Douglas Murray und Nahostkonflikt: Mit Nazis für Israel

Die entschlossenste Solidarität mit Israel kommt in den USA und Großbritannien ausgerechnet von rechts außen. Douglas Murray liefert die Stichworte.

Ein Mann in einer brauen Cordjacke steht vor einer blauen Wand

Douglas Murray 2017 in Edinburgh Foto: Roberto Ricciuti/Getty Images

Douglas Murray hatte gerade angefangen, den Unterschied zwischen der Hamas und den Nazis zu erklären, da flog ihm eine Rakete über den Kopf. Nachdem er sich berappelt hatte, hob der britische Publizist im israelischen Nachthimmel zum Abschluss seines TV-Interviews mit Piers Morgan zu einer historischen Abhandlung an, die weltweit Furore machen sollte.

„Tatsächlich schämten sich die Nazis für ihre Taten“, behauptete er. „SS-Bataillone, die den ganzen Tag Juden in den Hinterkopf schossen und sie in Gruben schoben, mussten sich abends heftig betrinken, um zu vergessen.“ Hamas-Kämpfer, die am 7. Oktober in Israel Juden massakrierten, hätten hingegen danach stolz ihre Eltern in Gaza angerufen. „Ich übertreibe nicht. Es ist sehr interessant, und die Leute müssen das begreifen. Es gab diese Situation mit den Nazis, die auch eine genozidale antisemitische Organisation waren, aber sie versuchten, ihre Verbrechen zu verbergen. Hamas war tatsächlich stolz darauf.“

Die Nazis gar nicht so schlimm? „Großartig“ nannten dieses Interview mehrere Figuren des öffentlichen Lebens in Deutschland, SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete es als „sehenswert“, bevor er seinen Tweet wieder löschte. Murray hatte mit einem TV-Auftritt geschafft, was Nazipropagandisten seit Jahrzehnten vergeblich versuchen: Holocaust-Verharmlosung in Deutschland salonfähig zu machen, im Namen der Solidarität mit Israel.

Der 44-jährige Douglas Murray ist ein Vordenker der angelsächsischen Neokonservativen. Sein Bestseller „The Strange Death of Europe“ zeichnete 2017 ein düsteres Bild von einem Europa im Untergang, überrannt von Flüchtlingen und Islamisten; es wurde das Buch zum Brexit, das klarmachte, von was für einem Horror sich die Briten jetzt lösten.

Postkolonialismus als Abklatsch

„The War on the West“ (2022), sein neuestes Werk, ist ein Aufruf zur Wehrhaftigkeit des Westens gegen Woke. „Wenn wir böswilligen Kritikern erlauben, unsere Vergangenheit zu verfälschen und zu kapern, wird die von ihnen geplante Zukunft nicht harmonisch sein, sondern die Hölle“, schreibt Murray.

Douglas Murrays Westen ist stolz auf seine Geschichte und seine Überlegenheit, er sieht sich im Krieg mit „Black Lives Matter“ und Postkolonialismus, mit Genderideologie und Kulturrelativismus.

Wenige Monate nach dem Erscheinen seines neuesten Buches war Murray an der Universität Oxford im Dialog mit dem Theologen Nigel Biggar zu erleben, Autor kontroverser Werke zur moralischen Verteidigung des Kolonialismus. Der greise Biggar argumentierte bedächtig, der junge Murray lieferte die Pointen dazu. Der ganze Postkolonialismus sei bloß ein Abklatsch der Suche nach der „Ursünde“, lästerte Murray und behauptete, nicht die Kolonisierten hätten die Kolonialreiche zu Fall gebracht, sondern die Kolonialherren selbst: „Wir verloren den Willen, es zu tun.“

Murray trägt im besten Oxford-Stil vor, geschliffen und provokant, lässig-selbstverliebt, ein sprunghafter Charmeur. Seine Attitüde erinnert an Boris Johnson, ein weiterer Oxford-Absolvent mit Schulbildung im Elite-Internat Eton, beide als kostenbefreite Stipendiaten wegen ihrer Hochintelligenz. 2016 schrieb Douglas Murray im konservativen Wochenmagazin Spectator einen Erdoğan-Schmähgedichtwettbewerb aus, aus Solidarität mit Jan Böhmermann; es gewann Boris Johnson, der Ankara auf „wankerer“ reimte, zu Deutsch „Wichserer“.

Anders als die US-amerikanischen Neocons, die eher stählern daherkommen, pflegen ihre britischen Gegenstücke Frechheit und Witz, sie geben sich als respektlose Rebellen gegen ein verschnarchtes Establishment. Sie führen von rechts den libertären Kampf, der früher in Verteidigung von Salman Rushdie oder Charlie Hebdo von links kam.

In einer Gedenkrede für den ermordeten niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, wie er homosexuell, rief Murray 2006 dazu auf, den „Krieg gegen den Terror“ nach den Siegen in Afghanistan und Irak nun nach innen zu richten: „Akzeptanz und Hinnahme des Bösen“ werde Europa ruinieren, man müsse gegen den Islam „kompromisslos und absolutistisch“ agieren. „Uns von unserer verkommenen Gedankenwelt zu lösen ist der erste Schritt“, sagte Murray, „eine praktische Art, wie Bürger einen Krieg führen, den bisher nur unser Militär führt und gewinnt.“

Es ist von da nicht weit zum AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in der Israel-Sondersitzung des Bundestags am 12. Oktober, wo er sagte: „Israel, das ist der Westen in einer Umgebung, die den Westen ablehnt und bekämpft. Wenn wir uns an die Seite Israels stellen, verteidigen wir auch unsere Art zu leben und zu denken gegen einen politisierten Islam.“ Oder zum Appell von Wirtschaftsminister Robert Habeck – „Die hier lebenden Muslime (…) müssen sich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen.“

Die deutsch-amerikanische jüdische Publizistin De­bo­rah Feldman stellte diese Woche im Guardian fest, die Rhetorik von AfD und Ampel sei kaum zu unterscheiden.

Die Drecksarbeit machen

Der rechte Diskurs sieht Israel als Bollwerk des Westens, der im Kampf gegen die Barbaren die Drecksarbeit machen darf, eine Verkörperung des von Douglas Murray vermissten „Willens, es zu tun“.

Zum Gaza-Krieg fand Murray ebenfalls klare Worte. Wer jetzt noch eine Zweistaatenlösung fordere, „träumt von der Zerstörung Israels“, schrieb er, und zu Israels Kriegszielen in Gaza: „Vielleicht werden sie diesem unlösbaren Albtraum endlich ein Ende setzen, Hamas dem Erdboden gleichmachen oder diesen umnachteten Landstreifen von allen Palästinensern räumen. Es könnte dafür ein guter Zeitpunkt sein.“

Netanjahu, der selbst mit Rechtsextremisten regiert, bedient diese Haltung. Am 27. Oktober verglich er in einer TV-Ansprache Israels Kampf gegen die Palästinenser mit dem alttestamentarischen Krieg zwischen dem Volk Israel und dem Stamm der Amalek, ein „Krieg von Generation zu Generation“, wie es im 2. Buch Mose heißt. „Erinnere dich daran, was Amalek dir angetan hat“, sagte Netanjahu.

Entsetzte Kommentatoren verwiesen auf den göttlichen Vernichtungsbefehl an Israels König Saul im 1. Buch Samuel: „Darum zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Weihe alles, was ihm gehört, dem Untergang! Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel!“ Am Ende spricht Gott: „Ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen.“

Das einflussreiche US-Monatsmagazin Commentary, das sich als Magazin „für konservatives jüdisches Denken“ und als „Flagschiff des Neokonservatismus“ bezeichnet, titelt seine Novemberausgabe „Dann kam Amalek und kämpfte mit Israel“.

Das Amalek-Gedankengut rückt zwangsläufig den Holocaust in den Hintergrund. Murrays TV-Interview hat in den USA der jüdische Bestsellerautor und Trump-Fan Shmuel Reichman als „das beste, was ich je gesehen habe“ gepriesen. „Die Nazis, so fundamental böse, wie sie waren“, schrieb Reichman, „glaubten, dass sie ein notwendiges Übel für das letztendlich Gute vollbrachten.“ Weil die Nazis ihre eigenen Taten eigentlich ablehnten, „wurden sie kreativ und nutzten Gaskammern, Massenerschießungen (in den Hinterkopf, um direkten Gesichtskontakt zu vermeiden) und andere passive Formen der Massenvernichtung.“

Die Hamas hingegen sei „die Verkörperung eines Bösen, wie wir es noch nie gesehen haben“.

Marine Le Pen gegen Antisemitismus?

Solche Nazi-Apologetik bleibt eine Ausnahme, aber sie baut Brücken. Dass Rechtsextremisten gern an die jüdische Weltverschwörung glauben, ist kein Widerspruch zu Israel-Solidarität, im Gegenteil erhebt diese antisemitische Verschwörungstheorie Israel erst recht zum herausragenden Akteur mit einer historischen Mission. Israel erledigt die Drecksarbeit im Nahen Osten, die extreme Rechte in Europa.

Wohin das führen kann, ist in Frankreich zu erleben, wo es eine alte Tradition jüdischen Rechtsextremismus gibt – zuletzt bei der Präsidentschaftskandidatur des mit Douglas Murray vergleichbaren algerischstämmigen jüdischen Publizisten Eric Zemmour.

Am vergangenen Samstag rief Frankreichs Regierung zu Großkundgebungen gegen Antisemitismus auf. Anders als bei solchen Anlässen üblich blieb Präsident Emmanuel Macron fern. Star in Paris war die Rechtsextremistenführerin Marine Le Pen, deren „Rassemblement National“ sich flugs zum „einzigen Bollwerk gegen Antisemitismus“ erklärte.

Am gleichen Tag gingen in Lyon vermummte Rechtsex­tre­mis­ten mit Eisenstangen gegen eine Gaza-Veranstaltung in einem kirchlichen Raum vor, und in London marschierten wütende Rechtsnationale gegen eine Palästina-Großkundgebung, die die Polizei zu ihrer Empörung nicht verboten hatte. Es bedarf nicht allzu viel Fantasie, um sich Ähnliches auch in Deutschland vorzustellen. Douglas Murray liefert die intellektuelle Grundlage.

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