Die Notdurft in Berlin: Erschwerter Toilettengang
Umsonst Pinkeln können ist in Berlin die Ausnahme. Ansonsten sind öffentliche Klos nur mit Kreditkarte benutzbar.
Doch ausgerechnet anhand der beiden Merkmale Klasse und Geschlecht werden Menschen in puncto Pinkeln diskriminiert. Schon seit Längerem gibt es in Berlin Proteste – sogenannte Piss-ins – von Flinta, also Frauen, Lesben, intersexuellen, nicht-binären, trans und agender Personen, gegen die Benachteiligung auf dem Pott. Denn während Männer kostenlos Pissoirs nutzen können, müssen Frauen 50 Cent bezahlen, um ihre Notdurft zu verrichten.
Dabei verweist schon das Wort an sich darauf, worum es sich hierbei handelt: um eine Notwendigkeit.
Leistungen bereitzustellen, die für ein menschliches Dasein notwendig sind, ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge – und zu der gehören eben auch Toiletten. Hier unterschiedliche Maßstäbe an die Nutzer*innen anzulegen, ist nichts anderes als staatliche Diskriminierung – Frauen müssen schließlich auch nicht mehr für die Müllentsorgung oder den Rundfunk zahlen, nur weil sie keinen Penis haben.
Doch statt Pissoirs – beziehungsweise Missoirs – auch für Frauen kostenlos zur Verfügung zu stellen, legt Berlin in Sachen Diskriminierung noch eins drauf: Seit dieser Woche sind 230 der 280 Toiletten nur noch bargeldlos, also mit Kreditkarte oder App benutzbar.
Schuld seien die ganzen Kleingelddieb*innen, die mit ihren Einbrüchen in die wertvollen Klohäuschen enorme Geld- und Sachschäden verursacht haben, heißt es aus der Senatsverwaltung. 150 bis 180 Aufbrüche gibt es laut Betreiberfirma Wall GmbH pro Woche, der Schaden soll im sechsstelligen Bereich liegen.
Die Berliner*innen zahlen also gleich doppelt für ihren Klogang, erst die Nutzungsgebühr, dann für die dadurch entstandenen Schäden. Die Lösung für diesen teuren Toiletten-Teufelskreis wäre natürlich ganz einfach, no money, no problem. Kostenlose öffentliche Toiletten, wie es sie etwa in Paris seit 2006 gibt und wie sie die Linkspartei fordert, wären zwar eine schnelle und unbürokratische Lösung, allerdings sind wir hier immer noch in Deutschland. Also wird es vorerst nur 50 kostenlose öffentliche Toiletten geben – für 3,6 Millionen Berliner*innen und jährlich rund 14 Millionen Tourist*innen. Und das natürlich auch nur als Pilotprojekt für ein halbes Jahr, um zu gucken, wie das kostenlose Pinkeln so ankommt (Spoiler: gut).
Der Rest der blasengeplagten Passant*innen muss weiter blechen – vorausgesetzt er oder sie besitzt eine Kreditkarte oder Apple Pay. Dadurch werden nicht nur diejenigen von der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeschlossen, die am häufigsten darauf angewiesen sind: Obdachlose und Rentner*innen. Es wirft auch die Frage auf, für wen der öffentliche Raum überhaupt noch zugänglich ist. Und ob wir wirklich in einer Stadt leben wollen, die nur per Kreditkarte aufschließbar ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen