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Editorial von Barbara Junge zur wahltazWählen und kämpfen

Zehn Jahre nach der Pariser Klimakonferenz steuert die Welt auf katastrophale Veränderungen zu. Die globale Durchschnittstemperatur lag 2024 zum ersten Mal über der kritischen Grenze von 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.

Nichts dagegen zu tun, ist keine Option. Doch der gesellschaftliche Umbau ist teuer und erfordert kollektiv wie individuell große Veränderungsbereitschaft. Das Geld dafür ist, außer in den Händen der oberen Zehntausend, knapper geworden. Geopolitische Disruptionen wie der russische Angriffskrieg und Donald Trumps neokoloniale Ansprüche führen obendrein zu einem Verlust an Sicherheit in globalem Maßstab.

Die fundamentale Verunsicherung, die zunehmende globale Ungleichheit und eine weltweite Relativierung von Fakten nützen auch in Deutschland vor allem Rechtsextremen und Autokraten. Die Situation ist also bescheiden. Und niemand scheint in dieser so entscheidenden Zeit zu wissen, wie der gleichzeitigen Bedrohung durch Klimakrise und Rechtsextremismus zu begegnen ist.

Die jeweiligen politischen Antworten wirken aus linker und ökologischer Sicht widersprüchlich. Einerseits will man angesichts der Klimakrise entschieden handeln, andererseits hält man sich aus Angst, rechtsextreme Narrative zu füttern, mit harten ökologischen Forderungen zurück. Die Folge ist ein Zurückweichen im Kampf gegen die Klimakrise. Aktivistinnen und Aktivisten formulieren klimapolitische Anliegen mitunter vorsichtig in „Nachhaltigkeit“ um, was die Krise verdaulicher erscheinen lässt. Der grüne Kanzlerkandidat stellt die Schuldenbremse nicht etwa für die Klimapolitik infrage, sondern für eine aufgemantelte Verteidigungspolitik. Und im Wahlkampf lautet die allgemeine Botschaft: Migration ist das Schicksalsthema der Menschheit – und nicht die Bedrohung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen.

Doch Rückzug ist das Letzte, das wir uns jetzt leisten können, das zeigen unter anderem die verheerenden Brände in Los Angeles oder die Lage in Österreich, wo ein rechtsextremer Kanzler droht. Im Gegenteil: Wenn denn nichts offenkundig richtig ist und jeder Fakt verzerrt werden kann, ist utopisches Denken praktische Vernunft.

Wer erfolgreich Klimapolitik machen will, muss sich trauen, einen starken Staat der anderen Art zu denken; einen Staat, der emotionale und finanzielle Sicherheit schafft. Der den Umbau der Gesellschaft in die Hand nimmt und der sich das Geld dafür auch dort holt, wo es zuhauf vorhanden ist: bei den Vermögenden.

Der Ruf nach vermeintlicher Freiheit von Heizungsgesetzen, Veggie-Days und Klimapolitik im Allgemeinen zielt auf einen Abbau staatlicher Lenkung. Davon profitieren hauptsächlich Konzerne. Sicherheit kann aber, entgegen konservativen bis rechtsextremen Erzählungen, auch aus mehr statt weniger Steuerung erwachsen. Das reicht dann allerdings weit über die „sozialökologische Transformation“ oder eine homöopathische Bürgergelderhöhung hinaus. Die Demokratie und unsere Lebensgrundlagen stehen auf dem Spiel. Da wird doch Deutschlands finanzielle Bonität die Aufhebung der Schuldenbremse vertragen.

Mit dieser Haltung beginnt die taz ihre Wahlkampfberichterstattung. Bis zur Bundestagswahl am 23. Februar widmen wir uns auf allen Kanälen drängenden Themen wie Krieg und Frieden, Emanzipation und sozialer Gerechtigkeit. Zum Auftakt blicken wir in dieser Woche auf Klima und Energie. Währenddessen reisen gerade Tausende ins sächsische Riesa, um gegen die AfD zu protestieren.

Denn zwischen Klimapolitik und Antifaschismus steht nicht oder, sondern und.

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