Der „Focus“ zu den Kölner Übergriffen: Titel der Schande
Der „Focus“ inszeniert sexuelle Gewalt als erotische Fantasie. Das ist nicht Kritik an Rape Culture, das ist Rape Culture. Und rassistisch.

Der Focus-Titel ist so schauerlich, dass er zunächst wie ein Witz wirkt. Man könnte das Blatt dafür auslachen, wenn dieses Muster nicht so niederträchtig wäre. Die Zeitschrift gibt vor, sexuelle Gewalt anzuprangern und wirft sich in aufklärerische Pose. Dabei ist sie aufklärerisch, wenn auch unfreiwillig: Der Titel ist das elegante Sinnbild für alles, was in den vergangenen Tagen in der Diskussion um die sexuellen Übergriffe in Köln falsch gelaufen ist. Er attackiert den Sexismus der „Anderen“, ist aber selbst sexistisch und erotisiert sexuelle Gewalt.
Das ist nicht Kritik an Rape Culture, es ist Rape Culture.
Zu sehen ist eine nackte, weiße, schlanke Frau, die sich die Hände vor Brüste und Vulva hält, von reißerischen Textbalken notdürftig bedeckt. Die Frau ist nicht nur nackt, sondern ihre Ungeschütztheit wird erotisiert, ihr Mund ist leicht geöffnet. Das ist besonders bitter, weil der Titel selbst somit den betroffenen Frauen die Kleider vom Körper reißt.
Ohnehin ist der Focus Teil der deutschen Rape Culture, die Frauen auf ihren Körper reduziert. Auf Magazin-Titelseiten illustrieren nackte Frauen alle möglichen Themen, wie im öffentlichen Raum nackte Frauenkörper alle möglichen Produkte bewerben. Übergriffe werden bagatellisiert, zum Beispiel, indem sie „Sex-Attacken“ genannt werden, als hätten sie etwas mit Sex zu tun.
Dieser Titel bemüht einen Klassiker sexistischer Werbung, die geköpfte Frau: Ihre Augenpartie ist nicht mehr im Bild. Sie ist auf ihren Körper reduziert, de-individualisiert. Sie wird betrachtet, kann aber nicht zurückschauen, ist Opfer und nicht Handelnde.
Zugleich gibt es in Deutschland keine angemessene rechtliche Handhabe, sexualisierte Gewalt zu verfolgen. Sie ist quasi straffrei, wie Feminist_innen immer wieder betonen. Wenn sexuelle Gewalt thematisiert wird, schreien normalerweise Tausende Männerrechtlertrolle „Unschuldsvermutung!!!“. Und auch jetzt entblödet sich Focus-Chefredakteur Ulrich Reitz nicht, im Newsletter Sexismus unter dem Stichwort „Herrenwitz“ zu verharmlosen.
Wie sonst auch geht es in dieser Debatte weniger um die Opfer sexistischer Gewalt und den Kampf gegen den alltäglichen Sexismus. Das ist nur vorgeschoben – sexuelle Gewalt wird hier offenbar erst dann als solche anerkannt, wenn sie von nichtweißen Männern ausgeübt wird. Feminist_innen wehren sich gegen diese rassistische Vereinnahmung und zeigen, was stattdessen zu tun wäre.
Der Focus beteiligt sich an dieser Hetze, indem er eine vermeintlich offene Gesellschaft für die Übergriffe verantwortlich macht: „Nach den Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?“ Damit bezieht er sich nicht darauf, dass die deutsche Gesellschaft schon immer tolerant mit Sexualstraftätern umgegangen ist und vor sexualisierter Gewalt die Augen verschließt. Nein, die falsche Toleranz hat „Migranten“ allgemein gegolten.
Gängiges rassistisches Motiv
Auf dem Focus-Titel ist der Körper der Frau mit schwarzen Handabdrücken bedeckt. Auch die Süddeutsche Zeitung illustriert das Thema in der Wochenendausgabe ähnlich mit einer Schwarzweiß-Grafik: Ein schwarzer Arm greift zwischen zwei weiße Frauenbeine.
Die Vorstellung, dass dunkle Haut abfärbt, ist ein altes und gängiges rassistisches Motiv, das dunkle mit dreckiger Haut gleichsetzt. Das Bild von schwarzen Händen, die nach einem weißen Körper greifen, von nichtweißen Männern, die weißen Frauen nachstellen, stammt zudem von tief unten aus dem Reich rassistischer sexueller Fantasien: die Beschmutzung der weißen Frau. „Rassenschande“.
Engagement gegen Sexismus wäre bitter nötig. Aber solche Illustrationen sind Rassismus unter dem Vorwand, Sexismus anzuprangern. Und sind dabei selbst sexistisch.
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