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Deutschland, Israel und der Gaza-Krieg„Es ist ein Ersatznationalismus“

Daniel Marwecki erforscht die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Der Politologe sagt: Die Deutschen schotten sich von der Realität ab.

Abgekühltes Verhältnis: Außenministerin Annalena Baerbock mit Israels Premier Benjamin Netanjahu Mitte April in Jerusalem Foto: Ilia Yefimovich/dpa
Kersten Augustin
Daniel Bax
Interview von Kersten Augustin und Daniel Bax

wochentaz: Herr Marwecki, Deutschland hat auf die Haftbefehle, die der Chefankläger des Internationalen Strafgerichts­hofs (IStGH) gegen Israels Premier und Verteidigungsminister beantragt hat, verhalten reagiert. Wie bewerten Sie das?

Daniel Marwecki: Ich halte es für wichtig, dass das Auswärtige Amt die Rechtmäßigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nicht in Zweifel gezogen hat.

Warum?

Kriegsverbrechen sind nun einmal Kriegsverbrechen. Das Auswärtige Amt hat lange versucht, den Widerspruch zwischen der deutschen Staatsräson im Sinne einer fast bedingungslosen Unterstützung Israels und dem Völkerrecht zu überbrücken. Aber wer diesen Krieg beenden und Kriegsverbrechen geahndet sehen will, sollte die Entscheidung begrüßen. Und ich denke, dass viele in Washington und Berlin froh wären, Netanjahu nicht mehr an der Macht zu sehen.

Bild: Simon and Simon Photography
Im Interview: Daniel Marwecki

Jahrgang 1987, lehrt Internationale Bezie­hungen an der University of Hong Kong. Sein Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ erschien im März.

Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat nach der IStGH-Entscheidung gesagt, die deutsche Staatsräson werde nun getestet. Wie sehen Sie das?

Da hat er nicht unrecht. Die Staatsräson kollidiert eben mit dem Völkerrecht, da muss man sich entscheiden. Angesichts der deutschen Rechtslage müsste man die Waffenlieferungen an Israel an Bedingungen knüpfen, wenn nicht gleich ganz einstellen. Zwei aktuelle Klagen fordern genau das. Das ist aber unwahrscheinlich, denn Deutschland teilt mit Israel das Kriegsziel, die Hamas zu zerschlagen. Das scheint nur nicht zu funktionieren, wie viele Experten vorhergesagt haben.

Sie haben ein Buch über die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen geschrieben. Welche Rolle spielte am Anfang die Moral?

Anfangs waren die Beziehungen funktional: Deutschland brauchte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Persilschein. Und Israel brauchte die Unterstützung der Bundesrepublik, um seinen Staat aufzubauen. Israel war ein von Importen abhängiger Agrarstaat, musste Überlebende aus den Kon­zen­tra­tions­la­gern und Flüchtlinge aus arabischen Staaten versorgen. Westdeutschland half, die Wirtschaft zu industrialisieren, und leistete später Militärhilfe.

Ein Meilenstein war das Luxemburger Abkommen von 1952, mit dem sich die Bundesrepublik zu Reparationen verpflichtete. Bundeskanzler Konrad Adenauer sah das als „Wiedergutmachung“, begründete es aber auch mit dem antisemitischen Motiv von der „Macht der Juden“, die man nicht unterschätzen solle. Wie sah man das in Israel?

Für Israels ersten Staatschef Ben Gurion ging es nicht um Vergebung, Buße oder Sühne, das war völlig klar. Für ihn ging es darum, Fabriken aufzubauen und Maschinen zu besorgen.

Für Israel muss es schwer gewesen sein, mit diesem Deutschland zu tun zu haben.

Ben Gurion musste sich in seinem Land starker Kritik erwehren, von links und von rechts. Das deutsche „Blutgeld“ wollten viele nicht annehmen.

Wie sahen das die Menschen in Westdeutschland?

Es gab einige, die aus moralischen Gründen für die Zahlungen an Israel waren. Andere fanden, dass man gar nichts zahlen müsse. Adenauer war der Ansicht, man müsse etwas zahlen, um den deutschen Namen wieder reinzuwaschen. Im Bundestag konnte er das Abkommen nur mit den Stimmen der SPD und gegen große Teile seiner eigenen Regierung durchsetzen.

War damit eine Anerkennung deutscher Schuld verbunden?

Nein, dahinter stand eher das Bestreben, deutsche Unschuld zu beweisen. Während man Reparationen zahlte, integrierte man viele Altnazis in die Bundesrepublik. Es fand kaum Aufarbeitung statt, man wollte einen Schlussstrich.

Sie schreiben, dass die westdeutsche Starthilfe für Israel deutlich wichtiger war als bekannt ist.

In Zahlen kann man das schwer beziffern, aber es hat einen großen Unterschied gemacht. Den Schritt vom Agrarstaat zu einer Industrienation hätte Israel ohne deutsche Hilfe in dieser Form nicht machen können. Dazu zählen kriegswichtige Waffenlieferungen und großzügige Finanzhilfe. Zählt man die industrielle, militärische und finanzielle Unterstützung zusammen, kommt man zum Ergebnis, dass ausgerechnet die Bundesrepublik in der Anfangszeit des jüdischen Staats dessen wichtigster Partner war – noch vor den USA, die diese Rolle erst nach 1967 übernahmen. Die Bundesrepublik nahm dann auf dem Beifahrersitz Platz.

Kann man die westdeutschen Hilfszahlungen dieser Jahre denn beziffern?

Ein Wirtschaftshistoriker hat nachgerechnet, dass die Reparationszahlungen Deutschland in den ersten Jahren weniger als 0,2 Prozent seines Bruttosozialprodukts gekostet haben. Das ist sehr wenig, und für die deutsche Industrie war es ein Konjunkturprogramm. Schon rein wirtschaftlich hat sich das also gelohnt, und dass Deutschland wieder Waffen herstellen durfte, war auch im Sinne von Konrad Adenauer oder Franz-Josef Strauß.

Diplomatische Beziehungen haben die Bundesrepublik und Israel erst im Jahr 1965 aufgenommen. Warum so spät?

Israel war schon früher dazu bereit. Aber die Bundesrepublik fürchtete, die arabischen Staaten damit in die Arme der DDR zu treiben. Sie wollte nicht, dass diese im Gegenzug die DDR diplomatisch anerkennen würden. Das war die sogenannte Hallstein-Doktrin, bei der es darum ging, den westdeutschen Alleinvertretungsanspruch aufrechtzuerhalten. Israel durfte dafür Militärhilfe erwarten. Das war wichtiger als diplomatische Beziehungen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie reagierten die arabischen Staaten darauf?

Die Waffenlieferungen wurden geheim gehalten, denn die arabischen Staaten hatten schon gegen das Abkommen von 1952 protestiert. Ihre Haltung war: Deutschland kann Entschädigungen für seinen Völkermord zahlen – aber nicht an einen Staat, der auf arabischem Boden und auf Kosten der lokalen Bevölkerung gegründet worden war. Deutschland hingegen argumentierte: Wir unterstützen Israel aufgrund des Holocausts, aus dem Konflikt halten wir uns raus. Auf diese Argumentation stützen sich beide Seiten im Grunde bis heute.

Ist das denn so falsch?

Man blendet die Konsequenzen aus. Bis 1967 war Westdeutschland Israels wichtigster Verbündeter. Der Sieg im Sechstagekrieg wäre ohne deutsche Hilfe in dieser Form wohl nicht möglich gewesen. Dieser Krieg führte zur Besetzung Ostjerusalems, des Westjordanlands, der Golanhöhen und Gazas. Wie auch immer man das bewertet – die Bundesrepublik spielt in diesem Konflikt eine größere Rolle, als im Allgemeinen angenommen wird.

Israels Botschafter in Deutschland bedankte sich 1967 für die deutschen Panzer, mit denen Ägypten im Sinai geschlagen wurde.

Genau. Die Folgen dieses Krieges sind eine Kehrseite der Geschichte, für die Deutschland eine Mitverantwortung trägt.

Trägt Deutschland deshalb eine besondere Verantwortung für die Palästinenser?

Ja. Bis heute ist Deutschland materiell am Konflikt beteiligt. Es nimmt diese Verantwortung aber nur begrenzt wahr.

Deutschland bekennt sich zur Zweistaatenlösung und zahlt humanitäre Hilfe. Reicht das nicht?

Wenn man einer Seite Waffen gibt und der anderen Brot, hält man den Konflikt eher am Leben. Auch die Bundesrepublik hat es verpasst, die friedensbereiten Kräfte auf beiden Seiten zu fördern. Im Ergebnis haben wir es jetzt mit einem wahrhaft existenziellen Krieg zu tun, in den die Bundesrepublik verstrickt ist.

Wie hat sich die deutsche Haltung zu Israel seit dem 7. Oktober verändert?

Sie hat sich radikalisiert. Nach dem 7. Oktober sagte Netanjahu, die Hamas seien die Nazis von heute, als Olaf Scholz in Jerusalem neben ihm stand. Die Implikation war klar: Deutschland könne sich auf die richtige Seite der Geschichte stellen, indem es den jüdischen Staat gegen die „neuen Nazis“ unterstützt. Dieses Entlastungsangebot wird in Deutschland von vielen gern angenommen. Deswegen die Vergleiche mit der eigenen Geschichte. Der antisemitische Vernichtungswille der neuen Nazis muss gebrochen werden durch ein Dauerbombardement, Gaza ist in dieser Logik Dresden 1945.

Eine Projektion?

Anders als Nazideutschland ist die Hamas keine Großmacht, sondern eine von vielen bewaffneten Gruppen im Nahen Osten. Aber je mehr Zivilisten sterben, desto größer die Radikalisierung – das weiß man aus den Kriegen in Afghanistan und Irak. In der Betrachtung des Konflikts scheint aber auch ein tiefgreifender Rassismus zu wirken. Palästinensische Leben werden von Teilen der deutschen Öffentlichkeit offensichtlich als weniger wert betrachtet.

Was meinte Angela Merkel, als sie 2008 von Staatsräson sprach?

Merkel hielt ihre Rede mit Blick auf den Iran. Sie wusste, dass die Palästinenser Israel schaden, aber nicht in seiner Existenz gefährden können – der Iran schon, wenn er über Atomwaffen verfügt. Darum liefert Deutschland Israel U-Boote, die nuklear bewaffnet werden können und eine Zweitschlagsfähigkeit gegen den Iran garantieren. So ergibt ihr Wort von der Staatsräson für mich einen Sinn und für sie wohl damals auch.

Merkel hielt ihre Rede vor dem 7. Oktober. Würde sie heute genauso handeln wie Scholz und Baerbock?

Gute Frage. Heute wird die Staatsräson auf Gaza bezogen, und weil hinter der Hamas der Iran gesehen wird, blendet man die lokale Konfliktdynamik aus. Hinzu kommt ein Diskurs, der seit dem war on ­terror Einzug gehalten hat. Viele betrachten den Konflikt durch die Brille eines Zivilisationskampfes von Gut gegen Böse.

Nicht nur in Deutschland, oder?

Hier kommt noch ein vergangenheitspolitischer Aspekt hinzu. Unter Staatsräson versteht man gemeinhin das, was ein Staat tut, um sich selbst zu erhalten. Die Sicherheit eines anderen Staates zu seiner eigenen zu machen bedeutet, sich mit diesem Staat zu identifizieren. Am Anfang meines Buches zitiere ich eine Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2018 anlässlich des 70. Jahrestags der is­rae­li­schen Staatsgründung, in der sich deutsche Politiker in Solidaritätsbekundungen überbieten. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen verdichtete das bundesrepublikanische Selbstverständnis, als sie sagte: „Das Existenzrecht Israels ist unser eigenes.“ Das zeigt, wie identitätspolitisch die deutsche Israelpolitik geworden ist.

Deutschland identifiziert sich mit Israel?

Es ist ein Ersatznationalismus. Er führt auch dazu, dass sich viele in Deutschland nicht vorstellen können, dass Israel in Gaza Kriegsverbrechen begeht. Denn das würde am deutschen Selbstbild kratzen, weil wir daran beteiligt wären. Letztlich schottet sich der deutsche Diskurs damit von der Realität ab.

Ist es nicht ein Fortschritt, dass Deutschland heute aus moralischen statt aus eigennützigen Gründen zu Israel hält?

Falls das so ist, ist das eine extrem einseitige Moral, die Menschenleben unterschiedlich bewertet. Dabei übersieht man auch, dass die Welt sich gedreht hat. Mit seiner Haltung gegenüber Israel erhoffte man sich einst, in den Augen der westlichen Welt rehabilitiert zu werden. Heute ist die Welt weniger westlich – und blickt ganz anders auf den Konflikt, als wir es tun. Folglich leidet der deutsche Ruf – das ist eine Ironie der Geschichte.

Die meisten Länder haben Palästina als Staat anerkannt. Norwegen, Irland und Spanien haben das jetzt angekündigt. Könnte Deutschland folgen?

Ich würde wetten: Nein. Und selbst wenn, wäre es Schaufensterpolitik, weil ein solcher Staat über kein unabhängiges Staatsgebiet verfügt. Dennoch bleibt für mich die Zweistaatenlösung, so unwahrscheinlich sie scheinen mag, der einzig gangbare Weg. Die Alternativen sind entweder noch unrealistischer – oder sie führen noch tiefer in die Katastrophe.

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17 Kommentare

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  • Frage: "Ist es nicht ein Fortschritt, dass Deutschland heute aus moralischen statt aus eigennützigen Gründen zu Israel hält?"

    Daniel Marwecki: "Falls das so ist, ist das eine extrem einseitige Moral, die Menschenleben unterschiedlich bewertet."

    Es ist aber nicht so. Die deutschen Führungsschichten denken in bezug auf Israel vor allem machtpolitisch. Israel ist aus der Sicht deutscher Dominanzpolitik ein militärischer und geostrategischer Vorposten im nahen Osten in der Nähe der letzten großen Ölvorkommen.

    Würden dagegen moralische, genauer: menschenrechtliche Erwägungen eine Rolle spielen, würde man hier nicht so einseitig agieren. Moral ist als solche nie einseitig oder es ist eben keine Moral, sondern etwas anderes.

  • Wenn die deutsche Staatsräson mit dem Völkerrecht kollidiert, wie Herr Marwecki konstatiert hat, so gilt es die deutsche Staatsräson gründlich zu überprüfen und zu hinterfragen. Wenn dies nicht geschehe, könnte man in die absurde gedankliche Situation gelangen, dass die deutsche Staatsräson über dem Völkerrecht stünde.

  • Der wahrscheinlich nüchternste Beitrag, den ich in den deutschen Medien zum Thema bisher wahrgenommen habe. Sehr wohltuend neben dem ganzen Schaum vorm Mund auf allen Seiten.

  • Das die offiziöse Solidarität mit Israel als Ersatznationalismus dient, ist wahrscheinlich wahr.



    Ich unterstelle aber der Palästinasolidarität aber genau das gleiche. Wenn man sieht mit welcher Verve sich in Flaggenschwenken und Trachtenmode ergangen wird, drängt sich der Gedanke auf, dass die Kritik an Volk und Nation in Teilen der Linken weit, weit in den Hintergrund gerückt ist. Wenn sie den je im Vordergrund war...

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Der Terrorangriff der Hamas war der tödlichste Massenmordanschlag gegen das Judentum seit der Shoah. So oblag es der Bundesrepublik, sich dezidiert auf die „richtige Seite der Geschichte“ zu stellen. Die Entscheidung der BRD hat schlussendlich nichts mit einem angenommenen „Entlastungsangebot“ zu tun, sondern ist ein Ausdruck der Kontinuität der deutsch-israelischen Verbundenheit.

    Herr Marwecki:» Anders als Nazideutschland ist die Hamas keine Großmacht, sondern eine von vielen bewaffneten Gruppen im Nahen Osten. «

    Wie bitte? Die Hamas ist in Wirklichkeit kein stiefmütterlich gepflegtes Ziehkind, sondern der wohlgenährte Protegé der UNO und des iranischen Mullah-Regimes, sogar mit einem Feriendomizil in Katar. Wer in einem 365 qm kleinen Streifen ein 700 km langes Tunnelsystem für militärische Zwecke bauen kann, hat gute Verbindungen. So ist es unsäglich unsachlich, die Hamas als bedeutungslose, empathiebedürftige Hobby-Revolutionäre darzustellen.

    Anstatt die Israel-Treue der BRD als „Ersatznationalismus“ herabzuwürdigen, sollte man die gefährliche Rolle der Hamas als Proxy des islamistischen Imperialismus endlich wahrnehmen.

    • @Michaela Dudley:

      Die Hamas - Natterngezücht der israelischen Nationalisten?

      Zitat Michaela Dudley: „Die Hamas ist in Wirklichkeit kein stiefmütterlich gepflegtes Ziehkind, sondern der wohlgenährte Protegé der UNO und des iranischen Mullah-Regimes.“

      Hamas ist wohl eher ein buchstäblich von Netanjahus Likud „gepflegtes Ziehkind“ mit dem politischen Zweck, einen souveränen Palästinenserstaat zu vereiteln: „Jeder, der die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Stärkung der Hamas und den Geldtransfer an die Hamas unterstützen… Das ist Teil unserer Strategie – die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern im Westjordanland zu isolieren.“ (Benjamin Netanyahu, Erklärung bei einem Treffen der Knesset-Mitglieder seiner Likud-Partei im März 2019, Quelle: Haaretz, 9. Oktober 2023).

    • @Michaela Dudley:

      Danke. Wie viele andere Kommentatoren möchte auch ich bei dieser Gelegenheit sagen, dass ich sehr froh bin, dass Sie hier sind.

      "... sollte man die gefährliche Rolle der Hamas als Proxy des islamistischen Imperialismus endlich wahrnehmen."

      Ich stimme Ihnen voll umfänglich zu und kann nicht nachvollziehen, weshalb so viele die Gefährlichkeit dieser Organisation nicht sehen oder nicht sehen wollen. Diese Organisation, ihre Mitglieder, Anhänger und Unterstützer (mindestens ca. 70% der Palästinenser finden das Pogrom am 07.10.23 gut) machen nicht nur das Leben in der dortigen Region unerträglich, sondern zunehmend auch bei uns, wie man an den vielen antisemitischen Straftataten und Angriffen auf jüdische und/oder israelische Menschen ablesen kann.

      Zitat des früheren Hamas-Außenministers Mahmud az-Zahar. Er gehört immer noch zu den "Top 5" der Hamas:



      "Israel is only the first target. The entire planet will be under our rule. The entire planet will be under our law; there will be no more Jews or Christian traitors."

      Ich weiß, dass ich mich mit diesem Zitat wiederhole, aber wir sollten es wirklich ernst nehmen.

  • Eine Frage stellt sich mir, wenn Israel ohne die deutschen Panzer den Präventivschlag auf Ägypten, welches sich an der Grenze für einen Angriffskrieg zusammengerottet hatte nicht gewonnen hätte, wäre dann ohne die Militärlieferungen der Krieg verloren worden, also Israel von den arabischen Staaten besetzt und zerstört worden?

    Mutmaßlich ist das der Fall, dann bin ich froh, dass die Panzer da waren.

    Den Suez Kanal übrigens für israelische Lieferungen sperren ist ausreichender Kriegsgrund. Die Propaganda, dass Monate vor der Eskalation des Konflikts Ägypten noch nicht angriffsbereit war ist unerheblich, da wir in der Ukraine gesehen haben, dass zwei Monate Zeit für Mobilisierung und Truppenverlegung ausreichen um einen Krieg zu führen.

  • "Wir unterstützen Israel aufgrund des Holocausts"

    Diesem Satz halte ich für fragwürdig. Zwar mag das auf Teile der Gesellschaft zu treffen, bedenken sollte mann jedoch auch, dass Israel eine der wenigen relativ funktionalen Demokratien im mittleren Osten ist, und die Israelis mehrmals am Rande der kompletten Vernichtung durch die arabischen Nachbarn standen, dies ist grundsätzlich auch kein gering wiegender Grund für Unterstützung. Die Kurden oder Jesiden unterstützen wir ja auch nicht wegen des Holocausts, dennoch ist eine starke Mehrheit in Deutschland sympathisch für diese Gruppen. Darüber hinaus, ist Israel heut zu tage, auch ein wichtiger Industrie und Technologie Partner für die Bundesrepublik.

  • Deutschland hat seine Verpflichtung gegenüber den Palästinenser längst erfüllt.



    Der Gründer der Palästinenserbewegung, Mohammed Amin al-Husseini, ehemals Großmufti von Jerusalem, wohnhaft in Berlin von 1941-1945, Führer der Waffen-SS Krummdolch, verurteilter Kriegsverbrecher und Ziehvater von Arafat, hat damals in Berlin eine exzellente Ausbildung in Propaganda erhalten. Davon profitieren die Palästinenser noch heute.

  • Trotz offensichtlicher Fachkunde des Interviewten bewerte ich Einiges völlig Anders.



    Es ist grundsätzlich gut, dass der Begriff des Ersatznatioalismus genannt wird, allerdings gilt er derzeit in Deutschland für die Ukraine.



    Richtig wird dargestellt, dass Deutschland derzeit seine historische Verantwortung gegenüber Israel höher bewertet, als das Image in arabischen Ländern.



    Hierzu sei allerdings daran erinnert, dass Deutschland seit Beginn des Konflikts intensiv diplomatische Wege zu arabischen Ländern nutzt.



    Und das sowohl durch den Bundeskanzler, als auch durch die Außenministerin.



    Die Darstellung der "kritiklosen Unterstützung" ist falsch.



    Deutschland hat die Regierung vor dem 7.Oktober kritisiert und jetzt Bevölkerungsschutz in Gaza angemahnt.



    Die Bedeutung der Unterstützung des frühen Staates Israel wurde im Artikel deutlich.



    Leider wird die Unterstützung der Palästinenser abgewertet, dabei ist Deutschland der größte Förderer auf humanitärem Gebiet und das seit Jahrzehnten.



    Bei Aller Kritik an Deutschland, seinen Vertretern und deren angeblicher Einseitigkeit der Bewertung der Lage "vergisst" Herr Marwecki die Hamas auch nur mit einem Wort zu kritisieren.



    Das ist einseitig.

  • Der Autor hat einen sehr differenzierten und realistischen Blick auf die deutsch-israelischen Beziehungen. Zwei Dinge:

    1. Merkel hätte besser sagen sollen, was sie mit dem unsäglichen Begriff der Staatsräson meint. Ich habe schon damals nichts von diesem Begriff gehalten, heute noch weniger. In meinem Namen eine solche Verpflichtung einzugehen, ist, gelinde gesagt, anmaßend.

    2. Deutschland trägt Mitverantwortung für alles, was nach dem 7. Oktober geschehen ist.

  • Das ist doch aber wirklich nichts Neues, was Herr Marwecki zum Besten gibt. Es ist das alte Argument aus den1970-ern, rund um die Mitschelichdebatte, dass "die Deutschen" ihren Schuldkomplex anstatt aufzuarbeiten auf links gedreht und auf den Nahost-Konflikt übertragen haben.



    Weil es alt ist, wird das Argument aber deswegen nicht schlüssiger.



    Ich sehe nach wie vor eine besondere herausragende Verantwortung Deutschlands, für das Existenzrecht Israels einzustehen. Mit Konsequenzen.



    Außerdem identifiziere ich mich immer eher mit Ländern und ihren Menschen, die grundsätzlich eine Demokratie, den Rechtsstaat, die Meinungsfreiheit achten und verteidigen, als mit solchen, die diese Werte (bestenfalls) nur dann anerkennen (und instrumentalisieren), wenn es ihnen in die eigenen Interessen (oder in die eigene Ideologie) passt.

  • Eigentlich ist der Nachfolgestaat BRD, immer und ewig an allem Schuld ( auf jeden Fall mitschuldig ).



    Warum kann man nicht Andorra, Liechtenstein oder San Marino sein ? Ich habe eine solche Sehnsucht nach Bedeutungslosigkeit.

  • Diskursfiguren im Wandel der Zeiten

    Zitat: „Bundeskanzler Konrad Adenauer sah das als „Wiedergutmachung“, begründete es aber auch mit dem antisemitischen Motiv von der „Macht der Juden“, die man nicht unterschätzen solle.“

    Dieser Verweis zielt auf die berühmte Äußerung Adenauers: „Meine Damen und Herren, dat Weltjudentum is eine jroße Macht“, wie sie Rudolf Augstein im „Spiegel“ v. 08. 05. 1995 zitiert. Darin ein „antisemitisches Motiv“ zu sehen, ist schon bemerkenswert, ganz abwegig ist dies nicht. Allerdings wäre damals niemand auf die Idee gekommen, Adenauer des Antisemitismus’ zu bezichtigen. Heute würde er für die Diskursfigur „Weltjudentum“ wohl medial ans Kreuz genagelt, und das nicht zu Unrecht.

    Im übrigen ein sehr erhellendes Interview für jüngere Taz-Leser, das zwar hinsichtlich der Beziehungen zwischen der Bonner Republik und Israel in den 50-Jahren historiographisch nichts Neues enthält, aber dankenswerterweise Aspekte in Erinnerung ruft, die von meinungssetzenden Akteuren einer blauäugigen Verklärung dieses Verhältnisses medial gern unter Verschluß gehalten werden.

  • Als gebürtiger DDR-Bürger und Kind der 1980er Jahre ist mir diese, aus dem Holocaust abgeleitete, Verpflichtung gegenüber Israel emotional und biografisch völlig fremd. Ich verstehe ja durchaus warum viele Ü60-Westdeutsche (die Träger der dt. Leitkultur) sich da wiederfinden bzw. desen Gegner sich daran abarbeiten, aber in meinem Umfeld kenne und erlebe ich diese Meinung kaum bis garnicht.

    Und trotzdem stehe ich, trotz vieler Probleme mit der isr. Politik, im Zweifel an der Seite Israels. Es gibt abseits der historischen Schuld (ein Argument das ohnehin einen völkischen Touch hat) genug andere Gründe es so zu sehen.

    Während die Netanjahus Politik "nur" rechtsradikal ist, ist die Hamas ein offen faschistischer Akteur, der fest in der Phalanx des internationalen Islamismus integriert ist. Dessen erklärter Feind ist nicht nur Israel, sondern auch der Westen sowie Demokratie und Liberalismus insgesamt. Dies gilt nicht nur in abstrakten Disputen sondern auch in effektiver Politik.

    Ich habe nichts gegen die Palästinenser, aber damit ich ihre Emanzipation unterstützen kann, sollten sie sich keine Faschisten als Führer wählen, die Europa als nächsten Feind nach Israel betrachten.

  • "Man blendet die Konsequenzen aus. Bis 1967 war Westdeutschland Israels wichtigster Verbündeter. Der Sieg im Sechstagekrieg wäre ohne deutsche Hilfe in dieser Form wohl nicht möglich gewesen. Dieser Krieg führte zur Besetzung Ostjerusalems, des Westjordanlands, der Golanhöhen und Gazas. Wie auch immer man das bewertet – die Bundesrepublik spielt in diesem Konflikt eine größere Rolle, als im Allgemeinen angenommen wird."

    Da sehe ich eine deutlich Mitschuld Deutschlands an der Situation der Palästinenser heute.