Digitalisierung des Taxi-Markts: Eine Wette auf die Zukunft
MyTaxi und andere App-Anbieter drängen die etablierten Taxi-Zentralen vom Markt. Dahinter stehen die Autokonzerne mit einem strategischen Interesse.
Man könnte sagen, die Freundin ist damit Prototyp einer neuen Taxi-Kundschaft, die über Smartphone-Apps angelockt werden soll. Auch wenn sie es kaum merkt, ist sie auf der Konsumentenseite mittendrin in einer historischen Umwälzung nicht nur des Taxi-, sondern des ganzen Mobilitätsmarktes – einer Bewegung, bei der die großen Player mitmischen: IT-Konzerne wie Google, Apple und auch Autohersteller wie Volkswagen, BMW und Daimler.
An Großstädten wie Hamburg kann man sehen, wie stark die Mobilitätsangebote sich in den letzten Jahren diversifiziert haben. Da kooperiert die Deutsche Bahn mit dem Verkehrsverbund VHH und bietet einen Dienst namens „Ioki“ an, bei dem sich Menschen in den äußeren Stadtteilen Lurup und Osdorf per App einen kleinen Elektro-Shuttlebus rufen können. Da ist Volkswagen unter dem Namen „Moia“ mit einem ähnlichen Konzept unterwegs und kündigte an, dass die kleinen Sammelbusse in absehbarer Zeit autonom fahren sollen .
Und da sind BMW und Daimler, denen nach der EU-Kommission auch die US-Wettbewerbsbehörde kürzlich erlaubte, ihre Mobilitätsdienstleistungen zusammenzulegen. Angebote wie deren sogenannte „Free-Floating“-Carsharing-Dienste „Car2Go“ und „DriveNow“ zählen dazu, bei denen man sich ebenfalls über das Smartphone Autos leihen kann, die man danach irgendwo wieder abstellt – aber auch die App „Mytaxi“.
Anfahrt in Echtzeit
„Mytaxi“ wurde in Hamburg 2009 von einem Start-up in Altona gegründet und hat seitdem den Taximarkt durchgerüttelt. 2014 übernahm der Autoriese Daimler das komplette Programm. Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen mittlerweile weltweit in 100 Städten aktiv, mit mehr als 10 Millionen Fahrgästen und 100.000 registrierten FahrerInnen.
Mit „Mytaxi“ oder dem Konkurrenzangebot „Taxi.eu“ bestellt man auf dem Mobiltelefon ein Taxi per Fingerklick, kennt den Preis der Strecke im Voraus, kann die Anfahrt des Wagens in Echtzeit über einen kleinen Punkt auf einer Straßenkarte nachvollziehen und am Ende bargeldlos bezahlen. Solche Apps bedeuten eine enge Kontrolle der Arbeit der Fahrer – was oft kritisiert wird –, machen Taxifahrten andererseits aber noch bequemer, berechenbarer, attraktiver.
Wer vorher weiß, dass eine Strecke etwa von Altona in die Hafencity 8 Euro kosten soll, und mit Freunden unterwegs ist, mit denen man sich die Fahrtkosten teilen kann, wechselt schneller mal zum Taxi. Zu dritt kostet die Fahrt pro Person weniger als mit dem Bus.
Werbung durch Rabattaktionen
Doch die Touren werden auch an sich günstiger: „Mytaxi“ machte mit Rabattaktionen Werbung und bot beispielsweise Fahrten einen Monat lang für 50 Prozent an. Seit rund einem Jahr locken aber vor allem die Sammeltaxi-Funktionen. Statt einer normalen Fahrt kann man nach 18 Uhr etwa in der „Mytaxi“-App die sogenannte „Match“-Funktion auswählen und damit signalisieren, dass man sich die Fahrt mit jemandem teilen würde, der in die gleiche Richtung will.
Theoretisch berechnet die App dann einen solchen „Match“, einen passenden Mitfahrer. In der Realität passiert das bisher noch selten, die Fahrt kostet aber dennoch weniger. Zunächst nur die Hälfte, mittlerweile beträgt der Preisnachlass 30 Prozent. Der Hamburger Konkurrent Hansa-Taxi hatte eine entsprechende Erweiterung ebenfalls im Dezember 2017 in seiner eigenen App als Erster eingeführt – gewährt den Preisnachlass aber nur, wenn die Fahrt tatsächlich geteilt wird.
Bei der „Mytaxi“-App übernimmt Daimler im Zweifel die Differenz und nicht die Fahrer. Ein deutlicher Vorteil, der in Deutschland allerdings anders derzeit nicht möglich wäre. Denn der Taximarkt ist hierzulande über das Personenbeförderungsgesetz stark reglementiert: Fahrer müssen sich auskennen, die Wagen in Schuss sein und die Tarife werden von Städten und Landkreisen festgelegt.
Verbot von „Uber“
Hamburger Gerichte verboten deshalb dem Fahrdienstleister „Uber“ im Jahr 2014, Personenfahrten zu vermitteln. Im Unterschied zur App des US-Anbieters, der in anderen Ländern unausgebildete und Hobby-FahrerInnen an Kunden vermittelt, Preise an die Nachfrage anpasst und für seine arbeitnehmerfeindliche Unternehmenskultur in der Kritik steht, ersetzen Taxi-Apps zunächst vor allem die Funktion von Taxizentralen. Doch auch sie wollen letztendlich viel mehr sein als nur ein digitaler Taxi-Ruf.
Anders als bei den alteingesessenen Taxirufzentralen kommt das bei den FahrerInnen erst mal gut an. Für eine Provision von aktuell 7 Prozent können sie etwa in Hamburg über die App individuell Touren abgreifen. Clemens Grün, der Vorsitzende des Hamburger Taxenverbandes, sagt, „Mytaxi“ würde die FahrerInnen gut behandeln, es gebe wenige Vorschriften und keine Probleme – auch nicht, wenn Fahrer sich mal kritisch äußerten. Bei den alten Taxizentralen mit ihren Funktionären sei das anders: „Wenn man denen auf den Schlips tritt, fliegt man raus“, sagt Grün.
Rabattaktionen wie die „Match“-Funktion sieht er kritisch. „In der Regel fahren die Leute allein“, sagt Grün. Er glaubt auch nicht, dass viele neue Kunden gewonnen werden. Letztendlich also ist es ein Preiskampf.
Transparenz für alle
Experten wie Stefan Weigele sehen das ähnlich. Weigele ist Geograf und Gründer der Unternehmensberatung „Civity“, die sich mit Mobilität beschäftigt. „Der Effekt, dass man über die ‚Mytaxi‘-App tatsächlich neue Kunden für Taxifahrten gewinnt, ist gering“, sagt er. „Er spielt sich nur in einer bestimmten Bubble ab.“ Denn Taxifahren sei zwar die schnellste Art, von A nach B zu kommen, aber immer noch „ein sehr hochpreisiges Segment für eine bestimmte Klientel“.
Dennoch sei der Taximarkt heute noch zehnmal größer als etwa der Free-Floating-Markt beim Car-Sharing. „Mytaxi“ habe vor allem die alteingesessenen Taxirufzentralen obsolet gemacht und den Einzelunternehmer digitalisiert. Der Taximarkt sei dadurch für NutzerInnen wie für die Finanzämter transparenter. „Ich kann die Route verfolgen, kann sehen, ob Umwege gefahren werden. Für das Finanzamt werden alle Fahrten erfasst und abgerechnet. ‚Schwarzfahrten‘ werden verhindert“, sagt Weigele.
Doch warum investieren Firmen wie Daimler überhaupt Millionen in diesen Markt? In Apps für die Taxivermittlung, in Carsharing-Angebote oder gar digitale Lösungen wie die Parkraumbewirtschaftung? „Wir beobachten einen starken Wandel im Mobilitätssektor“, sagt Weigele. Dabei fürchteten die Automobilhersteller, von Anbietern wie Uber oder Apple überholt zu werden. „Sie haben Angst davor, in Zeiten einer Plattform-Mobilität, die über Apps organisiert wird, nur noch Zulieferer zu sein.“
Alternative zum Autobesitz
Die Automobilhersteller wollten den Mobilitätsmarkt aber auch zukünftig besetzen: „Sie wollen Tickets verkaufen, Autos vermitteln und vermieten und Autokunden Zusatzangebote machen – mit ihren eigenen Kundendaten.“ Investitionen in die Plattform-Mobilität seien eine Wette auf die Zukunft, die richtig Geld koste. Für die Unternehmen, die Milliardengewinne machten, seien das aber „Peanuts im Verhältnis etwa zur Entwicklung eines neuen Motors“, sagt Weigele.
Eine ganz eigene Sicht auf die Umwälzung des Mobilitätsmarktes hat Michael Glotz-Richter. Er ist Referent für nachhaltige Mobilität beim Bremer Verkehrssenator und auf diesem Gebiet international vernetzt. „In vielen Ländern gehört das Taxi-Sharing zum normalen Angebot“, sagt er. Natürlich würden sich sozialpolitische Fragen anschließen, etwa ob der Mindestlohn bezahlt wird. Aber aus verkehrspolitischer Sicht sei es ein gutes Angebot, das Sinn ergebe.
„Was wir als Stadt brauchen, ist eine Alternative zum Autobesitz, weil kein Platz da ist“, sagt Glotz-Richter. Das Rückgrat seien der öffentliche Personennahverkehr, das Fahrradfahren und das Zu-Fuß-Gehen. Aber in bestimmten Situationen, etwa nachts, bei längeren Wegen oder wenn es etwas zu transportieren gelte, reiche das nicht mehr: „Es muss viele Angebote geben, und eine solche App für Taxen wie die ‚Mytaxi‘-App geht da in eine richtige Richtung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja