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EU-Strafmaßnahmen gegen UngarnDie Antwort steht aus

Kommentar von Barbara Oertel

Nach dem Wahlsieg der Fidesz-Partei will die EU Ungarn die Mittel kürzen. Wird Premier Orbán nun einlenken? Wohl kaum.

Wie weiter mit dem illiberalen Demokraten in Budapest? Fidesz-Anhänger lauschen Orbán im Wahlkampf Foto: Petr David Josek/ap

M it Ungarn ist es ein bisschen so wie mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es muss ganz schön dicke kommen, bis sich der Westen in Bewegung setzt. Es brauchte erst den haushohen Wahlsieg von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der allein mit unlauteren Wettbewerbsbedingungen nicht erklärt werden kann, damit Brüssel endlich den Rechtsstaatsmechanismus aktiviert.

Viel zu lange schon hat die EU die Causa Budapest schleifen lassen. Seit Orbáns Machtantritt 2010 sind Demokratieabbau, Aushöhlung des Rechtsstaates sowie Diskriminierung von Minderheiten Regierungsprogramm. Darüber hinaus flossen stattliche Summen von EU-Geldern in die Taschen der kleptokratischen Elite. Bislang reagierte Brüssel allenfalls mit homöopathischen Dosen.

Die vornehme Zurückhaltung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dürfte durchaus dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass ihre Beförderung nicht zuletzt durch Orbán möglich wurde, der den Steigbügelhalter gab. Ein kleines Vertragsverletzungsverfahren hier, ein wenig Blockade von Coronahilfen da. Erinnert sei nur an den Eiertanz um die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP. Letztendlich kam Orbán dem Rauswurf zuvor, indem er sich selbst aus der Fraktion verabschiedete.

Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Tatsächlich hatte die EU ohnehin keine andere Option. Wie sollte sie sonst Ländern wie der Ukraine erklären, dass, sollte von ihr nach Russlands militärischem Amoklauf überhaupt noch etwas übrig sein, der Beitrittsprozess Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen könnte.

Orbán hingegen wird sein Störfeuer gegen Brüssel weiter zündeln. Der einzige Unterschied ist, dass er es durch seinen wachsweichen Kurs gegenüber Russlands Präsidenten Wladimir Putin erfolgreich geschafft hat, auch noch die Visegrád-Staaten, allen voran Polen, gegen sich aufzubringen. Dass Brüssel jetzt die Mittel kappt, ist richtig, da alternativlos. Doch wie weiter mit dem illiberalen Demokraten in Budapest? Die Antwort darauf steht aus.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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4 Kommentare

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  • Ich bin mir nicht so sicher, ob es wirklich hilft, Ungarn die Mittel zu kürzen. Gerade weil Orbán ein klepto- und zunehmend autokratischer Machthaber ist, muss man davon ausgehen, dass er selbst der letzte sein wird, dessen Gehalt von den Kürzungen betroffen ist. Die restliche ungarische Bevölkerung leidet vorher.

    Ein anderes Problem im Bezug auf Sanktionen gegen Orbán ist das, dass der schlimmere Feind zur Zeit im Kreml regiert. Putin wartet nur darauf, dass es Zwietracht zwischen "westlichen" Ländern (also EU- oder auch NATO-Mitgliedern) gibt. Potenzial dafür wäre ja ausreichend da. Die Verhältnisse in Polen und Ungarn sind nicht nun mal nicht das, was man sich unter idealtypischer Demokratie vorstellt. Und in der Türkei ist alles noch viel schlimmer. Jeder weiß das. Und falls Donald Trump wieder an die Macht kommen sollte, wird die US-Demokratie auch schweren Schaden erleiden. Wir haben also nicht nur die sympathischsten Verbündeten, aber wir dürfen uns jetzt trotzdem nicht innerhalb unserer Bündnisse gegenseitig zerfleischen. Nicht, solange russische Soldaten in der Ukraine Zivilisten ermorden. Wenn wir diese Verbrechen aus dem Auge verlieren, wird Putin das nutzen. Die Taliban nutzen es ja auch aus, dass momentan kaum jemand an Afghanistan denkt.

  • Hier könnte man passend den spruch "wehret den Anfängen" anbringen.

  • Die Osterweiterung der EU war genau so ein Fehler wie die Ausdehnung nach Süden. Im Prinzip sind Deutschland und Frankreich die Herzensländer des Werte-Europas, eventuell, wenn man das ökonomische Auge zudrückt, auch noch Italien und Spanien. Skandinavien ist auch okay, aber die wollen ja keine Euros.

    • @C.O.Zwei:

      Das Problem ist, dass "europäische Werte" oft zitiert werden, um einen innereuropäischen Patriotismus zu zelebrieren, aber gerne vergessen werden, wenn es um das Verhalten europäischer Staatsorgane gegen Leute aus oder in nichteuropäischen Ländern geht. Europa ist nicht nur gut, Europa tötet durch seine restriktive Einwanderungspolitik massenhaft Menschen an seinen Außengrenzen. Europa ist reich und verweigert sich der sich daraus ergebenden Verantwortung, mehr für Entwicklungshilfe zu tun. Auch dadurch sterben Menschen. Die Triebfedern dafür -- Geiz, Rassismus und Selbstsucht -- werden von den rechtspopulistischen Regierungen in Ungarn und Polen unverhohlener zur Schau gestellt. Auch Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien sind aber an staatlich beauftragtem Unrecht beteiligt. So viel zum Thema "Werte".

      Aber, so zynisch es ist, solche Themen auf die lange Bank zu schieben, wir können uns trotzdem zur Zeit keine Revolte leisten. Der größere Verbrecher sitzt im Kreml und er sollte nicht den Eindruck gewinnen, dass seine Gegner untereinander uneinig sind.