würde Snowden gerne eine Kugel verpassen.
Die Drohungen würden ihn beunruhigen, aber nicht aus den offensichtlichen Gründen. Sondern weil „Regierungsmitglieder sich so auf ihre Autorität verlassen, dass sie Reportern offen erzählen, dass der 5. Zusatzartikel der Verfassung, der die Rechte eines Angeklagten sichern soll, ein überholtes Konzept ist – das sollte uns alle stören.“ Denn es seien die gleichen Menschen, die sagen, dass sie das Recht auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit oder das Recht auf Schutz vor Übergriffen des Staates anerkennen würden.
Edward Snowden sollte eine Stunde lang Fragen, die auf Twitter mit dem Hashtag #AskSnowden gestellt wurden, beantworten. Am Ende dauerte der Chat fast zwei Stunden, Twitter wurde mit Fragen überhäuft, die Zeit reichte nur um einige davon zu beantworten.
„Datenbanken des Verderbens“
Einer der Twitternutzer fragte, was die schlimmste und gleichzeitig realistischste Bedrohung, die von der Massenüberwachung ausgeht, sein könnte. Snowden brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Du weißt vielleicht nicht mehr, wo du am 12. Juni 2009 zu Abend gegessen hast, aber die Regierung weiß es.“
Bedenklich seien die permanenten Aufzeichnungen, die über Jahre angelegt werden, auch wenn man nichts falsch gemacht habe. Die Macht dieser Aufzeichnungen dürfe man nicht unterschätzen, sagt Snowden und beruft sich auf Forscher, die bei diesen Ansammlungen von „Datenbanken des Verderbens“ sprechen. Denn hier wären auch über die unschuldigsten Individuen schädigende und peinliche Details zu finden. Die Überwachung könnte auch unseren Alltag beeinflussen, denn Menschen würden sich anders verhalten, wenn sie beobachtet werden.
Zur Rede von US-Präsident Obama über die NSA-Affäre, sagte Snowden, dass er den gewählten Zeitpunkt interessant fand. Immerhin hätte man davor wiederholt betont, dass die Programme nicht missbräuchlich verwendet werden. Mit der Massentelefonüberwachung hätte die US-Regierung aber 120 Millionen Mal die Verfassung verletzt, ohne einen einzigen Komplott aufzudecken. „Es gibt einfach keine Rechtfertigung ein Programm weiterzuführen, dass eine nullprozentige Erfolgsquote hat“, fügt Snowden hinzu.
Niemand war bereit die Freiheit zu riskieren
Nach Hause würde er gerne, aber das Whistleblower-Schutzgesetz der USA hält er für lückenhaft. Es biete nicht genug Schutz – gerade als würde man die Menschen davon abschrecken wollen, Fehlverhalten zu melden. „Es wurde auch nicht weitläufig darüber berichtet, dass diese Gesetze nicht für Menschen gelten, die im Bereich der Nationalen Sicherheit arbeiten.“ Snowden erklärt, dass er keine große Wahl hatte. Hätte er das, was er über verfassungswidrige aber geheime Programme wusste, dem Kongress vorgetragen, dann hätte man ihn wegen einer Straftat verurteilen können.
Unterstützen: Für Edward Snowden wurde, wie auch für Chelsea Manning oder Sarah Harrison, eine Seite eingerichtet, auf der man die Whistleblower unterstützen kann.
Nachlesen: Das komplette Chatprotokoll kann online nachgelesen werden.
Protesttag am 11. Februar: Bevor Snowden den Chat beendete, teilte er noch den Link der Seite „The Day We Fight Back“, wo mehrere Organisationen gemeinsam einen Protesttag gegen verfassungswidrige Überwachung organisieren.
Er habe damals trotz der misslichen Lage enormen Aufwand betrieben „um diese Programme bei Arbeitskollegen, Vorgesetzten und jedem, der über eine entsprechende Sicherheitsfreigabe verfügte und zuhören würde, zu melden.“ Die Reaktionen hätten von tief besorgt bis entsetzt gereicht, aber keiner von ihnen war dazu bereit Job, Familie und möglicherweise die eigene Freiheit zu riskieren. Die Schuld sieht er beim System: „Hätte es einen anderen Weg gegeben, hätte ich vielleicht nicht so viel aufs Spiel setzen müssen, um etwas zu tun, das anscheinend inzwischen sogar der Präsident für notwendig hält.“
Barack Obama erwähnte in seiner Rede auch, dass Whistleblower Agenten und Missionen gefährden würden. Snowden ist sich keiner Schuld bewusst und weist Berichte zurück: „Bei allem Respekt für Mark Hosenball, der Bericht von Reuters war falsch. Ich habe nie Passwörter gestohlen, und auch keine Armee von Kollegen ausgetrickst.“
Nicht jede Spionage ist schlecht
Snowden relativiert in seinen Antworten aber auch. Die Beamten der Geheimdiensten seien nicht grundsätzlich schlecht und hinter der Bevölkerung her, sie seien Menschen die versuchen das Richtige zu tun und hätten seiner Erfahrung nach ähnliche Bedenken gehabt wie er. Man müsse aber die im Auge behalten, die weiter oben sitzen und solche Überwachungsprogramme erst ermöglichen.
Er denke auch nicht, dass jede Spionage schlecht sei. Aber „eine Person sollte in der Lage sein zu telefonieren, einzukaufen, Nachrichten und Emails zu schreiben oder eine Webseite zu besuchen, ohne sich dabei Gedanken machen zu müssen, wie das in der Akte aussieht“, sagt er. Wenn die USA den 4. Zusatzartikel der Verfassung, also das Recht, sich vor staatlichen Übergriffen zu schützen, außer Kraft setzen kann, werde auch jeder zweitklassige Diktator, der willkürliche Überwachung einsetzt, immunisiert. Es müssten globale Lösungen und Sicherheitsstandards eingeführt werden.
Für die Massenüberwachung gibt es in Snowdens Augen keinerlei Rechtfertigung. Die NSA habe Mittel um eine gezielte Überwachung durchzuführen, ohne dabei die komplette Bevölkerung miteinzubeziehen. „Wenn wir es schaffen, jedes Gerät auf der Welt zu überwachen – bis hin zu Angela Merkels Telefon, wenn man den Berichten denn Glauben schenkt – dann gibt es keine Entschuldigung dafür, die Telefonprotokolle von Großmüttern aus Missouri zu sammeln.“
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