E-Scooter kriegen neue Vorschriften: Riskante Regeln für Roller
Der Lobbyverband Fuss warnt: Neue Vorschriften für E-Scooter sind eine Gefahr für Fußgänger:innen. Doch auch Scooter-Fahrer:innen leben gefährlich.
Das Haus unter Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) will die Vorschriften für elektrische Tretroller insgesamt neu auflegen. Dafür hat es einen Referentenentwurf vorgelegt, den die Bundesländer und Verbände wie Fuss Mitte Juli zugeschickt bekommen haben. Bis jetzt regelt die sogenannte Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung des Bundes aus dem Jahr 2019 weite Teile des E-Scooter-Verkehrs, einige Rechte sind auch in der Straßenverkehrsordnung (StVO) festgeschrieben.
Rollerfahrer:innen dürfen in Ortschaften Radfahrstreifen auf Straßen, Radwege, Fahrradstraßen und geteilte Geh- und Radwege nutzen. Abgesehen von der neuen Regel fürs Rechtsabbiegen bei einem grünen Pfeil für Radfahrende sieht der Referentenentwurf nun vor, dass E-Scooter generell öfter das dürfen, was auch Fahrrädern erlaubt ist. Vorschriften, die in der Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge stehen, sollen in die StVO überführt werden.
So sollen dort, wo das Schild „Rad frei“ bisher nur Radler:innen das Recht gibt, auf Gehwegen zu fahren, laut dem Papier bald auch Roller unterwegs sein dürfen. Das betreffe zahlreiche Gehwege und Fußgängerzonen, sagt Fuss-Vorstand Roland Stimpel und nennt den Entwurf eine „grobe Attacke auf die Menschen zu Fuß“. Er gibt zu bedenken, dass Menschen vor allem auf geliehenen E-Scootern oft gefährlich und chaotisch führen. „Wo Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderungen und viele andere unterwegs sind, haben sie nichts verloren“, meint der Fußverkehrslobbyist.
Müssen E-Scooter bald keinen Abstand mehr halten?
Noch gefährlicher, laut Stimpel: Das Ministerium sieht vor, den Mindestabstand von 1,50 Metern explizit für E-Scooter zu streichen, wenn sie Fußgänger:innen überholen. Außerdem kritisiert Fuss, dass der Entwurf keine wirklich hohen Strafen enthält: Bußgelder für illegale Rollerfahrten auf Gehwegen würden zwar auf 25 Euro, für riskantes Slalomfahren in Menschenmengen auf 35 Euro erhöht. Stimpel fordert mindestens 55 Euro.
Und: Wissing wolle in der StVO verankern, dass E-Scooter genau wie Fahrräder auf Gehwegen abgestellt werden dürfen. Fuss hingegen schlägt vor, Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge ab 2026 auf Gehwegen oder in Fußgängerzonen nur noch auf markierten Parkflächen zum Verleih anzubieten.
Dass wild abgestellte Roller ein Problem sein können, unterschreibt auch Ragnhild Sørensen, Sprecherin des Vereins Changing Cities. „Viele Menschen mit Seheinschränkungen melden sich bei uns“, erklärt sie. „Für sie sind E-Scooter auf dem Fußweg extrem gefährlich.“ Es brauche sichere Abstellmöglichkeiten neben dem Gehweg.
2023 hat die Zahl der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen, das zeigte am Freitag eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Demnach registrierte die Polizei im letzten Jahr 9.425 dieser Unfälle, 14,1 Prozent mehr als 2022. 22 Menschen seien dabei gestorben – das sind doppelt so viele Todesopfer wie im vorherigen Jahr. 1.220 Menschen wurden 2023 schwer verletzt. 83 Prozent der Verunglückten waren selbst mit den Rollern unterwegs.
Vor allem E-Scooter-Fahrer:innen verletzt
Gleichzeitig waren die Schäden, die entstanden sind, wenn andere Menschen durch E-Scooter verletzt wurden, laut der Versicherungsbranche vergleichsweise hoch: „Jeder Unfall mit Personenschaden kostet im Schnitt über 13.000 Euro“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Diese Kosten fielen etwa für Behandlungskosten, Arbeitsausfall und Schmerzensgeld an.
Jörg Asmussen, Gesamtverband der Versicherer
Ähnlich wie Roland Stimpel hält er deshalb nicht viel davon, E-Scootern dort mehr Platz zu geben, wo Menschen zu Fuß gehen. „E-Scooter haben auf Fußwegen nichts zu suchen“, sagt Asmussen. Schon Radfahrende erhöhten in Fußgängerzonen die Unfallgefahr. „Statt das Problem mit E-Scootern noch zu verschärfen, sollten Rad- und Gehwege strikt getrennt werden.“
Ragnhild Sørensen von Changing Cities ergänzt, dass sich das Problem ohne breite Radwege nicht lösen lässt. „Die Geschwindigkeit von Rad- und E-Scooter-Fahrenden ist recht ähnlich, aber wenn es sich auch hier knubbelt, dann passieren Unfälle.“
Das Bundesverkehrsministerium teilt auf Anfrage der taz mit, dass es noch bis zum 9. August auf Stellungnahmen der Länder und Verbände zum Referentenentwurf warte. Für die geplanten neuen Regeln gelte eine Übergangsfrist von einem Jahr. In dieser Zeit könnten Kommunen prüfen, ob sich mehr Freiheit für Rollerfahrer:innen bewährt – oder ob sie für Elektrokleinstfahrzeuge doch wieder Verbote in Fußgängerzonen oder auf Gehwegen aussprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!