Die Grünen und Flüchtlinge: Macht und Feigheit
Schneller abschieben, mehr sichere Herkunftsstaaten? Die Grünen könnten das über die Regierungen in den Ländern stoppen. Nur: Sie trauen sich nicht.
Und da fragt man sich jetzt schon: warum?
Ein wichtiger Grüner aus Baden-Württemberg prustet am Telefon los, wenn er sich das Szenario vorstellt. „Mit Nein stimmen und alles stoppen? Was glauben Sie, was dann los wäre!“
Die Integrationsexpertin der hessischen Grünen sagt: „Ich trete bei den Grünen aus, wenn sie für die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten und eine Verschärfung des Asylrechts stimmen.“
Eine bayerische Bürgermeisterin sagt: „Ich weiß nicht, wo die Grenze wäre, wann die Stimmung kippen könnte.“
Die Parteivorsitzende in Berlin sagt: „Es geht ja auch darum, den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland zu wahren.“
Es ist wieder was los bei den Grünen. Man bekommt es nur nicht wirklich mit. Alles soll diesmal leise, geräuschlos und hübsch geordnet laufen.
Was Grüne im Bund wollen, ist ziemlich egal
Der Zeitplan: Die Bundeskanzlerin trifft am 24. September die Ministerpräsidenten aller Bundesländer, um ein Gesetzespaket zur Flüchtlingspolitik zu verabreden. Das Paket könnte im Oktober von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.
Der Gesetzentwurf: Die Länder und Kommunen sollen Milliarden bekommen – dafür soll es Verschärfungen geben: Flüchtlinge, die aus EU-Staaten einreisen, sollen nur noch eine Rückfahrkarte und Proviant erhalten.
Um den Wandel nachzuvollziehen, muss man erst einmal verstehen, dass die Macht in der Partei sich verschoben hat. Was Grüne im Bund wollen, ist gerade ziemlich egal. Wichtig ist Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident. Er führt die Verhandlungen für die neun Länder, in denen die Grünen mitregieren. Er sitzt mit Merkels Chefverhandler Peter Altmaier zusammen, er informiert den Rest der Partei. Kretschmann hat die Hand am Hebel, er hätte die Sperrminorität in der Länderkammer hinter sich.
Historisch gesehen sind die Grünen ja die Partei, die für Menschen in Not kämpft. Kein Mensch ist illegal, Butterbrote schmieren in Flüchtlingsunterkünften, Kirchenasyl. 1993 verdammten sie den berüchtigten Asylkompromiss, mit dem Helmut Kohl in einer ganz großen Koalition Deutschland abschottete. Heute brennt alle paar Tage irgendwo eine Flüchtlingsunterkunft, die Bundesregierung lässt die Grenzen wieder kontrollieren, Kommunen kommen kaum mit dem Andrang der Flüchtenden klar. Setzen die Grünen jetzt endlich Liberalisierungen im Asylrecht durch?
Mürvet Öztürk schickt eine SMS. Café Hofmann, Terminal 2, Airport Frankfurt, hier sei es ruhig, hier könne man reden. Da textet eine, die es gewohnt ist, klare Ansagen zu machen. Gerade ist Öztürk mit dem Flieger aus Istanbul gelandet, jetzt erklärt sie eineinhalb Stunden lang, warum sie fertig ist mit der schwarz-grünen Koalition in Hessen.
Vor elf Tagen ist sie aus der Grünen-Fraktion ausgetreten, sie verfasste eine persönliche Erklärung: „Für die Verschärfung des Asylrechts auf Kosten Schutzsuchender stehe ich nicht zur Verfügung.“ Mürvet Öztürk findet, dass die Grünen gerade ihre Ideale verraten. „Wenn Grüne anfangen, eine restriktive Flüchtlingspolitik zu unterstützen, ist das für mich die rote Linie. Das mache ich nicht mit.“
„Das gibt es mit Schwarz-Grün nicht“
Öztürk spricht schnell, die Sätze wie gedrechselt, die rechte Hand untermalt manche Argumente mit kleinen Bögen. „Ich wünsche mir eine engagierte, wertschätzende und vorausschauende Flüchtlingspolitik. Die gibt es mit Schwarz-Grün nicht.“
Mürvet Öztürk, 43 Jahre, schulterlange, kastanienbraune Haare, ein grünes Tuch locker um den Hals, ist nicht irgendwer bei den Grünen. Sie genießt den Ruf einer anerkannten Fachfrau für Flüchtlings- und Integrationspolitik. Klar in der Sache, bestens vernetzt. Die studierte Islamwissenschaftlerin trat 2001 ein, sie sitzt seit sieben Jahren als Abgeordnete im hessischen Landtag. Davor hat sie im Europabüro von Cem Özdemir gearbeitet, sie ist mit dem Grünen-Chef befreundet und teilt seine Leidenschaft für Türkei-Politik.
Eigentlich ist Öztürk ein Glücksgriff für die Grünen, eine fachlich versierte Frau, rhetorisch fit, jung, Migrationshintergrund. Und jetzt spricht dieses Nachwuchstalent dem eigenen Laden das Misstrauen aus. Öztürk ahnt, wie der Showdown in der Flüchtlingspolitik ausgeht.
Die Kanzlerin will ein riesiges Gesetzespaket verabschieden. Seit Monaten verhandelt ihr Kanzleramtschef Altmaier und der zuständige Staatsminister Helge Braun mit den Ländern. Textvorschläge werden ausgetauscht, Telefonkonferenzen geschaltet, Unterhändlerrunden verabredet. Eine Maschine surrt, um einen neuen Asylkompromiss auszuhandeln, der das deutsche Recht grundlegend ändert. Ein Befreiungsschlag soll es sein.
128 Seiten Amtsdeutsch
Mehr Geld für die Länder und Kommunen, aber auch Verschärfungen für Flüchtlinge. Sie sollen sechs Monate in überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben statt bisher drei. Sie sollen Wertgutscheine für Lebensmittel oder Duschzeug bekommen, kein Taschengeld mehr. Die Koalition möchte außerdem die Liste der sicheren Herkunftsstaaten verlängern, also neue Länder definieren, in die schnell und unkompliziert abgeschoben werden darf. Es kursiert ein Entwurf für ein Gesetz aus dem Bundesinnenministerium. 128 Seiten, Amtsdeutsch, darin viele Ansagen, die sich Hardliner aus CDU und CSU wünschen.
Merkels Angebote an Kretschmann und die Grünen sind alle vergiftet, sie enthalten Zumutungen, die früher für Grüne tabu gewesen wären. Deutschland soll unattraktiver werden, vor allem für Menschen aus den Staaten des westlichen Balkan.
Ein Donnerstag Mitte September. Simone Peter, 49 Jahre, hat schon eine Bootsfahrt auf der Elbe hinter sich. Protest gegen Staustufen, Paddeln im Schlauchboot, Alltag einer Grünen-Chefin. Peter gehört zum linken Parteiflügel, das Wohl Notleidender liegt ihr am Herzen, sie mag und schätzt Mürvet Öztürk, die Rebellin. Jetzt legt sie in ihrem Berliner Büro die Unterarme auf den Tisch, beugt sich vor und rattert minutenlang herunter, was die Grünen alles Schönes wollen. Gar nicht einfach, zwischendurch eine Frage zu stellen. Einen Arbeitsmarktzugang für Leute vom Westbalkan, mehr Geld natürlich, Entbürokratisierung der Verfahren.
Peter weiß, dass viele Vorschläge von Merkels Koalition Botschaften an den Stammtisch sind. Sie sollen Härte signalisieren, würden aber das Chaos in überlasteten Erstaufnahmeeinrichtungen vergrößern. In dieser Woche dann, als der harte Referentenentwurf raus ist, wird sie über einen „Abwehrkampf gegenüber Flüchtlingen“ schimpfen, der Innenminister verlängere seine Liste der Grausamkeiten.
Was ist eigentlich nicht verhandelbar?
Von „Schikanen“ für Flüchtlinge spricht Peter in ihrem Büro schon vorher und lobt gleichzeitig die Bewegung in der Koalition bei den Finanzen. Aber um einen nicht unwichtigen Punkt drückt sich die Grünen-Chefin herum.
Frau Peter, was ist für die Grünen eigentlich nicht verhandelbar?
Jetzt fabriziert die Vorsitzende so viele Wortblasen, dass das Abhören des Bandes zur Prüfung wird. Rote Karte bei Rassismus, Populismus der CSU nicht nachgeben, Rückgrat im Sinne der Hilfsbedürftigen beweisen. Um es kurz zu machen: Simone Peter fällt kein einziges Tabu ein. Alles ist Verhandlungsmasse.
Ach nein, Moment: „Das Grundrecht auf Asyl ist für uns unantastbar.“
Das klingt entschieden, ist aber falsch. Für die Rebellin Öztürk wäre es etwa eine „relevante Schwächung“ dieses Grundrechts, die Liste sicherer Herkunftsstaaten auszuweiten. Kretschmann hat diesem Konzept vor einem Jahr schon mal zugestimmt. Merkels Koalition will jetzt noch mehr, sie möchte auch Albanien, Kosovo und Montenegro für sicher erklären.
Dieses Mal, das räumen mehrere Parteistrategen ein, werden sich die Grünen kaum verweigern können. Sie würden akzeptieren, dass Menschen, die vor Armut flüchten, unbürokratisch abgeschoben werden können. Den Roma, die in solchen Staaten brutal diskriminiert werden, würden sie die Anerkennung erschweren.
Die 90er Jahre und die „Bild“
Um Öztürks Wut darüber zu verstehen, muss man kurz in die Anfänge der 90er Jahre zurückschauen. Die Asylbewerberzahlen steigen. Die Bild-Zeitung zündelt, die Stimmung ist aufgeheizt. Rostock-Lichtenhagen, Mölln, zwei Mädchen und ihre Großmutter sterben durch rechten Terror. In der entscheidenden Plenarsitzung am 26. Mai 1993 drückt der Grünen-Abgeordnete Konrad Weiß in einem Satz präzise die grüne Kritik am Asylkompromiss aus. Der neue Artikel 16a im Grundgesetz ruiniere das Grundrecht auf Asyl in seinem Wesen, ruft er, denn künftig gelte: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aber nicht in Deutschland.“
Mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD schränkt das Parlament das Grundrecht auf Asyl ein. Menschen, die aus sicheren Drittstaaten kommen, haben kein Recht mehr darauf. Menschen, die aus einem als sicher eingestuften Herkunftsstaat stammen, können schnell zurückgeschickt werden. Bequem ist das für Deutschland, die EU-Staaten rundherum schützen wie ein Bollwerk vor Not.
Heute funktionieren die Drittstaatenregelung und das Dublin-Abkommen, das Flüchtlinge aus Deutschland fernhalten soll, längst nicht mehr. Verzweifelte Menschen suchen und finden immer Wege ins reichste Land Europas. Die Grünen wissen das, aber wehren sie sich wirklich gegen die neuen Regelungen?
Als Kretschmann im September 2014 die rot-grüne Front im Bundesrat aufbrach und Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten etikettierte, schrien viele in der Partei auf. Verrat! Ein schwarzer Tag! Viele Grüne, nicht nur vom linken Flügel, empfanden das als Tabubruch. Dieses Mal kommt es noch schlimmer. Die Koalition will das Asylrecht viel grundsätzlicher verschärfen. Trotzdem ist von den Grünen kaum etwas zu hören. Von Widerspruch, gar der ernsten Drohung, im Bundesrat Nein zu sagen, fehlt jede Spur.
Als die Koalition ihr erstes Angebot vorlegte, meldeten sich Jürgen Trittin, Volker Beck und Claudia Roth mit böser Kritik. Die drei haben gemeinsam, dass sie zwar noch im Bundestag sitzen, im neuen Machtgefüge der Grünen aber irrelevant sind. Kretschmann, der Bestimmer, lobte den Vorschlag als „ordentliche Grundlage“. Ansonsten: betretenes Schweigen auf breiter Flur, von einem Interview des NRW-Landeschefs in einer Lokalzeitung abgesehen, der „mehr echte Hilfen“ für Flüchtende forderte.
Alle Spitzenleute sind sich einig, dass sich die Partei ein kommunikatives Desaster dieser Größenordnung nicht mehr leisten sollte. Eine Spätfolge des Veggie-Day-Traumas. Außerdem gab es einen Parteitag, der den Kretschmann-GAU vergessen machen sollte. Die Delegierten verhielten sich entschieden unentschieden, also recht grünen-typisch. Sie beklatschten den sich rechtfertigenden Kretschmann, dann verabschiedeten sie einen Beschluss, der seine Entscheidung für falsch erklärte. Außerdem lehnten die Delegierten es ab, weitere Staaten auf die Liste zu setzen. Eine Zustimmung zu den aktuellen Vorschlägen der Koalition widerspräche also der offiziellen Beschlusslage der Grünen.
Dissens verbergen
Die Grünen versuchen ihren Dissens vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Es ist nämlich so: Manche Grüne sind teils auf Linie mit der Union, andere nicht. Das beste Beispiel findet sich in einem „Fünfpunkteplan“, den der Bundesvorstand und fast alle grün mitregierten Länder unterschrieben haben.
Auf den vier Seiten steht viel Gutes und Wahres, aber ein Satz ist besonders wichtig. Die Grünen müssten sich der Realität stellen, schreiben die Parteistrategen da: „Es geht darum, die Rückkehr von Menschen ohne Bleibeperspektive in ihre Heimatländer zu beschleunigen.“ Das hat man von Grünen so noch nie gehört: Hey Deutschland, wir sind jetzt übrigens auch für schnellere Abschiebungen. Sie trauen sich nur nicht, es laut zu sagen.
Die Grünen in den Ländern sind sich auch nicht ganz einig. Kretschmanns Baden-Württemberger und die Hessen, die mit der CDU koalieren, finden schnelle Abschiebungen wichtig. Sie haben einen Verdacht, mit dem sie wahrscheinlich richtig liegen. Natürlich findet das gut situierte und ökoaffine Bürgertum Flüchtlinge klasse. Jedenfalls grundsätzlich. Aber wenn in der Grundschule neben der frühgeförderten Sophie-Charlotte plötzlich zehn Roma-Kinder sitzen, die kein Deutsch sprechen, hört der Spaß auf. Andere Länder tragen diese Haltung murrend mit, der Geschlossenheit wegen.
Bremens Vizeregierungschefin Karoline Linnert hat den Fünfpunkteplan dagegen nicht unterschrieben. „Die Bremer Grünen halten diesen Satz für problematisch“, sagt sie. „Weder wollen wir mehr angeblich sichere Herkunftsländer auflisten noch möglichst schnell abschieben.“
Die Grünen von heute haben kein Problem mehr mit Dialektik. Darüber kann man sich lustig machen, aber dumm ist das nicht. Denn die Rollenunterschiede zwischen Bundesopposition und Landesexekutive sind ja nicht zu leugnen. Vor allem aber realisierte die Partei in den vergangenen Monaten, was alle Parteien gerade erleben. Ihre Programmatik wurde von der Realität überholt, die reine grüne Lehre stößt an Grenzen.
Reality-Check
Um diesen Reality Clash zu begreifen, kann man sich mit Susanna Tausendfreund zu einem Telefonat verabreden. Aus ihrem Erkerfenster winkt Tausendfreund oft jungen Männern aus dem Senegal oder aus Syrien zu, die auf dem Rathausvorplatz über ihre Smartphones wischen. Tausendfreund, 52 Jahre, ist die Bürgermeisterin von Pullach, einem 9.000-Einwohner-Städtchen direkt bei München. Die Männer nennen sie „Mama“. Als Erstes hat Tausendfreund ein paar Router gekauft, jetzt gibt es freies WLAN vor dem Rathaus. Der Kontakt zu den Familien in der Heimat ist für viele das Wichtigste.
Tausendfreund erzählt, ruhig, strukturiert und präzise. Es gab die Vorwarnung des Landratsamts, aber am Ende lief im Mai dieses Jahres alles überfallartig: „Ein Anruf, drei Tage später standen die Menschen vor der Tür.“ 150 Flüchtlinge leben jetzt in Pullach, allein 100 junge Männer sind in der Turnhalle der Josef-Breher-Mittelschule untergebracht. Fünf Toiletten, Duschräume für Schulklassen.
Anfangs gab es viele Anrufe bei der Polizei, sagt Tausendfreund. Die Musikgruppe aus dem Senegal trommelte, Geflüchtete telefonierten nachts laut auf der Straße. „Das sind eben andere kulturelle Gewohnheiten.“ Ach ja, das mit dem wild Bieseln sei auch so ein Problem gewesen, manchmal gingen sie dazu in die Grünanlage nebenan.
Die Probleme einer Bürgermeisterin sind dann sehr praktisch: Tausendfreund bespricht mit Vereinen und Schulen, wo ersatzweise Sport stattfinden kann. Sie organisiert einen Sicherheitsdienst und klärt, dass er die Toiletten der Schule nebenan benutzen darf. Sie lädt zur Bürgerinformation ins Gemeindehaus ein. Sie hilft ihrem Bruder, der im Haus nebenan wohnt und einen Nigerianer aufgenommen hat, mit dem Behördenkram. Sie überredet private Vermieter, Wohnungen an Flüchtlinge zu vergeben.
In anderen Kommunen ist die Lage viel dramatischer als in Pullach, wo Tausendfreund sagt, sie sei ein bisschen stolz auf ihre Pullacher und das große Engagement. Anderswo verzweifeln Bürgermeister, dort eskaliert die Lage. Wenn man Susanna Tausendfreund fragt, was sie vom Kurs der Grünen im Bund und in den Ländern hält, stockt sie kurz – und lacht. „Was machen sie denn im Moment?“
Sie finde richtig, fällt ihr dann ein, dass die Grünen auf die Einzelfallprüfung im Asylrecht pochten. Die Spitzengrünen dürften sich von so was bestätigt fühlen. Die Basis will jetzt keinen Schaukampf, sondern Lösungen, heißt es da. Was Bürgermeisterinnen wie Tausendfreund überall in der Republik brauchen, ist schnelle Hilfe. Viel mehr Geld. Weniger Bürokratie. Und ja, auch weniger Flüchtlinge.
Schwarz-Grün 2017
Merkels Paket enthält solche Hilfen. Würden sich die Grünen dem Kompromiss verweigern, stünden sie als Buhmänner der Nation da. Und hier kommt wieder Kretschmann ins Spiel, der wichtigste Grüne. Was passierte, würden die Grünen im Bundesrat mit Nein stimmen? Sie hätten fast alle Medien gegen sich. Die Bild-Zeitung ließe verzweifelte Landräte aufmarschieren und höbe Kretschmann als schwäbischen Schwächling auf den Titel. Die Frankfurter Allgemeine, die Welt oder der Spiegel stellten die Grünen als linksromantische Spinner in die Ecke. Die Spitzenleute aus der Union sprächen ihnen jede Regierungsfähigkeit ab, Schwarz-Grün 2017 würde in weite Ferne rücken.
Vor allem Kretschmann würde das Schlimmste drohen, nämlich der Machtverlust. Ihn könnte die Blockade den Sieg bei der Landtagswahl im März 2016 kosten. Denn die nun wirklich nicht gerade linksalternative Landespresse ließe den Ministerpräsidenten fallen, den sie bisher freundlich behandelt.
„Undenkbar. Das wissen alle.“ Das ist die Analyse, die man von dem Mann aus Baden-Württemberg hört, aber auch von wichtigen Grünen anderswo. Zur Wahrheit gehört also, dass sich hinter der geräuschlosen Duldsamkeit der Grünen zwei Dinge verbergen: ein Gefühl und ein Kalkül. Die Grünen haben Angst vor dem Mainstream, und sie rechnen sich aus, dass linke Ideale in der Flüchtlingsfrage nicht mehrheitsfähig sind.
So surrt also Merkels Kompromissmaschine, der Donnerstag rückt näher und näher. Und die Grünen? Sie sitzen am Hebel, der alles stoppen könnte. Aber bisher trauen sie sich nicht, ihn auch nur anzufassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin