Doku über Kimmich und das Impfen: Die Coronasache
Joshua Kimmich wird als robuster Fußballer geschätzt. Nun zeigt er sich verletzlich und tief getroffen vom moralischen Sturm auf ihn als Impfskeptiker.
Bis heute wirken Ausgrenzung, immenser öffentlicher Druck und oft unsachliche Argumentation im Plenum, in Zeitung und Fernsehen nach. Die Coronasache harrt hierzulande noch einer ernsthaften politischen Aufarbeitung, und solange sich damals wie heute verantwortliche Politiker mit der Leerformel „Wir wussten es halt nicht besser“ herausreden können, schwärt die Wunde, die damals, und es waren ja fast drei Jahre, gerissen wurde.
Joshua Kimmich führt die Gedanken jetzt noch einmal zurück in diese unheimliche Phase und liefert vielleicht den Anstoß für ein wirkliches Besprechen von Fehlern, Übergriffigkeiten und Zumutungen, die redliche Bürger zu Objekten staatlichen Handels und Drängens degradierten. Dieser Diskurs wäre wichtig in einer offenen Gesellschaft, die sich in der harten Auseinandersetzung immer wieder neu ausrichtet und idealerweise Lösungen findet. Wenn weiter laviert und verdrängt wird, verstärkt sich eine Spaltung, die in der Hochphase von Corona kaum hätte größer sein können. Und wer hätte das persönlicher durchleben können, als Joshua Kimmich, der ja mit der Impfung zögerte. Er war wie Millionen im Land nicht überzeugt von der mRNA-Technologie.
Viele zweifelten – zurecht – den oft kolportierten Eigen- und Fremdschutz der Impfung an und damit die Legitimität von 2G und 3G. Kimmich selbst sorgte sich um negative Langzeitwirkungen, sicherlich auch um die gerade in der Kohorte der Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen diagnostizierten Herzmuskelentzündungen. Der Körper ist das Kapital eines Sportlers. Er muss sich Gedanken darüber machen, ob dieses oder jenes Mittel für ihn geeignet ist. Obendrein schützt ihn das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor staatlicher Willkür. „Es war unmöglich für mich, ohne Impfung weiter Fußball zu spielen“, sagt Kimmich in der ZDF-Doku von Jan Mendelin (in der Mediathek zugänglich).
Massiver öffentlicher Druck
Er war wochenlang als sogenannte Kontaktperson von Infizierten außen vor, also in Quarantäne. „Es war dann auch so, dass Bayern mir nicht mehr das Gehalt ausbezahlt hat.“ Kimmich musste abwägen, ob er monatelang nicht im Kader steht oder sich den Schuss geben lässt. „Und am Ende des Tages habe ich mich impfen lassen.“
Er lässt durchblicken, dass diese Entscheidung nicht auf dem Humus eines freien Willens fußte, sondern eben herbeigeführt wurde durch massiven öffentlichen Druck. „Ich habe mich zu lang allein gelassen gefühlt“, sagt Kimmich zudem – und wieder werden sich Millionen im Land in Kimmich wiedererkennen, nachfühlen können, wie skrupulöse Individuen vom Kollektiv überrollt wurden.
Obwohl seit sieben Jahren ein absolut verlässlicher Angestellter des FC Bayern, lernt Kimmich die neue Seite seines Arbeitgebers kennen: „Da war ich schon enttäuscht und getroffen.“ Man warf dem noch ungeimpften Sportler allen Ernstes vor, für die „Pandemie der Ungeimpften“ und damit auch für Tode verantwortlich zu sein. Auch Freunde von Kimmich bliesen in dieses Horn.
Größe und die Fähigkeit zu verzeihen
In den großen TV-Formaten und den maßgeblichen Medien gab es zumeist nur Unverständnis für Kimmichs Zögern. In der taz erschien dann ein Text von mir, der davon abwich: „Seit über 18 Monaten testen wir uns nicht nur auf ein Virus, wir testen uns auch auf Compliance – und, wie es so schön heißt, auf solidarisches Verhalten. Der Einzelne hat besser im Vorsorgekollektiv aufzugehen, sonst könnte es ungemütlich werden. Selbst liberale Geister verkünden in diesen Wochen apodiktisch: Halt’s Maul und lass dich impfen!“
Und weiter: „Wer die hygienische Norm erfüllt, ist wohlgelitten, wer Probleme hat, sich in den kratzigen Mantel des neuen Normal zu hüllen, der bekommt das geballte Unverständnis einer zunehmend unerbittlichen Mehrheit zu spüren.“
Joshua Kimmich ist nicht eingeknickt, wie in bestimmten Kreisen, von der Masse nur „Schwurbler“-Szene genannt, damals gerichtet wurde, er hat sich lediglich dazu entschieden, ein wieder halbwegs normales Leben zu führen. Dass er das weiterhin beim FC Bayern tut, spricht für seine Größe und die Fähigkeit, verzeihen zu können.
Wie sagte CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn schon zu Beginn von Corona: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt