Diskussion um Wandbild in Hannover: Heikle Kurven
Künstler*innen haben den Aktienkurs des Wohnungskonzerns Vonovia auf eine Hauswand gemalt. Der will das nicht so stehen lassen.
HAMBURG taz | Der Osterfelddamm in Hannover ist eher nicht, was die Lokalpresse eine gute Lage zu nennen pflegt: Die östliche Grenze des Stadtteils Roderbruch prägen Wohnbauten aus den frühen 1980er-Jahren mit bis zu 19 Stockwerken – allerfeinster westdeutscher Großwohnsiedlungs-Chic. Das Haus Nummer 39 gehört da noch zu den niedrigeren Exemplaren, würde auch deshalb wohl kaum auffallen – hätte sein Waschbeton-Äußeres nicht jüngst einen Anstrich der besonderen Art bekommen.
„Stresstest für kapitalistische Botschaften“
Ein sechs Meter breites, 34 Meter hohes Wandbild, darauf eine Bergkulisse, aus deren Konturen dann im rechten Drittel eine zackige Kurve wird; der Aktienkurs des Wohnungskonzerns Vonovia, dessen Name auch ganz oben an der Hauswand zu lesen ist, genauer: So viel vom Wort „Vonovia“, wie auf zwei Drittel der Wand passen.
Entstanden ist das Bild im Rahmen des „sozial und ökologisch motivierten“ Street-Art-Festivals „Hola Utopia!“, das Ende August zum zweiten Mal stattfand. Bemalt hat die Hochhauswand das Berliner Kollektiv Cuadro Frezca: Man wolle „eine Brandwand, die wie jede andere als latente und omnipräsente Oberfläche für kapitalistische Botschaften fungiert, einem Stresstest unterziehen“, erklären die vier dahinterstehenden Künstler-Aktivisten; „ein mehrdeutiges Statement“, das Fragen wie den „Hyperindividualismus“, das Privateigentum und die soziale Teilhabe berühre.
Der Hannoverschen Allgemeinen gegenüber erklärten zwei der vier, der Dramaturg Aljoscha Begrich und der Künstler Jo Preußer, sie hätten „einen kritischen Beitrag“ beisteuern wollen zu dem Festival mit all seinen „netten, bunten Motiven“. Im Gespräch mit der taz sagt Begrich: „Es geht uns nicht um Kunst und Kunstfreiheit, sondern um den Mietenwahnsinn und wie mit dem Wohnen Profit gemacht wird.“ Hat der Wohnungsriese eben daran Anstoß genommen? Vonovia wolle das Wandbild „zensieren“, teilte Cuadro Frezca jedenfalls in dieser Woche mit: Es habe ein Gespräch gegeben, so Begrich zur taz, „und diese anderthalb Stunden endeten mit der Botschaft: Das Bild werde nicht so bleiben.“
Vonovia betont Dialogbereitschaft
Dass der Konzern entschieden hätte, das Bild zu übermalen, bestätigt Sprecher Matthias Wulff gegenüber der taz nicht: „Wir wollen den Dialog. Wir haben deshalb Gespräche gesucht – mit den Künstlern, mit den Organisatoren und auch mit den Menschen im Quartier, und wollen das fortsetzen. Alles Weitere entscheiden wir nach diesen Gesprächen.“ Das Street-Art-Festival habe habe man gerne unterstützt, „weil uns an Vielfalt und einem guten Zusammenleben im Quartier vor Ort im Roderbruch gelegen ist“.
Begrich wiederum sagt, er könne sich nur eine einzige Veränderung des Bildes vorstellen: „Wenn sich das damit illustrierte Geschäftsgebaren ändert.“
Leser*innenkommentare
97760 (Profil gelöscht)
Gast
Hochhäuser sind aber gut. Anfang 80er ist ja schon fast Neubau. Die grossen Siedlungen sind alle in den 70ern enstanden. Die sind übrigens überhaupt krein Problem wenn man sozial gesettelt ist. Manche wollen einem einreden, Hochhäuser seien anonym. Das Gegenteil ist der Fall. Um den Aufzug und am Eingang, immer was los. Im nahen shop wiederholen sich die Gesichter. Und wer direkt über drunter wohnt ist völlig uninteressant.
Münchner
Was ist es denn nun mal wird es als Kunst bezeichnet, mal als politisches Statement oder ist es doch nur Sachbeschädigung wie es der Eigentümer sieht.
Der Aktienkurs ist es jedenfalls nicht. Vonovia hat im vegangenen Jahr ca. 15% an Wert verloren.
Also ist es doch Kunst...
Ingo Bernable
@Münchner "Vonovia hat im vegangenen Jahr ca. 15% an Wert verloren."
Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass sich der Kurs von 2013 bis heute etwa vervierfacht hat. Kein schlechter Schnitt für die Aktionär*innen also.
www.boerse.de/akti...ktie/DE000A1ML7J1#
Münchner
@Ingo Bernable Jeder sucht sich den Zeitraum raus, der ihm ins Bild passt.
Was ist in der Zwischenzeit mit dem DAX passiert?
97760 (Profil gelöscht)
Gast
@Ingo Bernable Wieso " kein schlechter Schnitt"... zu diesem Preis dürfen Sie sicher eine einzige Aktie verkaufen . Geben Sie mal den Gegenwert von 2 % des Unternehmens in die Ordermaske beim Aktienhändler ein und man wird ihnen viel schlechtere Kurse zum An kauf anbieten.
TazTiz
Die Darstellung der Kurse ist ja verzehrt, da die Null-Linie nicht gezeigt wird. Dadurch wirken Anstiege größer ... somit ist es eben keine objektive sondern eine verdeutlichende (oder anders gesagt eine manipulierte) Darstellung. Im Übrigen ist der zeitgenössische Kunstbegriff irgendwie krude. Politparolen werden zu Kunst. Sind dann Wahlplakate auch Kunstobjekte?
Ingo Bernable
@TazTiz "Die Darstellung der Kurse ist ja verzehrt, da die Null-Linie nicht gezeigt wird."
Die Darstellung auf den Bereich der Schwankung zu begrenzen ist bei Aktienkursen aber meiner Wahrnehmung nach allgemein üblich.
Münchner
@Ingo Bernable Ist leider falsch. Wenn Sie so eine Dartellung in einem Flyer für Finanzanlagen veröffentlichen würden, würde die BaFin sofort einschreiten.
97760 (Profil gelöscht)
Gast
@Ingo Bernable " Darstellung der Schwankung"...man kann hier zeigen was man will. Man kann auch ein crashscenario "an die Wand" malen. Den Moment verewigen als ein Mieter des Hauses vom Balkon brüllte " mein Wasserhahn ist kaputt " und 10 Sekunden später der Aktienkurs um 1 cent, vorbeugend, gefallen ist.
tomás zerolo
Das ist so aberwitzig cool. Ich bin sprachlos.
Danke, Cuadro Frezca ♥
DiMa
Ich frage mich, weclchr Zeitraum des Aktienkurses der Vonovia auf dem Bild dargestellt sein soll. In den letzten fünf Jahren ist keine entsprechende Entwicklung zu erkennen. Der Kurs scheint eher frei erfunden.