„Die Woken“ als vermeintliche Gruppe: Ich spiele dieses Spiel nicht mehr
Wenn abfällig über „die Postkolonialen“ oder „die Woken“ geredet wird, fühlt sich unsere Kolumnistin mitgemeint. Obwohl sie kein Gruppenmitglied ist.
E in Leben lang dachte ich, dass ich nirgends so richtig dazugehöre – das war manchmal ein gemeines Gefühl, aber nicht nur. Mittlerweile denke ich, vielleicht ist es auch einfach mein Wesen, vielleicht bin ich einfach eine Person, die niemals zu sehr Teil von etwas sein kann.
Ich wollte ein Instrument lernen, aber nicht ins Orchester. In der Kirche habe ich früher beim Vater Unser so getan, als würde ich still mitbeten, dabei fand ich das gemeinsame Gemurmel schon ab vom Inhalt gruselig. Auf jeder Demo, und mag ihr Anlass noch so wichtig sein, suche ich Plakate nach Sätzen ab, die ich so nicht unterschreiben würde und wenn die Sprechchöre anfangen, bleibe ich stumm. Bei der Vorstellung, in einem Hausprojekt wohnen zu müssen, womöglich noch mit Plenum, verzwirbeln sich meine Organe. Chatgruppen mit mehr als drei Personen schalte ich stumm. Und neulich habe ich behauptet, ich müsste darüber schlafen, als ich gefragt wurde, ob ich Mitglied in einem Verein werden will. Musste ich aber nicht.
Ich bin darauf nicht stolz, ich frage mich in letzter Zeit sogar häufiger, was ich als so eine Wesensvereinzelte zu irgendeinem Wandel beitragen will. Dann teile ich ein Video, das auf den Streik der Pflegekräfte in NRW aufmerksam macht. Na ja. Umso bemerkenswerter finde ich, dass ich anscheinend doch dazugehöre. An ziemlich vielen Stellen. Ich merke das, weil mich ein Verteidigungsreflex überkommt, wenn in Texten meist abfällig von „den Postkolonialen“ die Rede ist, oder von „der woken Bewegung“ und so weiter. Ich habe nirgends einen Mitgliedschaftsantrag eingereicht. Aber wenn – oft mit Absicht – polemisch verallgemeinert wird, wenn sie Bewegungen erfinden, die es so gar nicht gibt, wenn alles in einen Topf geworfen wird, dann fühle ich mich mitgeworfen, mitgemeint. Wirklich gehört allerdings nicht.
Zum Beispiel: Ich habe im Grundstudium gelernt, wie koloniale Herrschaft und Gewalt bis heute in globale (Macht-)Beziehungen reichen. Ich habe sehr oft „Intersektionalität“ gesagt, habe Texte von Said, Spivak und Bhaba gelesen und, ja, auch berechtigte Kritik an ihnen. Und wie jede vernünftige Studierende habe ich viel davon wieder vergessen. Aber es hat geprägt, wie ich auf die Welt schaue, so wie die soziale und kulturelle Herkunft meiner Eltern oder die Erfindung des Internets. Das ist vielleicht meine Art, eine Postkoloniale zu sein.
Und: Ich finde, dass man auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft zuhören und dazulernen muss. Ganz besonders (von) denen, deren Menschenrechte und -würde immer wieder Angriffen ausgesetzt sind. Das heißt weder, dass ich alle um mich herum zurechtweise, wenn sie keine Gendergap sprechen, noch dass mir Klassenfragen egal sind (vgl. Intersektionalität). Es heißt aber, dass ich es unerträglich finde, wenn Leute publizistische Verantwortung für vermeintliche Edgyness, Selbstvermarktung oder „Humor“ in die Tonne treten, wenn sie Richtung, Framing und Timing durchaus nötiger Kritik unbedacht lassen oder strategisch ignorieren, und damit rechte Narrative stärken. Das ist vielleicht meine Art, eine Woke zu sein.
Zugehörigkeiten sind selten ganz fertig. Ich bin mir sicher, dann doch nicht. Ich kenne migrantisch/postmigrantisch, aber keine Community. Manchmal klebe ich die Wörter trotzdem aneinander. Ich melde mich im Fitnessstudio an, gehe zu wenig hin, melde mich wieder ab und irgendwann wieder von vorn. Und eigentlich habe ich bei all dem gar keine Lust mehr aufzuschreiben, wer ich bin, oder wegzuschreiben, wer nicht. Mein Entwürfeordner ist leer. Ich habe Sätze verfasst und alle wieder gelöscht, ich will nicht mitmachen, Begriffe ihrer Bedeutung zu berauben, ich will nicht ständig widersprechen müssen und dabei vergessen, was ich eigentlich sagen will. Ich spiele dieses Spiel nicht mehr. Die Kosten sind zu hoch.
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