piwik no script img

Debatten ums ÖffnenCiao Kinder, wir geh'n Biergarten!

Kinder und Jugendliche sind seit einem Jahr solidarisch, um andere zu schützen. Aber Hauptsache die Erwachsenen kriegen ihre Öffnungs-Debatten.

Eltern: inzwischen sehr nah am Wasser gebaut Foto: Eibner/imago

A ngeblich hat man in dieser Pandemie viel Zeit nachzudenken. Das stimmt wohl. Außer man hat Kinder. Die meiste Zeit kann ich meine eigenen Gedanken nicht hören. Eine Frage hat sich dennoch in meinem Kopf festgesetzt: Was ist in diesem Land ein Kinderleben wert? Und damit meine ich nicht nur das reine Am-Leben-sein. Sondern auch den Alltag der Kinder. Die Gesundheit. Die seelische Unversehrtheit.

Seit Montag geht der Dreijährige wieder in die Kita. Anders als in Schulen heißt das in Berlin: ohne Abstand, ohne Masken, ohne regelmäßiges Testen der Kinder, mit ungeimpften Erzieher:innen, ohne Belegungsobergrenze, denn es sind quasi alle Eltern systemrelevant.

Dass die Kitas vor allem offen bleiben, weil die Eltern sonst gar nicht arbeiten könnten, ist klar. Wieso dabei Kitakinder aber nicht mal annähernd so geschützt werden wie Schulkinder, konnte mir noch keiner erklären. Seit Wochen wird hier offenbar auf Durchseuchung gesetzt, ohne das klar auszusprechen.

Nun geht das Kind also in die Kita bei einer Inzidenz um die 170 ohne eine Teststrategie. Weil er Kontakt zu Gleichaltrigen braucht. Weil unsere Kräfte aufgebraucht sind. Er war jetzt 4,5 Monate am Stück zu Hause. Insgesamt waren es im vergangenen Jahr acht Monate. Wir hatten es auch schön, keine Frage – wir sind privilegiert. Wir haben sichere, flexible Jobs, haben Platz, viel Grün in der Nähe. Nur deshalb konnten wir das so lange machen. Wir haben alle Einschränkungen hingenommen. In dem Vertrauen, dass das mit dem Ziel geschieht, aus der ganzen Sache gemeinsam rauszukommen.

Ich pfeife auf den Biergarten

Nun sehe ich aber auch, dass sich der politische Eiertanz, der hier seit Wochen um die dritte Welle veranstaltet wird, nicht an mich richtet, nicht um mich bemüht ist. Und schon gar nicht um meine Kinder. Vielleicht liegt das daran, dass wir uns in einem Wahljahr befinden. Das macht es natürlich nicht besser. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Gemeinsamkeit grundsätzlich kein politischer Stil ist in diesem Land. Kaum eine Po­li­ti­ke­r:in vermag, über die Grenzen des eigenen Ressorts, des Landes, der Kommune, der Wäh­le­r:in­nen und Spen­de­r:in­nen zu denken. Nicht mal jetzt.

Was ist also in diesem Land ein Kinderleben wert? Ich habe das Gefühl: nicht viel. Wenn dieser Tage etwa Olaf Scholz – als Teil der Regierung, als Sozialdemokrat, der vorgibt Kanzler werden zu wollen – verkündet, man solle ein paar Wochen durchhalten, um im Sommer „mutig“ zu öffnen, um im Biergarten zu sitzen und in Urlaub zu fahren. Ich pfeife auf den Biergarten. Ich brauche keinen Urlaub.

Also – schon, ja, und wie! Doch was ich als Erstes brauche, ist Sicherheit für die Kinder und die Eltern, die allen Kontakten der Kinder stets mitausgesetzt sind. Schutz und Beständigkeit für jene Kinder und Jugendliche, die seit über einem Jahr solidarisch alle Einschränkungen hingenommen haben, damit andere geschützt werden konnten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • In den Genuss der "Impfprivilegien" kämen auch Tausende von Pflegenden und ÄrztInnen, die seit einem Jahr an der Belastungsgrenze (und darüber hinaus) den Kopf für uns hinhalten. Zudem sehr alte Menschen, die tatsächlich, und im Unterschied zu den Kindern, nur noch wenig Zukunft haben, sprich: eventuell ihren letzten Sommer erleben. Ich finde es schon interessant, in welchem Maße das von der Solidaritätsfraktion ausgeblendet wird, um statt dessen eifrig den Popanz vom "alten, weißen Boomer" zu schwenken.

  • Zum Thema Kinder hieß es zur letzten BTW bei der CDU:



    "Familien und Kinder sind unser großes Glück, wir schreiben Familien kein bestimmtes Familienmodell vor."

    Und bei der SPD:



    Familie ist "dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen ..."

    Heißt für mich, Kümmere Dich selbst, wir erhöhen das Kindergeld.

  • Die Forderung der Stunde müsste lauten: Eltern, Lehrer und Erzieher zuerst - beim Impfen! und gleichzeitig rasche Rückkehr zum normalen Schul- und Kitabetrieb. Alles andere ist der Egoismus einer alternden Gesellschaft. Erwachsene (oder Nicht-Kinder und -Jugendliche) können sich schliesslich einerseits effektiv schützen oder andererseits impfen lassen.

  • Wir haben seit Pandemiebeginn vier Autogipfel gehabt und null Kindergipfel. So sieht die "angemessene" Berücksichtigung der Kinderrechte eben aus. Für die "vorrangige" Berücksichtigung gab es ja keine Mehrheit.



    Ändern würde sich an dieser Gewichtung vielleicht etwas, wenn die Bevölkerungsgruppe der 0-18-Jährigen nicht mehr von ihrem Grundrecht ausgeschlossen würden, wählen zu können. Man schließt ja umgekehrt auch nicht die Gruppe der 63-81-Jährigen vom Wahlrecht aus. Ein alleinerziehender Vater z.B. mit vier kleinen Kindern hätte plötzlich fünf Stimmen zu vergeben statt einer.



    Auch kinderlose Regierungsmitglieder wie Herr Scholz, Frau Merkel oder Herr Altmeier würden dann beginnen, sich für dieses Thema zu interessieren.

  • Solidarität ist doch längst wie Nachhaltigkeit u.ä. zu einem Modewort verkommen, das jeder für seine Zwecke gebraucht. Da muss es nicht verwundern, wenn diese primär auf die Mächtigsten der Gesellschaft ausgerichtet sind, sprich weiße Männer fortgeschrittenen Alters im Eigenheim etc.

    Die Illusion kann auch kein Krise-als-Chance-Gequatsche überdecken. Gleichberechtigung gibts erst, wenn Schule und Kita bei Lockdown-Regelungen auf einem Level stehen mit Arbeit und Altersheim. Unter Berücksichtigung der altersbedingten Gefährdung natürlich.

  • Biergartenphoto: Erst wird die Außengastronomie monatelang verboten, auch mit Abstand, mit Maske, mit Test, dann werden Tische aufgestellt, die einen geringen Abstand zum Gegenüber geradezu provozieren (weil geringe Breite), beste Ausbreitungsbedingugnen für Spucketröpchen. Damit gelingt den Viren der Sprung im Freien genauso gut wie in Innenräumen.

    • @meerwind7:

      In welchem Biergarten werden derzeit Tische aufgestellt, die einen geringen Abstand zum Gegenüber geradezu provozieren (weil geringe Breite)?

  • Die Bedrohung von Kindern direkt durch das Virus ist praktisch null.

    Das was den Kindern das Leben schwer macht sind die hysterischen Erwachsenen.

  • Wir sollten mal aufhören, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Als Teilzeit-Papa erlebe ich beides, die Sorge um die Kinder und die Einsamkeit des Single-Lebens im Homeoffice. Und so schwierig das alles gerade mit Kindern ist, ich bin gerade in dieser Zeit froh, ein Kind zu haben, weil ich es einem auch ein Stück Einsamkeit nimmt, die man ohne Kind hätte. Und deswegen finde ich es auch als Vater wichtig, dass sich Erwachsene möglichst bald wieder treffen können, im Biergarten, im Park oder wo auch immer. Außerdem wünsche ich es auch den Gastronomen und ihren Mitarbeitern, auch da kann man ja durchaus mal über die Brille der Eltern mit Job im Homeoffice hinausschauen.

    • @Ruediger:

      Ja, dass findet auch die Autorin wichtig, dass sich Erwachsene möglichst bald wieder treffen können, im Biergarten, im Park oder wo auch immer. Außerdem wünscht sie sich, dass Ihre Kinder in der Kita genauso ernst genommen werden wie die in der Schule, zumindest, was das testen betrifft.