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Deutsche AfghanistanpolitikUnmenschlich und rechtswidrig

Gastkommentar von Martin Sökefeld

Die Bundesregierung hält sich nicht an ihre Zusage, Af­gha­n:in­nen aufzunehmen, die unter dem Taliban-Regime gefährdet sind. Das ist gesetzwidrig.

Bundesminister für Unmenschlichkeit und rechtswidriges Vorgehen: Alexander Dobrindt Foto: Kay Nietfeld/dpa

A bschiebungen sofort starten und die humanitäre Aufnahme beenden – darauf reduziert sich die Afghanistanpolitik der Bundesregierung. In den vergangenen Tagen zeigte sich, dass diese Politik nicht nur unmenschlich, sondern in Teilen rechtswidrig ist.

Martin Sökefeld

ist Professor am Institut für Ethnologie der Ludwig-­Maxi­milians-­Uni­ver­si­tät München.

Da hatte CSU-Innenminister Dobrindt erklärt, er wolle direkt mit den Taliban verhandeln, um Abschiebungen zu ermöglichen – und der Internationale Strafgerichtshof erließ Haftbefehle gegen den Taliban-Regierungschef und gegen ihren Obersten Richter. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, weil sie Frauen und Mädchen ihrer Rechte berauben. Will Dobrindt tatsächlich dieser Regierung mit seinen Verhandlungen Anerkennung verschaffen?

In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad warten immer noch rund 2.300 Af­gha­n*in­nen da­rauf, nach Deutschland kommen zu können. Es handelt sich um Menschenrechtsaktivist*innen, Frauen­recht­le­rinnen, Jour­na­list*in­nen, LGBTQI+-Personen, Mit­ar­bei­te­r*in­nen der afghanischen Vorgängerregierung, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als besonders Gefährdete anerkannt hatte.

Will Dobrindt tatsächlich den Taliban Anerkennung verschaffen?

Thorsten Frei, damals noch Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und heute Kanzleramtsminister, erklärte Ende April, alle Aufnahmezusagen sollten mit dem Ziel, diese zurückzunehmen, überprüft werden. Die Rücknahme der Zusagen bedeutet, dass die Betroffenen jeglichen Schutz verlieren. Pakistan schiebt seit Anfang dieses Jahres massiv nach Afghanistan ab. Inzwischen gibt es genügend Berichte, dass Abgeschobene in Afghanistan schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Ermordung ausgeliefert sind.

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Unterlassene Hilfeleistung

Ein Gutachten des Strafrechtlers Robert Brockhaus kommt zu dem Schluss, dass sich Bundesregierung und involvierte Be­am­t*in­nen wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen, sollte eine Person, der die Aufnahmezusage entzogen wurde, durch Abschiebung nach Afghanistan zu Schaden kommen. Das Verwaltungsgericht Berlin entschied am 7. Juli in einem Eilverfahren, dass die Bundesregierung einer Afghanin und ihrer Familie, die eine Aufnahmezusage haben, das Visum für Deutschland unverzüglich erteilen muss.

Aber die gnadenlos unmenschliche Politik der Bundesregierung gegenüber den Af­gha­n*in­nen geht weiter. Warteten vor einigen Wochen noch 2.600 Personen in Islamabad, sind es inzwischen nur noch gut 2.300. Die verringerte Zahl heißt nicht, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich Af­gha­n*in­nen nach Deutschland geflogen hätte. Nein, die Reduktion kommt zustande, weil extrem gefährdete Menschen aus den Aufnahmeprogrammen geworfen und dann nicht mehr gezählt werden. Sie sind der pakistanischen Abschiebungspolitik schutzlos ausgeliefert. Die Bundesregierung lehnt jegliche Verantwortung für sie ab, obwohl sie mit der Rücknahme der Zusage massiv zu ihrer Gefährdung beiträgt.

Auch diejenigen, die noch im Programm sind, sind keineswegs sicher. Die pakistanische Regierung stellte den internationalen Aufnahmeprogrammen ein Ultimatum: Bis Ende Juni 2025 müssen Af­ghan*in­nen das Land verlassen haben, sonst werden sie abgeschoben. Die Bundesregierung hat dieses Ultimatum verstreichen lassen. Vor gut einer Woche stürmte die pakistanische Polizei ein Gästehaus, in dem Wartende untergebracht sind, und nahm elf Menschen fest, die in ein Abschiebelager gebracht wurden. Durch Intervention der deutschen Botschaft kamen sie wieder frei. Man muss davon ausgehen, dass solche Fälle zunehmen. Es ist unklar, ob die Botschaft dann noch intervenieren kann.

Diese unmenschliche Politik ist in erster Linie ein Projekt der Union. In der SPD regt sich Widerspruch. Viele SPD-Abgeordnete haben schon der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nur mit Bauchschmerzen zugestimmt. Gefährdete Af­gha­n*in­nen sind davon auch betroffen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik, forderte gegenüber der taz, dass die Aufnahmezusagen für Af­gha­n*in­nen eingehalten werden müssen.

Auch Lars Castellucci, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung (beide SPD), pochte da­rauf, die Schutzversprechen einzuhalten. „Versprechen, die man gibt, sind einzuhalten“, schreibt er auf X. Castellucci sollte am Freitag (bis nach Redaktionsschluss) den UN-Sonderberichterstatter für Afghanistan Richard Bennet in Berlin treffen. Die beiden wollten sicher auch die Menschenrechts- und Gefährdungslage besprechen.

Die Union fordert stets, „irreguläre“ Migration zu beenden. Tatsächlich beendet sie mit den humanitären Aufnahmeprogrammen einen wichtigen Weg der regulären Migration. Den gefährdeten Af­gha­n*in­nen bleibt damit nichts anderes übrig, als sich auf der Suche nach Schutz selbst auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen.

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9 Kommentare

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  • Verwundern sollte das einen ja nicht wirklich. Bei den Parteibuch-Christen besteht von Anbeginn ein Spannungszustand zwischen Lippenbekenntnissen (Nächstenliebe) und realem Handeln.



    Die Katholen haben deshalb ein gut funktionierendes Instrument für die Lösung ihrer kognitiven Dissonanzen erfunden: Die heilige Beichte. Einfach beichten, ein bisschen bereuen - und alles ist wieder heile. - Ein therapeutischer Geniestreich!

  • Zitat: "Ein Gutachten des Strafrechtlers Robert Brockhaus kommt zu dem Schluss, dass sich Bundesregierung und involvierte Be­am­t*in­nen wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen, sollte eine Person, der die Aufnahmezusage entzogen wurde, durch Abschiebung nach Afghanistan zu Schaden kommen."

    Ist es nicht vielleicht auch "Beihilfe" (zu Mord, Folter, etc.), bzw. sogar eine "gemeinschaftlich" begangene Tat? Denn ohne diese ekelhaften, asozialen Menschen verachtenden Machenschaften der ReGIERung könnten die Taliban diese Taten ja gar nicht begehen!

    Nach meinem Rechtsempfinden werden die Täter (ReGIERung und verantwortliche Beamte) aktiv, da sie die Verbrechen erst ermöglichen.

    Wer xxU gewählt hat sollte sich in Grund und Boden schämen! Und besonders traurig ist, dass sich auch die SPD als ehemals sozialdemopkratische Partei unterstützt diesen Menschenhass der xxU auch noch.

    Es ist abartig und hat mit "christlichen Werten" absolut gar nichts mehr zu tun!

  • Ich weiß nicht genau, inwieweit es sinnvoll ist, einen Professor für Ethnologie zu befragen. Die Rechtmäßigkeit ist am Ende eine Frage jedes einzelen Verfahrens. Dabei kommt es darauf an, ob eine Aufnahme fest zugesagt worden ist oder ob das Prüfungsverfahren noch läuft und die Aufnahme nur in Aussicht gestellt worden war.

    Das Ganze hätte die alte Bundesregierung bereits unter Dach und Fach bringen können und sollen. Man kann sich zu Recht die Frage stellen, weshalb die im Inland unbeliebten Flüge ausgerechnet im Wahlkampf ausgesetzt worden waren und erst nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses wieder aufgenommen worden sind.

  • "Abschiebungen sofort starten und die humanitäre Aufnahme beenden."



    Das liest sich ja wie ein Zizat aus dem AfD-Parteiprogramm.

    Oder hat die AfD da bei der C*U abgekupfert ?

  • Naja. Es sind aber Tausende AfghanInnen eingewandert die überhaupt nicht verfolgt sind. Das erzeugt einen Handlungsdruck zur Kontrolle der Einreise und der Rückführung, und der erwischt manchmal die Falschen. Leider. Schlimm. Bis jetzt sind ca. 366.000 AfghanInnen nach Deutschland eingereist davon 282700 anerkannte Schutzsuchende. Da können wir nicht von Hilfsverweigerung sprechen. Und es sind vor allem junge Männer due Schutz suchen. Eigenartigerweise nicht die besonders unterdrückten Frauen

  • Einen cdUler kümmern Gesetze doch nicht. Gesetze sind ja sowas von 20stes Jahrhundert.



    Wir brauchen keine AfD Regierung. Wir haben sie bereits. Schlimmer würde es unter der AfD auch nicht werden.

  • 1. Die Herrschaft der Taliban ist nicht nur für Frauen und Mädchen furchtbar, sondern für Männer, die sich dem fundamentalistischen Regime nicht anschließen oder beugen wollen, ebenso. Menschenrechte zählen nicht, für niemanden.



    2. Deutschlands Asylpolitik führt dazu, dass männl. Afghanen kaum noch einen Schutzstatus nach AsylG erhalten, selbst Abschiebungsverbote sind rar. Die Begründungen sind zynisch, durch die Taliban sei das Öand ja nun befriedet, Sub-Schutz ergo auch nicht begründet; Vorverfolgung wird kaum gesehen, selbst wenn alle männl. Angehörigen bereits ermordet wurden, müsste man schon mit Messer im Rücken hier ankommen, eine verbale oder schriftliche Bedrohung an Leib und Leben reicht selten. "Flüchte erst, wenn du schon tot bist", so kann man es übersetzen.



    3. Bevor es den Syrern an den Kragen geht, übt die Regierung schon mal mit den Afghanen, wie sie ihre rassistische Politik umsetzen kann. Und die AfD lacht sich kaputt (seufz).

  • Die Union hat das schon richtig verstanden, die Zahlen sinken nur, wenn es um Härte geht. Wenn der Eindruck entsteht, dass die Geflüchteten nicht hierherkönnen, selbst wenn es per Gesetz mal festgelegt wurde. Das ist die Merz-Union: Volle Härte gegen Migranten und keine gezetzlichen Bedenken gegen Projekte, die mal feierlich unterschrieben wurden. Und natürlich Abschiebungen: Es sollen mehr Menschen Deutschland verlassen, die die noch hier sind, die sollen schneller arbeiten und weniger lange Deutsch lernen.



    Deutschland verfeuert gerade in der Außenpolitik moralischen Anspruch im Bereich Asyl und Flucht.



    Und in der Gesellschaft bleibt das Engagement für Geflüchtete auch überschaubar. Gerade mal die LInke vertritt noch die LInie, mit der die Ampel mal angetreten war ...

  • Die CSU sollte sich doch mit religiös fundamentalistisch geprägten Gegenden auskennen, sollte mensch meinen.



    Beim Rechtsstaat klappt das auch noch.

    Nach nicht einmal 100 Tagen von den eigenen Wahlpopulismen bereits eingeholt - na prima!