EU und die Parlamentswahl in Ungarn: Eisiges Schweigen
Statt Premier Orbán zum Sieg zu gratulieren, will Brüssel Ungarn jetzt doch die Mittel kappen. Dafür soll der Rechtsstaatsmechanismus genutzt werden.
Orbán habe „seine Macht so umfassend wie noch nie missbraucht“, schrieb die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), auf Twitter. Nur auf diese Weise habe er gegen die Opposition gewinnen können. Die EU-Kommission trage eine Mitschuld, da sie es versäumt habe, gegen Rechtsstaatsverstöße in Ungarn vorzugehen.
Ähnlich äußerten sich die Europaabgeordneten Daniel Freund (Grüne) und Moritz Körner (FDP). Die Brüsseler Behörde habe es „über Jahre“ nicht geschafft, „gegen einen Autokraten in den eigenen Reihen vorzugehen“, so Freund. Die „Beschwichtigungspolitik“ von Kommissionschefin von der Leyen sei gescheitert, meint Körner.
Die CDU-Politikerin war mit den Stimmen Orbáns zur Kommissionschefin gewählt worden – und hat seitdem auffällig viel Geduld mit dem Rechtspopulisten bewiesen. So vermied sie es, den Anfang 2021 neu eingeführten Rechtsstaatsmechanismus zu nutzen, der die Kürzung von EU-Geldern erlaubt, wenn europäische Grundwerte verletzt werden.
Lange Zeit untätig
Das Europaparlament war darüber so empört, dass es vor dem höchsten EU-Gericht eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission einreichte. Doch auch danach tat sich lange Zeit gar nichts. Erst im Februar kündigte die Brüsseler Behörde an, dass sie den Rechtsstaatsmechanismus scharf stellen wolle. Orbán bekam jedoch weiter sein Geld.
Doch das könnte sich nun ändern. Noch in dieser Woche wolle die EU-Kommission gegen Ungarn vorgehen, heißt es in Brüsseler EU-Kreisen. Haushaltskommissar Johannes Hahn bereite bereits die nötigen Schritte vor, auch von der Leyen wolle nicht länger bremsen. Es wäre das erste Mal, dass der Rechtsstaatsmechanismus zur Anwendung käme.
Ungarn könnte sogar allein an den Pranger gestellt werden – und nicht zusammen mit Polen, wie bisher geplant. Zwar hat Brüssel auch gegen Warschau genug Material gesammelt, das Verstöße gegen den Rechtsstaat belegen soll. Doch im Ukrainekrieg ist eine neue Lage entstanden. Orbán hat sich mit Polen verkracht – und steht plötzlich allein da.
Bereits am Dienstag oder Mittwoch soll die Entscheidung zum Mittelentzug fallen. An der Niederlage der EU in Ungarn würde sie allerdings nichts mehr ändern. Jahrelang hat Orbán gegen „Brüssel“ und die „EU-Eliten“ Stimmung gemacht, immer wieder hat er außenpolitische Entscheidungen mit seinem Veto im Ministerrat blockiert.
Zuletzt hatte er sogar den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zu seinem Gegner erklärt. „Es ist davon auszugehen, dass Orbán die Putinisierung Ungarns nun für vier weitere Jahre fortsetzen wird“, fürchtet der FDP-Politiker Körner. Kremlchef Wladimir Putin hatte Orbán prompt zu seinem Wahlsieg gratuliert. Auch das könnte das eisige Schweigen in Brüssel erklären.
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