Nach überstandener Corona-Infektion: Hoffen auf den Kimmich-Effekt
Fußballprofi Joshua Kimmich will sich nun doch gegen Corona impfen lassen. Warum nur ist das der „Tagesschau“ eine Meldung wert?
Gewalttätige Coronaproteste in Thüringen und Baden-Württemberg. Tornadoserie im US-Bundesstaat Kentucky mit über 80 Toten. Antrittsbesuch des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Polen. Über diese wichtigen, teilweise bedauernswerten Ereignisse wird der unterrichtet, der am Sonntagabend die 20-Uhr-„Tagesschau“ schaut. Und auch hierüber: „Nach überstandener Infektion: Bayern-Profi Kimmich will sich impfen lassen“.
Im ZDF habe der Fußballnationalspieler gesagt, so „Tagesschau“-Moderator Constantin Schreiber, dass es für ihn schwierig sei, „mit seinen Ängsten und Bedenken umzugehen“, dass er deshalb so lange unentschlossen gewesen sei. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe auf Twitter geschrieben, so Schreiber weiter, dass Kimmichs Entscheidung Respekt verdiene. Dass es vielen so gehe, die es gezielter anzusprechen gelte. Der Relevanzkontrast zu genannten anderen Meldungen lässt fragen: Warum ist die Impfentscheidung eines Fußballers so wichtig?
Weil mittlerweile auch Menschen diesen Kimmich kennen, die nichts mit Fußball zu tun haben. Weil es im Oktober diese Debatte um ihn gab, weil er im Interview Bedenken zur Coronaimpfung geäußert hatte, genauer: über mögliche Langzeitfolgen, die von vielen Experten bereits ausgeräumt worden waren. Mittlerweile hat sich Kimmich infiziert. Und nun eben eingeräumt, dass es ein Fehler gewesen ist, sich nicht früher impfen zu lassen. Er hat also den Ernst der Lage verstanden und will sich in Zukunft schützen. Warum muss man ihm für sein Eigeninteresse Respekt zollen?
Weil es keinen Fußball ohne Helden gibt. Und keine Debatte ohne Helden, die sie für die Allgemeinheit ausfechten. Entsprechend der kollektiven Empörung über die vor wenigen Wochen geäußerten Bedenken lässt sich das große und erleichterte Interesse an Kimmichs Sinneswandel nun als Hoffnung auf den Kimmich-Effekt lesen: dass sich jetzt viele unentschlossene oder entschlossene Ungeimpfte doch noch impfen lassen.
Das ist nicht völlig abwegig. Als Kind habe ich mir auch blonde Strähnchen gewünscht, weil David Beckham solche trug. Aber Impfungen und Frisuren sind verschiedene Dinge. Und impfskeptische Erwachsene sind keine Kinder. Deshalb wirkt die Hoffnung dann auch schon wieder wie eine Ersatzhandlung für schwierige, möglicherweise unpopuläre, nicht rasch genug getroffene Maßnahmen, die dem Impffortschritt tatsächlich einen ordentlichen Schub geben könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen