Editorial von Kai Schöneberg zur Klimastreik-Ausgabe: Bitte wieder lauter!
Sorry, liebe Fridays! Wir müssen reden, aber ernsthaft: Denn irgendwie habt Ihr es verpennt. Ihr wart riesig, Ihr wart superwichtig. Eure Gründerin hat vor der UNO gesprochen, Weltpolitiker*innen wie Merkel oder Obama wollten Greta Thunberg treffen – und dabei gefilmt werden. Eine nicht mal 18-Jährige fetzte sich öffentlich mit Trump und Putin, setzte die Agenda des Planeten. Die Erderhitzung war nicht nur Topthema an Frühstückstischen und in Talkshows, auch in den Regierungszentralen der Welt. Auch viele Konservative machten mit, weil es en vogue war: Kein Konzern mehr ohne Klimabeauftragten oder Nachhaltigkeitskonzept, Markus Söder hat sogar einen Baum umarmt! Danke, liebe Fridays, Ihr habt den Hitzetod der Erde wohl ein bisschen hinausgezögert. Wahrscheinlich seid Ihr die erfolgreichste Umweltbewegung aller Zeiten.
Oder wart Ihr es? Denn dann kamen Corona und Ukrainekrieg, die Inflation, die Energiekrise – und das Comeback der Fossilen. Wir brauchten weniger Abhängigkeit von Despoten – und wollten nicht frieren. Da wart Ihr auf einmal weg vom Fenster. Die Realpolitik hat Euch klein gemacht. Oder?
Seien wir ehrlich: Ihr ruft an diesem Freitag erneut zum „globalen“ Klimastreik auf. Friedlich und bunt, wie sonst auch. Aber – how dare you! – das ist gar kein Event mehr für Millionen. Der Streik findet nicht mehr weltweit statt, sondern nur noch in wenigen Ländern, in denen ihn sich die Protestierenden auch leisten können.
Sehr schade, denn natürlich ist die Klimakrise keineswegs gelöst. Ganz im Gegenteil, die Schwaden der Waldbrände in Kanada haben in diesem Sommer New York vernebelt, Libyen und Griechenland ersaufen gerade in den Fluten gigantischer Sommergewitter. Wir haben die 1,5 Grad Erderhitzung noch gar nicht erreicht. Aber die Apokalypse naht – vielerorts ist sie sogar schon da.
Ihr habt den Diskurs lange bestimmt – aber wo seid Ihr geblieben, liebe Fridays? Die Schlagzeilen über Eure Forderungen nach einer härteren Klimapolitik sind von denen über Protestierende, die sich auf Straßen kleben, oder über den „Heizhammer“ oder die „Deutschlandgeschwindigkeit“ beim Bau von Flüssiggasterminals abgelöst worden. Zweimal im Jahr streiken und ab und zu ein paar schlaue Sätze im Fernsehen sagen, das reicht leider nicht, um durchzudringen. Ab auf die Dorf- und Rathausplätze, bitte ab sofort jeden Freitag Protest!
Klimaschutz muss wieder cool und brutal mehrheitsfähig werden. Omas for Future und die ganze Zivilgesellschaft müssen wieder so stark und präsent sein, dass kein Lindner, kein Merz, kein Biden und kein Xi weiter Politik gegen den Erhalt des Planeten betreiben kann.
Hallo Fridays, bitte werdet wieder lauter und übernehmt wieder das Kommando! Vom großen Dilemma der KlimaaktivistInnen in Deutschland und weltweit handelt diese Sonder-Streikausgabe der taz. Viel Spaß bei der Lektüre!
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