Die Achtung der Menschenwürde: Menschen und Müll
In einer taz-Kolumne wurden Polizeibeamte mit Abfall gleichgesetzt. Dass dies nicht geht, muss auch in Zukunft der kleinste gemeinsame Nenner sein.
D ieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debatte über die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah. Es werden weitere, konträre Texte folgen, die das gesamte Spektrum der Diskussion abbilden.
Am vergangenen Montag ist in der taz ein Text veröffentlicht worden, in dem empfohlen wurde, Polizeibeamte unter bestimmten Umständen auf einer Mülldeponie unterzubringen. Weil sie sich nämlich auf der Halde, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind“, bestimmt auch „selber am wohlsten“ fühlen dürften. „Unter ihresgleichen.“
Es wäre wunderbar, wenn sich jetzt niemand dazu berufen fühlte, mir nachzuweisen, dass ich oben irgendwo ein sinnentstellendes Komma gesetzt habe. Oder aus anderen Gründen die Aussage der Kollegin nicht korrekt wiedergegeben hätte. Bitte. Genug davon.
Journalismus, wie seriös oder unseriös auch immer, hat stets ein Ziel: von einem möglichst breiten Teil des Publikums verstanden zu werden. Es geht in unserem Beruf nicht um Textexegese, und wir befinden uns nicht in einem germanistischen Proseminar.
Sie wusste, was sie schrieb
Deshalb fasse ich zusammen: Polizeibeamte wurden in dem Manuskript, um das es hier geht, mit Abfall gleichgesetzt. Ich denke, die Autorin wollte genau das sagen. Es wäre herablassend, ihr zu unterstellen, dass sie ahnungslos über ein Feld von Tretminen tanzte.
Sie wusste, was sie schrieb. Und sie hat die Menschenwürde verletzt. Was denn sonst?
Je erbitterter Kontroversen ausgetragen werden, desto wichtiger ist es, dass sich die Beteiligten wenigstens darüber verständigen können, worin die gemeinsame Grundlage besteht.
Wie oft ich mich auch über die taz geärgert habe: Am kleinsten gemeinsamen Nenner habe ich bisher nie gezweifelt. Nämlich dem Vorrang der Menschenwürde.
Die böseste, verletzendste Diskussion, an die ich mich erinnere, ging um die Frage, ob internationale Militäreinsätze gegebenenfalls unter Preisgabe des Völkerrechts befürwortet werden sollten. Ich war und bin dagegen. Aber nicht einmal auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung habe ich geglaubt, dass diejenigen, die eine andere Position einnahmen als ich, etwas anderes als vor allem die Menschenrechte im Blick hatten. Ach, Erich Rathfelder. Lass uns uns mal wieder treffen.
Das war ernst damals. Sehr ernst. Und dennoch von wechselseitigem Respekt geprägt. Die Kolumne von Anfang dieser Woche, in der eine Berufsgruppe mit Abfall gleichgesetzt wird, wirkt auf mich unernst, kokett, provokant. Ich spüre keine Verzweiflung, sondern ich meine, Clickbaiting zu erkennen. Was für eine kleine Münze.
Kann es wirklich wahr sein, dass wir uns innerhalb unserer Zeitung allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz nicht mehr darauf verständigen können, was unter Menschenwürde zu verstehen ist – und wie wir auf deren Verletzung reagieren sollten?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die internen Diskussionen offenbaren Gräben, über die wir reden müssen. Dringend. Wer die Kolumne verteidigt, tut dies im Regelfall unter Verweis auf eine Opferrolle. Zusammengefasst: Ihr privilegierten Weißen habt ja keine Ahnung. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt, aufgrund äußerer Merkmale diskriminiert zu werden, lebenslang benachteiligt zu sein. Und deshalb eine – ja, auch unsachliche – Wut zu empfinden.Stimmt. Das wissen wir nicht. Aber das rechtfertigt nicht jeden Tabubruch. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht verhandelbar, egal, wer sie verletzt.
Deshalb werde ich die Kolumne, um die es hier geht, auch nicht brav nach außen hin verteidigen und nur intern kritisieren. Das wäre falsch verstandene Solidarität. Den Korpsgeist, der andere Organisationen auszeichnet, halte ich im Hinblick auf die taz nicht für erstrebenswert. Dafür – oh ja, wirklich: dafür – ist die Zeitung nicht gegründet worden.
Redaktioneller Hinweis: Da die Autorin nicht wusste, wie Hengameh Yaghoobifarah sich im Hinblick auf Geschlecht einordnet, hat sie in diesem Text falsch gegendert. Sie bedauert das, ist aber der Ansicht, dass eine nachträgliche Änderung, und sei sie auch in bester Absicht und im kleinsten Detail, verlässlichen Debatten über Texte die Grundlage entzieht.
Hengameh Yaghoobifarah ist non-binär. Dieser Sammelbegriff umfasst alle Gender, die nicht in die binären Kategorien Mann und Frau passen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin