piwik no script img

Diskriminierung von Frauen in ElternzeitMütter zahlen drauf

Britta J. verklagt die Stadt Hamburg nun schon in zweiter Instanz. Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes benachteilige Mütter in Elternzeit.

Carearbeit ist in Deutschland nach wie vor ungerecht verteilt – das schlägt sich finanziell nieder, als Armutsrisiko für Mütter Foto: Andreas Gebert/dpa

Hamburg taz | Die Frauenquote im Saal ist hoch. Gut 80 Prozent der Zuschauer*innen, die am Mittwoch zum Hamburger Landesarbeitsgericht gekommen sind, sind Frauen. Sie wollen Britta J. in ihrem Kampf gegen Diskriminierung in der Elternzeit unterstützen.

J. hat die Stadt Hamburg verklagt, weil diese ihr eine höhere Gehaltsstufe zu gegebener Zeit versagte. J. arbeitet als Juristin bei der Sozialbehörde, bekommt also Lohn nach dem Tarifvertrag der Länder. Nach drei Jahren in der Entgeltgruppe drei hätte sie in Gruppe vier eingestuft werden müssen.

Das geschah jedoch nicht, weil sie zwischenzeitlich elf Monate Elternzeit genommen hatte. J. ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Die elf Monate müsse sie nacharbeiten, um den gleichen Erfahrungsschatz zu erlangen wie andere, argumentierte die Sozialbehörde.

J. sieht darin eine strukturelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, da im Durchschnitt weitaus mehr Frauen Elternzeit nehmen als Männer. Im Jahr 2022 beantragten Mütter durchschnittlich 14,6 Monate, Väter dagegen nur 3,6 Monate Elternzeit. Doch auch die Gegenseite kann nicht ohne Weiteres von ihrem Standpunkt abweichen, denn das hätte enorme Auswirkungen auf Millionen Beschäftigte.

Potenziell weitreichende Folgen

Der Tarifvertrag der Länder, der die Entgeltstufen für Angestellte des öffentlichen Dienstes regelt, gilt für alle Bundesländer außer Hessen. Der Tarifvertrag müsste überall geändert werden und Betroffene könnten ihre Lohndifferenz plus Schmerzensgeld wegen Diskriminierung einklagen.

So war es nicht überraschend, dass das Arbeitsgericht die Klage in erster Instanz abwies. J. ging in Berufung. Nun muss sich das Landesarbeitsgericht mit dem Fall befassen. Auch hier tut sich die Kammer schwer. „Juristisch ist der Fall kompliziert“, sagt der Richter, nachdem beide Seiten Argumente ausgetauscht haben.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 2011 in einem ähnlichen Fall geurteilt, dass eine Diskriminierung nicht vorliege. Das Bundesverfassungsgericht jedoch kam in einem anderen Fall zu dem Schluss, dass der Umgang mit Ar­beit­neh­me­r*in­nen in Elternzeit sehr wohl diskriminierend sei – eben weil er hauptsächlich Frauen treffe. Dabei ging es allerdings nicht um den Lohntarif, sondern um Kündigungsschutz.

Vor dem Landesarbeitsgericht führt J.s Anwältin Friederike Boll an, dass zahlreiche Studien belegen, dass der Erfahrungsschatz von Müttern und Vätern in Elternzeit sehr wohl steige – etwa, was Kommunikations- und Organisationsfähigkeiten, Verhandlungsführung und Kompromissbereitschaft angehe. Dem stimmt sogar der Vertreter der Stadt zu: „Jeder, der ein Kind hat, weiß das“, sagt er.

Nach geltendem Tarifvertrag sind 39 Wochen Krankheit kein Problem, 39 Wochen Elternzeit hingegen schon

Trotzdem: Im Tarifvertrag gehe es speziell um die Arbeitserfahrung. „Dann aber“, sagt Boll, „dürften auch Langzeitkranke nicht höher gestuft werden.“ Der Tarifvertrag sieht vor, dass Langzeitkranke erst ab der 40. Krankheitswoche im Höherstufungsverfahren pausieren. Sprich: 39 Wochen krank sind kein Problem, 39 Wochen Elternzeit hingegen schon.

Der Richter lässt durchblicken, dass er das ebenfalls für problematisch hält. Doch auch andersherum könnte es problematisch werden, sagt er: „Angenommen, jemand ist zwölf Jahre angestellt, bekommt alle drei Jahre ein Kind und nimmt jeweils drei Jahre Elternzeit.“ Zu behaupten, dass die Person den gleichen Erfahrungsschatz habe wie jemand, der zwölf Jahre gearbeitet habe, sei auch nicht richtig.

Britta J. geht es um das Grundsätzliche. „Es kann nicht sein, dass Mütter ein Leben lang finanziell bestraft werden“, sagt sie. Die Lohndifferenz, die ihr verwehrt worden war, beträgt 363 Euro im Monat. „Aber das setzt sich ja fort bis in die Rente“, sagt J. Karriereknick, Elterngeld statt vollem Lohn und Teilzeit zugunsten von unbezahlter Carearbeit wirkten sich oftmals als Armutsrisiko für Mütter aus.

„Motherhood Lifetime Penalty“ nennt man diese lebenslange finanzielle Benachteiligung von Müttern gegenüber Kinderlosen und Vätern. „Wo der Staat dagegen vorgehen kann, wie im öffentlichen Dienst, muss er es tun“, sagt J.

Heute tut er es nicht. Die Kammer vertagt die Entscheidung wegen ihrer Komplexität auf Ende Januar. Doch egal, wie die Entscheidung ausgehen wird: Entweder wird Britta J. oder die Stadt Hamburg in Revision gehen. Die nächste Instanz wäre dann das Bundesarbeitsgericht – oder das Landesarbeitsgericht verweist den Fall direkt an den Europäischen Gerichtshof.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "...verklagt die Stadt Hamburg (...) Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes..."



    Ich bin ja nicht so im Thema. Aber ein Tarifvertrag wird zwischen zwei Parteien ausgehandelt. Warum wird dann jetzt eine Vertragspartei verklagt, wenn diese sich an den Vertrag hält? Hat die Arbeitnehmerseite nicht zu diesem Vertrag beigetragen?



    Irgendwas entgeht mir da.