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Die CDU unter MerzWo ist dein bräsig-beständiger Konservatismus geblieben?

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Die CDU gehörte zum BRD-Inventar wie Eierlikör und Jägerzäune. Nie zuvor war sie mir so wichtig wie jetzt in der nostalgischen Rückschau. Ein Brief.

Ach ja, damals, in der guten alten BRD: Nach seinem Abschied als CDU-Generalsekretär 1989 wurde Heiner Geißler nachdenklicher Foto: dpa

L iebe CDU, du wunderst dich bestimmt darüber, dass ich dir schreibe. Ich mich auch … Ich fand deine Marotten immer etwas seltsam, dieses Klammern an den Paragrafen 218, an Gymnasien und niedrigen Spitzensteuersatz, aber konservativ heißt nun einmal, auf Biegen und Brechen an etwas festzuhalten.

Ansonsten warst du mir egal. Es gab dich halt, so wie Jägerzäune und Eierlikör, wie sie gehörtest du zum BRD-Inventar. Aber die BRD gibt es schon lange nicht mehr und bei dir bin ich mir nicht sicher. Ist das noch der bräsig-beständige Konservatismus, der die Nazis in den eigenen Reihen platt gesessen hat, oder schon irrlichternder Trumpismus?

Ich habe mal gelesen, wie man etwas in der nostalgischen Rückschau erst erschafft. Der deutsche Wald, den die Romantiker so beschwärmten, soll in den Kriegen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts abgeholzt worden sein und gar nicht mehr existiert haben, als er exzessiv besungen und gemalt wurde. Ob das auch für dich gilt? Nie zuvor habe ich mich so für dich interessiert, so viele Artikel über dich gelesen und über dein Wesen gegrübelt.

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, jemals mit so viel Wärme an Grüne oder SPDler der Vergangenheit gedacht zu haben wie heute an Rita Süssmuth, Heiner Geißler, Ruprecht Polenz und Wolfgang Schäuble. Irgendwie gehört auch die Oma gegen rechts, Angela Merkel, in die Reihe, auf ihre sehr eigene Weise.

Immerhin leben drei von ihnen noch und Roderich Kiesewetter bleibt im Bundestag. Kluge Politiker:innen, die das Christlich-Demokratische ihrer Partei nicht nur behaupten. Aber ist das, wonach ich mich sehne, eine Projektion, die CDU ein deutscher Wald? Soll es endlich wieder so werden, wie es nie war?

Kohl mochte auch keine linksgrünen Spinner

Ich höre dich Sachen sagen und tun, die ich kaum glauben kann. Du weißt schon, linke und grüne Spinner, die nicht alle Tassen im Schrank hätten, wenn sie für das Menschenrecht auf Asyl und gegen Abstimmungen mit der AfD demonstrieren, und für die man als Bundeskanzler keine Politik machen brauche.

Kleine Anfragen zur Finanzierung von „Schattenstrukturen“, die darauf abzielen, zivilgesellschaftliche Organisationen zu diskreditieren. Und Bremens Bundestagsabgeordneter Thomas Röwekamp, der nicht mal mehr mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Radio Bremen sprechen will, weil ihm der zu „links-grün“ ist.

Klar, Helmut Kohl hatte für unsereins auch nichts übrig, aber da bekamen die rechts-braunen Spinner ja noch kein Fünftel aller Stimmen bei einer Bundestagswahl und in einigen Wahlkreisen knapp 50 Prozent. Es gab auch keine gezielten Kampagnen gegen „System-Medien“, keine offenbar aus Russland gesteuerten Angriffe auf westliche Jour­na­lis­t:in­nen, und wenn jemand log, behauptete er oder sie nicht, alternative Fakten zu verbreiten.

Aber ich schreibe dir nicht, um dir Vorwürfe zu machen. Sondern um mich dafür zu entschuldigen, dass ich dir nie gezeigt habe, wie viel du mir bedeutest. Ich weiß nicht, wie viele Hunderte deiner Pressemitteilungen ich ignoriert habe.

Ich könnte mich rausreden und sagen, das lag daran, dass ich deine Angst vor Messerangriffen nicht teile und du für das Thema bei der anderen Lokalzeitung ja stets ein offenes Ohr findest. Oder dass mir dein aufgeregtes Geschrei, Bremen gehe den Bach runter, Politikversagen auf ganzer Linie, auf die Nerven geht und ich eine solche Rhetorik für geeignet halte, das Vertrauen in demokratische Institutionen nachhaltig zu erschüttern.

Aber damit würde ich es mir zu leicht machen. So wie du jetzt denkst, es brauche keine Linken und Grünen in diesem Land, habe ich zu lange gedacht, es gehe auch ohne dich. Ich habe mich geirrt.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin.
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8 Kommentare

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  • Diese "alte" Union gibt es bestimmt noch. Auf Bundesebene (und in vielen Ländern, wie es scheint) hat die gemütliche, bisweilen etwas unbedarft wirkende Schunkel-Fraktion à la Laschet und Merkel den Machtkampf gegen Opportunisten und politische Selbstdarsteller (Söder, Spahn, Merz etc.) offensichtlich verloren. Diese kennen wiederum keine Skrupel, wenn es um Machterhalt oder das eigene Portemonnaie geht. Betrachtet man die Wahlergebnisse, sind sie nur bei letzterem wirklich erfolgreich.

  • Vom "deutschen Volk" zu reden hat a priori nichts "völkisches" im negativen Sinne. Die Überschrift über dem Reichstagsgebäude, wo der Bundestag sich trifft heißt "dem Deutschen Volke". Jedes Gericht urteilt hierzulande "im Namen des Volkes." - in wessen Namen denn sonst?

  • Wir brauchen für die vielen eher Konservativen in diesem unseren Lande auch eine entsprechende Partei, auf dem Boden dabei des Grundgesetzes und ohne rechtsextreme Hetze. Mensch darf "rechts" sein, doch nicht rechtsextrem.

    Die Partei muss gar nicht identisch mit SPD oder Grünen sein (auch wenn die fast mittig genug dafür positioniert wären). Die sollte auch keine zweite FDP, FW oder gar AfD sein, sondern etwas nachfragen und ggf. bremsen, etwas pragmatisch einwerfen, v.a. die ländlichen Gebiete begleiten, christlichen (oder ähnlichen) Werten eine Stimme geben.



    Und meinetwegen auch redlichen Unternehmer davor bewahren, dass die Revolution es eben lösen muss, indem die katholische Soziallehre Anwendung findet.

    Es gibt genügend Raum für eine solche Union.



    Merz als Spät-Neoliberaler und Selbstdarsteller Söder sind auch darin freilich beide fehl am Platze.

  • Dem Autor sei empfohlen einfach mehr Jürgen Leinemann zu lesen, dann versteht er.

    Für die Generation Z: L. war Spiegel-Chefreporter, keiner zeichnete die Psychogramme der Kohl-Ära besser besser. Dabei war er so sezierend, dass er von Kohl Flugverbot in der Regierungsmaschine erhielt und der Spiegel fortan auf der roten Liste des Patriarchen stand wiewohl sich Kohl auch immer wütend über das "Blatt aus Hamburg" äußerte.

  • Es ist eine Illusion, die guten 1980er, denn Kohl hat einfach seine Umverteilung über Schulden geregelt und war im Grunde genommen sehr verantwortungslos. Er hat die Situation der Steuereinnahmen in Deutschland ohne große Not verschlechtert und Kredite aufgenommen. 1990 hat er dann das Rentensystem geknackt, in dem er die Vereinigung damit bezahlt hat, wenn es denn überhaupt gereicht hätte.



    Und besonders Gerd Schröders Renten- und Sozialreform hat die BRD aufgelöst, hatte irgendwann jeder so sein Plätzchen, war selbst das vorbei, Armut entwurzelt und treibt die Bevölkerung an. Spätestens ab 2003 ist die alte BRD verschwunden und für die ehemaligen Bürger der DDR war sie sowieso eher etwas weniger Greifbares als für Westbürger.

    Nun ist Deutschland zum sozialen Schlachtfeld geworden und die Rente ist eher nicht sicher (Norbert Blüm), bzw. sie wird sicher niedrig ausfallen. Und wer mit 67 sich zur Ruhe setzt, der wird rechnen und vielleicht einen Minijob benötigen.



    Ob Politiker einen Lodenmantel dragen, ihre Kinder zum altsprachigen Gymnasium schicken und / oder Tennis und Hockey spielen. Old BRD is gone. So auch die Union mit ihrer artigen JU, die können so nicht mehr bleiben.

  • Ich denke (und hoffe), es ist mehr die übersichtlichere, rückblickend wohlbehütete bipolare Welt der alten BRD (auch nach der sog. Wiedervereinigung blieb es die BRD), der die Autorin nachhängt; nicht die CDU der rechten Scharfmacher wie Dregger und Geißler der Jüngere. Diese Geister wollte ich bei aller unschöner Zukunftsaussicht nicht rufen.

  • Es gab auch harte Hunde wie Manfred Kanther, es gab Alfred Dregger und Erika Steinbach.

    Aber Sie haben Recht: Der aktuelle, getriebene, ständig neue undurchdachte Vorschläge raushauende "Konservatismus", der wie auf Speed wirkt, hat nichts mehr mit Helmut Kohls ruhiger (und etwas langweiliger) Christdemokratie zu tun.

    Damals gab es auch weniger Ultimatem und politische Erpressungsversuche.

    Hatte man gar nicht nötig.

  • Vorsichtshalber merke ich an:

    Art. 20 GG



    (1) Die _Bundesrepublik Deutschland_ ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

    Ich verwende noch heute die Abkuerzung 'BRD', auch wenn mir klar ist, dass diese vor allem mit der Bonner Republik (die mich offensichtlich gepraegt hat) assoziiert wird. Denn was waere die Alternative?

    Unmittelbar nach der Wiedervereinigung habe ich in einer Gerichtsverhandlung erlebt, dass der Staatsanwalt dem Richter schon im Rubrum ins Wort gefallen ist und in strammem Diktus erklaert hat, es waere jetzt wohl endlich angebracht, wieder vom 'Deutschen Volk' zu reden. - Ich blickte in starrem Entsetzen in einen Abgrund, der sich seither jedes Jahr ein bisschen weiter aufgetan hat.

    Seither schreibe ich in jeder Postadresse wieder 'Bundesrepublik Deutschland'.