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Die TheseOhne Narzissmus geht es nicht

Im Wahlkampfauftakt war vor allem eines beeindruckend: die Größe der Egos. In jedem Spitzenpolitiker steckt eben ein wenig Trump.

Söder, aber auch Laschet, Baerbock, Habeck und Scholz – sie alle sind sehr von sich überzeugt Foto: ap

Mit der Verkündung der KanzlerkandidatInnen von Union und Grünen hat der Wahlkampf rasant begonnen. Um Inhalte geht es dabei kaum, bislang ist vor allem eines wirklich beeindruckend: die Größe der Egos aller Beteiligten.

Armin Laschet fehlt in weiten Teilen die Unterstützung seiner eigenen Partei, vor allem an der Basis, trotzdem will er für die Union Kanzler werden. Markus Söder kann nicht auf sich sitzen lassen, Zweiter zu sein, er stichelt, wo er kann, und kündigt in der Süddeutschen schon mal an: „Heute ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage.“

SPD-Kandidat Olaf Scholz hält sich sowieso für den Größten, obwohl nicht mal seine eigene Partei ihn als Chef haben wollte. Annalena Barbock wiederum will trotz fehlender Regierungserfahrung direkt ins Kanzleramt. Und Robert Habeck erzählt, wie schmerzhaft und kränkend es für ihn ist, dass er nun nicht Kanzler werden kann, sondern „nur“ Minister.

Wie sehr müssen sie alle von sich überzeugt sein? Für wie unverzichtbar halten sie sich?

„Eitelkeit ist eine Politikereigenschaft“

„Man braucht in der Politik ein gewisses Maß an Narzissmus“, sagt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, Autor des Buches „Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik“. Es gebe einen gesunden Narzissmus; auch in anderen Berufen wie der Schauspielerei sei eine gewisse Selbstverliebtheit unabdingbar. Narzissmus könne aber auch eine echte Störung sein, wie das etwa bei Trump zu besichtigen war. „Die Übergänge sind fließend.“

Die Fotografin Herlinde Koelbl hat für ihre Langzeitstudie „Spuren der Macht“ SpitzenpolitikerInnen wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer über Jahre begleitet, fotografiert und interviewt. Im Vorwort schreibt auch sie: „Einig waren sich alle, Eitelkeit ist eine Politikereigenschaft, und sie haben etwas mehr davon als andere Menschen.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bei Trump war der Narzissmus plump, pathologisch, vermutlich sogar bösartig. Gott sei Dank sind die Führungsleute hierzulande nicht so. Aber in jedem und jeder SpitzenpolitikerIn muss eben doch ein klein wenig Trump stecken, sonst kann man zwischen all den anderen Riesen-Egos nicht bestehen.

Die Frage ist: Muss man das als PolitikerIn von Beginn an mitbringen, wenn man nach ganz oben will? Oder wird man erst so im politischen Geschäft, ist der Narzissmus eine Déformation professionnelle? Wenn jeden Tag zig Kameras auf einen gerichtet sind, trägt das sicher nicht zur Bescheidenheit bei.

In einem taz-Interview vor über einem Jahr sprachen Baerbock und Habeck offen über ihr jeweiliges Geltungsbedürfnis. Habeck erzählte von einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden, er durfte die wichtigere Rede am Ende halten. „Bäm, dann explodiert der Park.“ Annalena habe erduldet, dass er ihr die Show stahl. „Umgekehrt erdulde ich, wenn sie auf dem Parteitag in Bielefeld die bessere Rede hält.“ Auch Baerbock nahm auf die Wahlkampfveranstaltung Bezug: „Im Park in Dresden kann es eben doch nur einen geben. Das auszuhalten ist nicht einfach.“

Huch, da sind ja noch acht Milliarden andere Menschen

Als Nicht-PolitikerIn rieb man sich bei diesen Sätzen die Augen: So groß ist bei aller Zweisamkeit die Konkurrenz? So schwer ist es für die beiden, mal nicht die Nummer eins zu sein?

Die meisten erleben das ja so: Als Kind meinen sie, der Nabel der Welt zu sein, alles beziehen sie auf sich. Irgendwann stellen sie dann fest: Huch, da sind ja noch acht Milliarden andere Menschen, denen geht es genauso. Eine einschneidende Erkenntnis, von da an ist man ganz anders in der Welt verortet, als eine oder einer unter sehr, sehr vielen.

Unter SpitzenpolitikerInnen ist diese Einsicht offenbar nicht verbreitet. Klar, man muss von sich selbst überzeugt sein, will man andere von sich überzeugen. Gerade jetzt im Wahlkampf bleibt ihnen auch nichts anderes übrig als sich aufzublasen, als seien sie unbesiegbar. Doch von der Selbstgewissheit zur Selbstüberhöhung ist es nur ein kleiner Schritt. Wenn Annalena Baerbock das Fehlen von Regierungserfahrung nun forsch als Erneuerung verkauft, ist das dann ein selbstbewusster Move? Chuzpe, die imponiert? Oder nicht doch vermessen? Wo verläuft die Grenze zwischen gesunder Selbstliebe und übersteigertem Narzissmus?

Für Psychoanalytiker Wirth gibt es durchaus Unterschiede beim derzeitigen politischen Spitzenpersonal. Robert Habeck etwa nimmt er in Schutz. Dass er öffentlich einräume, gekränkt zu sein, deute nicht auf einen gestörten Narzissten hin, der Unsicherheit kompensiere. „Das Reden über die eigene Verletzlichkeit ist eher ein Zeichen, dass er stabil genug ist, damit umzugehen.“ Söders Verhalten beschreibt er dagegen als „bösartig“. Dass er mit seinen Attacken auf Laschet der Union schade, sei ihm offenbar egal. „Ihm kommt es nur auf die persönliche Macht an, nicht auf die Sache.“ Der Narzissmus sei bei Söder „sehr, sehr ausgeprägt“.

Die Eitelkeit sah schon Max Weber als Problem. In seinem berühmten Text „Politik als Beruf“ schreibt er: „Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat der Politiker täglich und stündlich in sich zu überwinden: die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz sich selbst gegenüber.“

Sehnsucht nach Vorbildern

Nun könnte man einwenden: Ist doch egal, wenn SpitzenpolitikerInnen narzisstisch sind, Hauptsache, sie machen einen guten Job. Das haut aber nicht hin. Denn es gibt ja doch eine Sehnsucht danach, dass die führenden PolitikerInnen auch menschliche Vorbilder sind. Sie sollen nicht nur kluge politische Köpfe sein, sondern tolle Menschen. „SpitzenpolitikerInnen repräsentieren Werte, sie sind nicht nur Funktionsträger, man möchte sich mit ihnen identifizieren können“, sagt Wirth.

Und da PolitikerInnen auf die Stimmen der WählerInnen angewiesen sind, versuchen sie normalerweise, dem gerecht zu werden, sie wollen sympathisch rüberkommen, sie geben sich bescheiden. Umso desillusionierender ist es, wenn die Riesen-Egos dann so stark durchblitzen wie zuletzt.

Eine Ausnahme ist übrigens Angela Merkel. Sie ist sicher äußerst machtbewusst und war im Laufe ihrer Karriere manchmal knallhart. Aber sie erweckte nie den Eindruck, dass sie ihre persönlichen Interessen vor die Sache stellt, dass sie sich gar an sich selbst berauscht. Falls doch, dann zeigte sie es zumindest nicht. Das wäre auch ihren möglichen NachfolgerInnen zu empfehlen.

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13 Kommentare

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  • Also ich halte mich da lieber an Douglas Adams (irgendwo in seiner bekannten Trilogie in fünf Bänden), sinngemäß: Wenn jemand unbedingt Präsident werden will, dann muss man ihn daran mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu hindern suchen.

  • Mit 14 bereits Karl Marx verstanden, mit 16 eloquent geschrieben wie mit 46, und mit 21 ein Theologie- und Philosophiestudium angefangen, zitiere ich gerne einen guten Freund und Zeitgenossen:



    "Der Egoismus bleibt der kleine Bruder des Narzissmus. Wie auch der Lokalpatriotismus der kleine Bruder des Nationalsozialismus."

    Was wohl aus Tim geworden ist? Nunja.... Altruismus forever! Die anderen haben Vorrang! Aber vielleicht ist es auch das, warum die Linkspartei nie über 10% rauskommt?

    • G
      Gast
      @Troll Eulenspiegel:

      de.wikipedia.org/w...ische_Orientierung



      „Der Narzissmus einer Person steht auch in Zusammenhang mit ihrer politischen Orientierung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Leipzig, die von Alexander Yendell, Elmar Brähler und anderen im Oktober 2018 vorgelegt wurde, finden sich in Deutschland unter Wählern mit Präferenz für die AfD die höchsten Narzissmus-Werte, gefolgt von Anhängern der Linkspartei. Im Mittelfeld lagen die Anhänger der Grünen und der Unionsparteien. Der geringste Hang zum Narzissmus fand sich bei Wählern von FDP und SPD. Dabei wurden auch andere mögliche erklärende Variablen wie Alter, Geschlecht, Bildung, Ost-West-Herkunft und Selbsteinordnung auf dem politischen Spektrum berücksichtigt.“

      Hier zeigt sich eine interessante Korrelation von geringem Narzissmus und SPD-Orientierung. So wie die Zahl erwachsener Menschen mit Eigenverantwortung und Solidarität (Markenkern der S'PD) abnimmt, nimmt die Zahl von Personen zu, die in konsumistischem Infantilismus und Narzissmus verharren. Die Zahl von Follower*innen der FDP ist vermutlich zu klein, um statistisch relevant zu sein.

  • Vergessen wir mal Narzissmus. Sagen wir doch mal > Selbstbewusstsein. Was ist das überhaupt? Das Bewusstsein über die eigenen Stärken und Schwächen. Und ein gesundes Management, mit beidem um zu gehen zum eigenen Nutzen und dem der anderen. Denn eigener Nutzen funktioniert nur mit dem der anderen (mathematisch nachgewiesen von John Nash und mit dem Nobelpreis honoriert). Das andere ist > Selbstherrlichkeit. Da blendet jemand seine Schwächen aus, weil es sonst nicht auszuhalten wäre für das brüchige Selbstbewusstsein, braucht ständig Bestätigung für das falsche Bild von sich, um selber weiter daran glauben zu können. Bleibt diese Bestätigung aus, folgen Agressionen und Destruktion.



    Da mag ich lieber selbstbewusste Politiker und Mitmenschen, Eitelkeit darf dabei sein.

  • G
    Gast

    Sind Selbstbewusstsein ud/oder Eitelkeit schon Narzissmus? Narzisstische Personen vertragen keine Kränkungen. Die machen sie wütend und rachsüchtig.



    Eine gute Zusammenfassung ist bei Wikipedia zu finden: de.wikipedia.org/w...igkeit_und_Vagheit



    „Ein gesundes, hohes Maß an Selbstwertgefühl ist positiv. Damit wird man weniger krank, kann berufliche Konflikte besser lösen, hat stabilere Partnerschaften. Und was ist Narzissmus? Es gibt ganz verschiedene Definitionen. Zuerst diese Mythos-Erzählung von Ovid, dann den Begriff der autoerotischen Störung von Havelock Ellis. Dann Freud, der es eine normale Entwicklungsstufe nennt, während der späte Freud das revidiert und den Narzissmus als Problem des Erwachsenenalters bezeichnet. Heinz Kohut sagt, man rutscht da zurück auf eine kindliche Entwicklungsstufe. Otto F. Kernberg spricht von kalten, indifferenten oder aggressiven Eltern. Millon hingegen argumentiert lerntheoretisch, dass die Kinder, die ein kleines Knetmännchen gemacht haben, von ihren Eltern als hochbegabt bestätigt werden und später mit der Realität konfrontiert sind, wenn nicht mehr alle sagen, wie toll du bist. Eine einheitliche Definition über gesunden Narzissmus existiert gar nicht.“



    – Stefan Röpke: Der Tagesspiegel

  • iIch liebe mich auch - ich bin gern Mann. Ja der Narzissmus. Im Übrigen - es ist eine interessante Frage wie es aussehen soll, wenn Politiker keine Narzisten wären. Laschet bescheiden, Scholz ein Schelm und Söder der hilfreiche Nachbar, der hilft die Toillettenschüssel wieder festzuschrauben.. Also Habeck und Baerbock, die knallharten Verhandler, die die A49...Habeck: Komm Annalena mach schon - und Annalena: Robert du schaffst das! Gut dass die Linken noch nicht mitspielen. Die könnten noch zeigen wie es geht

    • @StefanMaria:

      Selbstliebe und Narzissmus sind nicht das Gleiche. Selbstliebe ist gesund, Narzissmus in der Regel toxisch.

      Das ist - finde ich - einer der Fehler in unserer Kultur, dass "Narzissmus" oft mit "Selbstverliebtheit" beschrieben wird.

      Ich würde den Kern von Narzissmus so beschreiben: Gestörte Außenbeziehungen - z.B. dass derjenige andere abwertet oder überhöht und sie nicht so sehen/nehmen kann wie sie sind. Die Ursache dafür ist meistens eine innere Leere/ die mangelnde oder fehlende Beziehung zu sich selbst. Also auch eine fehlende Selbstliebe: Sich nicht so sehen/annehmen können wie man ist.

  • Ich finde hier irrt Bärbel Wardetzki.



    www.spiegel.de/pol...ckt-a-1151449.html



    ... Bei Frauen ist der sogenannte weibliche Narzissmus sehr häufig. Das ist die eher depressive Form des Narzissten. Zu einem grandiosen Menschen gehört immer einer, der sich als minderwertig empfindet - zu dieser Rolle tendieren Frauen. ...



    ... Frauen sind die, die vor dem letzten Schritt in die erste Position zögern. Sie ziehen eher kleinere Schuhe an. Die Grandiosen ziehen die großen Schuhe an und sagen: Ich habe keine Ahnung, aber ich werde einfach mal Präsident. ..



    So kann frau sich täuschen.



    Ein rotes Kleid sagt, her mit den großen Schuhen.

    • @Ringelnatz1:

      A propos große Schuhe:



      taz.de/#!tom=2016-01-03



      Könnt sich ACAB mal 'n Scheibchen vom Herrn Körner abschneiden...

      • G
        Gast
        @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        "[....]



        Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,



        Der würde mir bei Leuten schaden;



        Darum bedien' ich mich, wie mancher junge Mann,



        Seit vielen Jahren falscher Waden."



        (Goethe, Faust I - Mephistopheles)

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Der Link zu Tom steht hier eindeutig ohne/



        Beim Anklicken fuscht selbiger sich rein.



        Weckklicken, dann geht's

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Der Link zu Tom steht hier eindeutig ohne/



        Beim Anklicken fuscht slbiger sich rein.



        Weckklicken, dann geht's

  • nein, bitte nicht nochmal ein Pokerface als Kanzlerin. Lieber ein Mensch der auch zeigt, was er/sie will. Da finden viele dann vielleicht doof. Aber so ist das halt, deshalb gibt es Wahlen, zum wählen und zum abwählen. Aber die kühle Machttaktik, die eigentlich gar nicht weiß was sie eigentlich will und das schon gar nicht nach außen hin zeigt, ist zwar eine schöne Projektionsfläche von links bis rechts, ist aber weder strategisch noch demokratisch klug, lediglich taktisch.



    Das Merkel keinen Narzismus besitzt, halte ich für unwahrscheinlich, sie muß es nur nicht zeigen. Strategisch zu denken und zu handeln, scheinbare Niederlagen einzustecken und am Ende doch zu gewinnen, kann ganz schön das Ego kicken, aber nicht alle müssen das nach außen zeigen...