Die Grünen für mehr Repräsentanz: Weg vom weißen Privileg
Die Grünen wollen neue Wähler*innen gewinnen – und zwar diejenigen, für die sie eintreten. Die sind aber kaum in der Partei vertreten.
An einem Vormittag Ende August sitzt Gesine Agena an einem Tisch vor der taz und erzählt von einem Beschluss des Bundesvorstands: Eine Arbeitsgruppe soll Vorschläge dafür erarbeiten, wie die Partei vielfältiger werden kann. „Natürlich ist in Sachen Vielfalt bei uns Grünen noch Luft nach oben, und zwar auf allen Ebenen“, sagt die stellvertretende Parteivorsitzende. „Wir wollen sowohl unter unseren Mitgliedern als auch bei den Funktionsträger*innen die Breite der Gesellschaft abbilden.“
Agena meint damit vor allem, aber nicht nur People of Color. Es gehe auch um queere Menschen, um Menschen mit Behinderung und aus unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen. „Wir haben seit den 80er Jahren viel dafür getan, damit Frauen ihren gerechten Anteil an der Macht erhalten“, sagt Agena, selbst frauenpolitische Sprecherin ihrer Partei. „Diversität ist für uns Grüne jetzt der nächste wichtige Schritt.“
Kritik müssen sich die Grünen schon lange gefallen lassen. Der Entwurf für das neue Grundsatzprogramm lese sich „wie das Programm einer weißen Partei, die Ausländer mag“, hatte im März etwa die Journalistin Ferda Ataman gesagt. Fragt man ein halbes Jahr später nach, erklärt sie: „Typisch für Grüne ist der Habitus, dass sie Ausländer*innen helfen wollen. Migrant*innen und People of Color auf Augenhöhe zu begegnen, sie als Teil der eigenen Gesellschaft oder gar der Umweltbewegung zu verstehen gelingt vielen noch nicht so recht.“
15 statt 25 Prozent
Im Bundestag haben die Grünen nach den Linken die meisten Abgeordneten mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Es sind knapp 15 Prozent – in der Bevölkerung ist es jeder Vierte. Und schaut man in den Bundesvorstand der Partei oder in die Fraktionsspitze im Bundestag, dann findet man dort zwar Geschlechterparität – aber nur weiße Gesichter.
Damit verschrecken die Grünen eine Zielgruppe mit Potenzial. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat 2018 die Parteipräferenz von Menschen mit Migrationshintergrund untersucht. „Historisch gewachsene Bindungen erodieren“, resümiert er, und vermutet, dass „sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte von den bestehenden Parteien nicht hinreichend angesprochen und vertreten fühlen“. 2016 präferierten laut der Studie noch rund 40 Prozent der Befragten die SPD, 2018 waren es nur noch 25.
Tupoka Ogette, Anti-Rassismus-trainerin
Davon profitiert haben aber nicht die Grünen – sondern die Unionsparteien, die von rund 28 auf rund 43 Prozent anstiegen. Die Grünen haben sogar an Sympathien verloren: Nur rund 10 Prozent präferierten die Partei 2018 – 3 Prozentpunkte weniger als noch zwei Jahre zuvor. Doch wirklich belastbare Zahlen sind auf diesem Feld rar, und die untersuchte Gruppe ist extrem heterogen.
Die Grünen präsentieren sich als Gegenentwurf zu Rechtsruck und AfD. Das macht sie eigentlich attraktiv, etwa für die Aktivistin, Autorin und Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette. Die Grünen hätten sich schon lange auf die Fahne geschrieben, die Partei zu sein, die sich für Minderheiten einsetze, sagt sie. „Aber es kann nicht nur ein Anspruch nach außen formuliert werden – es muss auch nach innen gelebt werden.“ Ogette ist schon lange Mitglied bei den Grünen. Sie habe sich aber nie aktiv eingebracht, sagt sie; ihr erster Besuch bei einem Treffen habe sie „abgeschreckt“: „Die Runde war komplett weiß, ich habe mich da nicht wiedergefunden.“
Erste Schwarze Vizepräsidentin – „reicht nicht“
Solche Menschen gebe es viele, sagt Aminata Touré, grüne Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein. „Deswegen müssen wir uns jetzt selbstkritisch mit unseren Strukturen und unserer Aufstellung auseinandersetzen. Das wird ein Stück weit auch wehtun.“
Die Grünen waren die erste Partei, die mit Cem Özdemir einen Politiker mit Migrationshintergrund an der Spitze hatte. Mit Aminata Touré sitzt jetzt die erste Schwarze Frau im Landtag von Schleswig-Holstein, und zwar als Vizepräsidentin. „Mich dort zu haben reicht aber nicht“, sagt Touré. „Wir Grüne müssen People of Color personell repräsentieren, wir müssen diese Perspektiven aber auch programmatisch mit aufnehmen.“
Die neu eingesetzte AG Vielfalt besteht aus 25 Personen aus Bundesvorstand, Bundestag, den Ländern und der Basis – darunter neben Agena und Touré auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, die Bundestagsabgeordnete Filiz Polat, Jens Parker von Queergrün und Katrin Langensiepen, die einzige Frau im Europaparlament mit einer sichtbaren Behinderung.
Bis November 2020 soll die mit einem eigenen Budget ausgestattete AG strukturelle Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt erarbeiten und diese auf der Bundesdelegiertenkonferenz vorschlagen. Ogette begleitet den Prozess als rassismuskritische Beraterin. Dass die Partei dabei nicht nur einzelne Personen konkret fördern, sondern an die Strukturen heran will, nennt Ogette einen „Schlüsselpunkt“.
Finanzplan für die Vielfalt
Was genau am Ende herauskommen soll, ob Quoten, Zielvereinbarungen, Erhebungen oder ganz andere Mittel, darauf will sich noch niemand festlegen. Die Arbeit gehe ja gerade erst los. Es gehe auch um Ressourcen, sagt Katrin Langensiepen. Um etwa Menschen mit Behinderung zu unterstützen, müssten barrierefreie Räume gemietet oder Dolmetscher*innen gebucht werden. „Am Ende des Tages reden wir also auch über die Finanzierung von Kreis- und Ortsverbänden“, sagt Langensiepen.
Die Grünen sind die erste Partei, die sich auf Bundesebene so konkret mit der fehlenden Vielfalt in den eigenen Reihen beschäftigt. Bei null anfangen müssen sie derweil nicht – dank des Berliner Landesverbands. Der hat 2017 einen Antrag beschlossen mit dem Titel: „Plural nach vorne. Gesellschaftliche Vielfalt in unserer Partei fördern“.
Nun gibt es einen Diversity-Rat und eine Antidiskriminierungsstelle – und eine Zielvereinbarung: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund unter den Berliner Funktionsträger*innen soll dem in der Hauptstadt entsprechen, also etwa 31 Prozent. Bis Herbst 2019 wollen die Berliner Grünen 15 Prozent erreichen.
Ob das klappt, muss sich noch zeigen. Klar ist: Ohne Bunt-Grün hätte es diesen Prozess niemals gegeben. Das Netzwerk von BPoC (Black and People of Color) hat sich 2013 innerhalb der Landespartei gegründet, weil ihnen die Perspektive auf Diskriminierung und Rassismus als Querschnittsthema fehlte – in der Umwelt- und Klimapolitik, der Wohnungspolitik oder der Sozialpolitik.
Beim Feminismus haben die Grünen es geschafft, dass dieser sich durch ihr gesamtes Programm zieht. Im Europawahlprogramm gab es Forderungen nach einer feministischen Außenpolitik oder danach, den digitalen Wandel feministisch zu gestalten. Bei rassistischer Diskriminierung ist das noch nicht der Fall.
Werner Graf, Co-Vorsitzender des Landesverbands Berlin
Bunt-Grün hat lange dafür gestritten, das zu ändern. „Es ist, wie Gandhi sagte: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du“, sagt Deniz Yıldırım, Co-Sprecherin des Netzwerks. Der Beschluss „Plural nach vorne“ sei ein „Meilenstein“, die vereinbarte Zielgröße eine der „wichtigsten Vereinbarungen“, deren Umsetzung man genau beobachten werde. Yıldırım sagt aber auch, dass sich schon viel verändert habe. „Wenn wir heute das Thema Rassismus in die Diskussion tragen, dann wird das nicht mehr abgewiegelt. Das ist ein großer Schritt.“
Dass es diesen Prozess ohne Bunt-Grün nicht gegeben hätte, weiß auch Werner Graf, Co-Vorsitzender des Landesverbands. Und er gesteht ein, dass die Aktivist*innen es nicht leicht hatten. „Wenn es um Fragen von Teilhabe und Macht geht, dann klatschen nicht alle nur in die Hände“, sagt er. Auch im nun anstehenden bundesweiten Prozess erwartet er Auseinandersetzungen. Wichtig sei aber, dass am Ende etwas stehe, das von Dauer sei.
Das fordert auch Yıldırım. Sie begrüßt, dass die Initiative diesmal vom Bundesvorstand ausgeht und so an Gewicht gewinnt – auch über die Grünen hinaus. „Es ist wichtig, dass die Parteien da vorangehen“, sagt sie. Auch sie rechnet mit Gegenwind, Fragen und Diskussionen. „Diese Reibung auszuhalten und mutig zu bleiben, das muss der Bundesvorstand schaffen.“
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